In seinem neuen Buch „Facebook. Weltmacht am Abgrund“ zeichnet der renommierte Tech-Journalist Steven Levy die Geschichte des Unternehmens nach und arbeitet dabei die bewusst eingegangenen Fahrlässigkeiten des umstrittenen Tech-Riesens heraus.
Vom Wunderkind zum Paria – das ist in der Kurzform die bisherige Geschichte des Unternehmens Facebook und seines Gründers Mark Zuckerberg. Kaum ein Unternehmen stand in den vergangenen Jahren häufiger im Sturm öffentlicher Kontroversen. Und nur wenige andere Unternehmer haben einen derart großen Einfluss auf und damit Verantwortung für ihr Unternehmen.
Das Buch von Levy ist erst das zweite umfassende Werk über den umstrittenen Tech-Riesen. Das erste hatte David Kirkpatrick 2011 mit „Der Facebook-Effekt. Hinter den Kulissen des Internet-Giganten“ vorgelegt. Seitdem hat sich das Unternehmen, sein CEO und die von ihr betriebenen Plattform massiv verändert.
Levy zeichnet das Bild einer Firma, die vor allem eins interessiert: Wachstum. Die ganze Welt sollte Facebook-Land werden. Die Kollateralschäden, die man auf dem Weg zur globalen Dominanz anrichtete, ignorierte Facebook für gewöhnlich. Erst wenn der öffentliche Druck zu groß wurde, zeigte man sich zuerst überrascht: damit haben wir nicht gerechnet. Sorry! Dann ging man zaghaft Veränderungen an. Zumindest so lange es das Geschäft nicht gefährdete.
Dabei hätte Facebook in mehreren Fällen damit rechnen müssen, dass die Plattform und ihre Features missbraucht werden würden. Vor der Wahl Trumps gab es Warnhinweise auf Desinformationskampagnen. Vor der Einführung von Livestreams auf Facebook gab es Stimmen, die darauf hinwiesen: die Streams können auch für verstörende Inhalte wie Selbstmorde oder Vergewaltigungen genutzt werden. Immer tat Facebook solche Sorgen ab. Sie hätten auch dem Wachstum, dem „Move fast and break things“ im Wege gestanden. Ich selbst habe diese Haltung Facebooks erlebt: bei einem Hintergrundgespräch deutscher Journalisten mit führenden Facebook-Mitarbeitern in Europa kam die Frage auf, wie Facebook denn mit Hassrede und Desinformation umgehen wolle, die in geschlossenen Gruppen gepostet würde. Dort also, wo nicht die gesamte Öffentlichkeit hinblicken konnte, wo sich aber dennoch häufig hunderte, teils tausende Nutzer tummelten. Facebooks Antwort: man vertraue auf die Nutzer, solche Inhalte auch in geschlossenen Gruppen zu melden. Dass in einer geschlossenen, von Rechtsextremen geführten Gruppe niemand rassistische Bilder oder Postings melden würde – auf diesen Gedanken kamen die Facebook Executives nicht. Wie fahrlässig diese Haltung war, zeigte der Tagesspiegel später in einer investigativen Recherche.
Levy, der auch Editor at Large der wohl einflussreichsten Zeitschrift der Technologie-Branche „Wired“ ist, arbeitet diese bewusst eingegangenen Fahrlässigkeiten an zahlreichen Stellen im Buch heraus. Er weist dabei auf Widersprüche, in denen sich Facebook verzettelt, hin. Bleibt aber stets in der Rolle des Berichterstatters, lässt sich nicht hinreißen zu einer allzu prägnanten Bewertung. Die bleibt dem Leser überlassen.
Das Buch liefert zwar keine grundlegenden neuen Erkenntnisse über Facebooks Fehlverhalten in den vergangenen Jahren. Wer das Unternehmen und die Berichterstattung darüber beobachtet, kennt die im Buch noch einmal wiedergegebenen Skandale, von denen es mittlerweile so viele gibt. Bei seinen Schilderungen kann Levy aber auf Aussagen aus „über 300 Interviews mit aktuellen und ehemaligen Facebook-Angestellten sowie sachkundigen Außenstehenden“ (S. 644) zurückgreifen. Dadurch wird zwar an manchen Stellen der Perspektive von Facebook zu viel und der Kritik am Gebaren der Firma zu wenig Raum gegeben. Insgesamt ist Levys Buch aber dennoch eine umfassende Beschreibung eines fahrlässigen, auf Wachstum gepolten Unternehmens. Facebook wollte die Welt vernetzen und hat sie am Ende doch eher gespalten.
Levy, S. (2020). Facebook – Weltmacht am Abgrund: Der unzensierte Blick auf den Tech-Giganten. München: Droemer.
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