Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung
Was bei Interviews zu berücksichtigen ist
Wer sich als Journalist gut für ein Interview präpariert und bestimmte Spielregeln einhält, hat die Chance, Wichtiges, mitunter auch Exklusives zu erfahren. Doch die Crux des heutigen Journalismus ist, dass viele Reporter, die Fragen stellen, miserabel oder gar nicht vorbereitet sind – und dann von der Gegenseite leicht an der Nase herumgeführt werden.
Wichtige Kopfarbeit
Dies zu verhindern, ist eines der Ziele der Soziologen Jürgen Friedrichs und Ulrich Schwinges, die – kürzlich in zweiter Auflage – das bisher umfangreichste deutschsprachige Lehrbuch zum journalistischen Interview vorgelegt haben. Nach Auffassung der Autoren ist Interviewen «keine Kunst, sondern zunächst einmal ein Handwerk – erlernbar wie die Klempnerei». Womöglich zeugt dies von falscher Bescheidenheit, denn Interviewen hat fraglos mehr mit Kopfarbeit als mit Handwerk zu tun; in vielen Fällen ist es sogar ein geistiges Kräftemessen zwischen dem Fragenden und den Befragten.
Welche Spielarten und Spielregeln es gibt, wie man ein Gespräch einfädelt, welche Rolle der nonverbalen Kommunikation zukommt und wie man diese – zumindest beim Fernsehinterview – am besten mit der Kamera einfängt, aber auch, in welche Fallen man bei einem Interview tappen kann, zu all diesen Fragen wissen die Autoren erschöpfend und mit vielen illustrierenden Beispielen Antwort. Praxisnah werden Tipps gegeben, wie ein Moderator Selbstdarsteller und Schwätzer unterbricht, aber auch, wie und vor allem wie oft ein Interviewer nachhaken sollte, wenn der Gesprächspartner ausweichende Antworten gibt.
Zwei Mängel sind gleichwohl zu konstatieren. Zum einen stösst das Medium Buch an seine Grenzen: Statt auf endlos vielen Seiten über 50 Interviewszenen nachzudrucken und sie dann Schritt für Schritt zu analysieren, wäre im Multimediazeitalter die adäquate Präsentationsform wohl ein ergänzender multimedialer Datenträger. Würden dort die Gespräche in Bild und Ton wiedergegeben, könnte der Lernende mitverfolgen, was sich jeweils auf der inhaltlich-informationellen und der klimatisch-emotionalen Ebene zwischen den Interviewpartnern abspielt.
Pseudo-Interviews
Zum andern wird das redaktionelle Alltagsgeschäft nicht hinreichend transparent. Heikle Praktiken, die gang und gäbe sind, gehörten gründlicher durchleuchtet. So dürfte inzwischen die mutmasslich häufigste Form des Interviews jene Variante sein, die – strenggenommen – den Lesern nur noch ein solches vortäuscht: Viele Pressejournalisten bemühen sich gar nicht mehr um ein persönliches Gespräch oder auch nur einen Telefonkontakt, sondern verschicken ihre Fragen längst per E-Mail. Selbst dort, wo sie es redlich versuchen, werden sie von prominenten Gesprächspartnern häufig auf die elektronische Post verwiesen und dann von dienstfertigen PR- Profis im Namen des Herrn abgefüttert.
Ausserdem ist es – zumindest im deutschsprachigen Raum – inzwischen üblich, dass Interviews, ja sogar kurze Statements autorisiert und mitunter nachträglich bis zur Unkenntlichkeit geglättet und umgeschrieben werden. Auch hier wäre zu wünschen, dass die Autoren in der dritten Auflage ihres Buchs auf dieses Problem eingehen. Angehende Journalisten müssen wissen, ob und inwieweit sie sich solchen Wünschen ihrer Gesprächspartner beugen sollen und wie sehr sie auf diese Weise Gefahr laufen, ihre Glaubwürdigkeit beim Publikum zu verspielen.
Jürgen Friedrichs / Ulrich Schwinges: Das journalistische Interview. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005 (2., überarbeitete Auflage).
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