Wir alle machen Fehler, jeder verdient eine zweite Chance. Auch ein ehemaliger Verteidigungsminister.
Doch der Comeback-Versuch des ex-Doktors hinkt. Das liegt an ihm. Aber auch an jenen Medien, die sich durch eine Art Beichtstuhljournalismus hervortun und den Steigbügel halten statt journalistische Haltung zu zeigen.
Beichtvater Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit, im gleichen Gewand wie der Bußfertige (dunkler Pullover, helles Hemd) führte ein dreitägiges Gespräch. Das ist ökonomisch logisch, denn pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erscheint das Interview auch in Langversion als Buch. Und es ist journalistisch logisch, denn es ist von öffentlichem Interesse, wie Karl-Theodor zu Guttenberg sich selbst erklärt und ob er Rückkehrabsichten hat. Trotzdem wird man das Gefühl des Ablasshandels nicht los: Exklusivität gegen Aufmerksamkeit, Wohlwollen und Beteiligung an einer Inszenierung – denn zeitgleich teilte die Staatsanwaltschaft Hof mit, das Verfahren wegen des Verdachts auf Verletzung des Urheberrechts, die in 23 strafrechtlich relevanten Fällen festgestellt worden ist, sei gegen eine Geldzahlung eingestellt worden.
Beichtvater Franz Josef Wagner erteilte in der Bild die Absolution direkt: „Ich mag diesen Typen, der wieder aufsteht“ (24.11.2011), Bild am Sonntag beauftragte Emnid mit einer Umfrage: „Glauben Sie, dass Guttenberg absichtlich kopiert hat?“ Aber: Plagiate sind keine Glaubensfragen. Hier geht es um Fakten.
Di Lorenzo hält Guttenberg vor: 1218 Plagiatsfragmente aus 135 Quellen auf 371 von 393 Seiten. Der verteidigt sich so: Er habe Autoren, von denen er abschrieb, ohne dies offenzulegen, ja in das Literaturverzeichnis aufgenommen, und dies belege, dass er nicht täuschen wollte. Ein Plagiat habe er nicht begangen, denn er habe nicht einfach ein ganzes Buch abgeschrieben. Das Interview macht klar: Der vermeintlich Bußfertige beginnt seine Rückkehr mit einem Schwindel. Er schiebt alles auf eine chaotische und ungeordneten Arbeitsweise, auf Überforderung, will nicht mehr gewusst haben, „an welchen Text ich selbst bereits gearbeitet hatte, welcher Text mein eigener und welcher möglicherweise ein fremder war“. Und statt Demut zu üben, teilt er aus – attackiert die Wissenschaftsministerin, den Bundestagspräsidenten, die CSU, die Universität Bayreuth.
Private und politische Skandale sind für eine Gesellschaft wichtig, das lehrte uns schon der Philosoph Aristoteles: An Skandalen justiert sie immer wieder aufs Neue ihre Maßstäbe. Finden wir es richtig, wenn Gelder veruntreut, Dienstwagen im Urlaub benutzt, geistiges Eigentum geraubt und Titel erschlichen werden? Meistens beginnt alles mit einer Normverletzung, die irgendeiner verrät und die ein Journalist öffentlich macht. Die Normverletzung wird dann zum Fallstrick, wenn dem Bekanntwerden eine öffentliche Empörung folgt, in den Medien, und danach im Publikum. Ist das Thema in der Welt, muss mit Ja oder Nein geantwortet werden: Wollen wir, dass das zur Regel wird? Wollen wir den Kulturverfall?
Die Art und Weise, wie Guttenberg sich zurückmeldet, kommt einem Ja gleich – zum Quellenklau und zur Unwissenschaftlichkeit…
Es besteht aber Hoffnung. Frankfurter Allgemeine Zeitung und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung erhielten zeitgleich mit dem Comeback-Versuch den Leuchtturmpreis des „Netzwerks Recherche“ für ihre Berichterstattung über die Affäre, weil sie sorgfältig recherchierten, die Verharmlosung widerlegten und sich von Proteststürmen der eigenen Leserschaft und von Abo-Kündigungen nicht beirren liessen. Anders gesagt: Weil sie soliden Journalismus betrieben, wie er überall Standard sein sollte. Ihnen sollte sich Guttenberg im Interview stellen, wenn er wirklich eine nächste Chance haben will.
Erstveröffentlichung: Kölner Stadtanzeiger vom 8. Dezember 2011
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