Neue Zürcher Zeitung, 2. Juli 2004
Eine noch wenig erforschte Frage
Der Zusammenhang von journalistischer Qualität und wirtschaftlichem Erfolg ist noch kaum wissenschaftlich untersucht worden. Ein Fachblatt geht dieser Frage in einer Sonderausgabe nach. Es präsentiert keine eindeutigen Ergebnisse.
«Good journalism, good business» ist ein Sonderheft des «Newspaper Research Journal» betitelt (Vol. 25, Nr. 1/2004). Der Titel ging ohne Fragezeichen in Druck und scheint somit das Klischee vom unbeirrbaren amerikanischen Optimismus zu bestätigen. Doch die ebenso namhaften wie kompetenten Autoren stehen dafür, dass die nötigen kritischen Nachfragen erfolgen.
Jeanne d'Arc des Qualitätsjournalismus
Den Reigen eröffnet Geneva Overholser, so etwas wie die Jeanne d'Arc des amerikanischen Qualitätsjournalismus. Vor Jahren war sie bekannt geworden, als sie den Chefredaktors-Posten einer angesehenen Regionalzeitung an den Nagel hängte, weil der Mutterkonzern Gannett gnadenlos von Quartal zu Quartal noch mehr Profit aus dem Blatt herausquetschen wollte. Danach hat sie ein paar Jahre lang als «Ombudsmann» der «Washington Post» in einer sonntäglichen Kolumne ihren Kollegen öffentlich die Leviten gelesen – darunter so prominenten Kultfiguren des US-Journalismus wie Bob Woodward, dem sie wenig seriösen Umgang mit seinen viel zu zahlreich genutzten anonymen Quellen vorwarf. Heute ist sie Journalistikprofessorin und leitet die Washingtoner Ausbildungsaktivitäten einer der beiden berühmtesten amerikanischen Journalistenschulen.
Im vorliegenden Heft zeichnet Overholser den amerikanischen Diskurs über Qualitätszerfall und Qualitätssicherung im Journalismus nach. Dieser Diskurs nimmt an Intensität zu, ist jedoch bisher auch in Amerika viel zu sehr ein Gespräch unter Fachleuten geblieben. Die Kommunikationsbranche tue sich «notorisch schwer mit der Kommunikation», so Overholser. Gerade Medienunternehmen, die «auf andere Druck ausüben, interne Informationen und internen Dissens preiszugeben, halten Information über sich selbst nachhaltig unter Verschluss». In der Tat: Das Wissen und Können, das PR-Profis inzwischen angehäuft haben, um durch Kommunikation Vertrauen zu bilden, sollte auch in den Chefetagen der Medienwirtschaft stärker genutzt werden, um mit den Publika in einen Dialog zu kommen.
Die Medienökonomen Stephen Lacy und Hugh Martin beschäftigen sich mit Regionen, in denen es einem Konzern gelungen ist, mehrere Regionalzeitungen aufzukaufen und einen sogenannten Cluster zu bilden. Sie haben herausgefunden, dass dies zwar der Konzernbilanz gut tut, weil das Zeitungshaus durch Synergieeffekte Kosten sparen und zugleich die Anzeigenpreise nach oben drücken kann. Die Qualität der Zeitungen leide jedoch unter solchen Zusammenschlüssen, und die verbreitete Gesamtauflage sinke im Vergleich zu Regionen, in denen echter Wettbewerb herrscht.
Überträgt man diese Forschungsergebnisse auf den deutschsprachigen Raum, so ist in der Schweiz bereits der erste Sündenfall mit dem Zusammenschluss von «Bund» und «Berner Zeitung» unter dem Konzerndach der Espace Media eingetreten. In Berlin gibt sich wiederum die rot- grüne Regierung derzeit alle erdenkliche Mühe, durch eine Lockerung der Pressefusionsgesetze gegen den erbitterten Widerstand des Kartellamts solche Situationen mutwillig auch in den wenigen deutschen Stadtregionen herbeizuführen, in denen sich noch Zeitungen konkurrenzieren.
Weitere Höhepunkte des Sonderhefts: Leo Bogart, einer der Gründerväter der US-Zeitungsforschung, setzt sich mit der inhaltlichen Qualität von Tageszeitungen und deren Messbarkeit auseinander. Der schwedische Medienökonom Robert G. Picard untersucht, wie Kommerzialisierung und Marketingaktivitäten auf die Inhalte von Tageszeitungen durchschlagen und mehr und mehr das Konzept des Service public verdrängen. Tom Rosenstiel und Amy Mitchell vom «Project for Excellence in Journalism» sowie der Journalismusforscher Philipp Meyer präsentieren Forschungsergebnisse, wonach sich überdurchschnittliche Investitionen in die Redaktionen und in die Glaubwürdigkeit journalistischer Berichterstattung auszahlen.
Wie viele Redaktoren braucht es?
Rick Edmunds vom Poynter Institute relativiert allerdings diese Resultate anhand einer Ranking- Liste, mit der die Fachzeitschrift «Columbia Journalism Review» die Top-Zeitungen der USA ermittelt. Von 21 der untersuchten Spitzenblätter hätten zwar knapp zwei Drittel eine überdurchschnittliche personelle Ausstattung in ihrer Redaktion. Immerhin 3 seien aber leicht unter dem Ausstattungsdurchschnitt, und 3 weitere erzielten ihre Spitzenpositionen sogar mit deutlich weniger Redaktoren als üblich – was Edmunds auf den Faktor «leadership» zurückführt, allerdings ohne dazu Näheres auszuführen.
Ernüchternd ist auch die Bilanz von Robert G. Picard: Wissenschaftliche Forschung, die Qualität und wirtschaftlichen Erfolg in eine Beziehung zueinander bringe, sei noch «so gut wie inexistent». Immerhin offeriert das «Newspaper Research Journal» erste Ansätze. Der Tenor: Es sei nicht auszuschliessen, dass guter Journalismus auch gute Geschäfte verheisst.