Die Sicherheit von Journalist:innen ist ein Thema, das weltweit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das Monitoring sollte sich dabei nicht darauf beschränken, die Zahl der getöteten Journalist:innen zu erfassen. Vielmehr sollte es ein breites Spektrum an Bedrohungen einbeziehen, denen Journalist:innen in ihrem heutigen Arbeitsumfeld ausgesetzt sind – von Cyberangriffen und Online-Hass bis hin zu finanziellen Sanktionen.
In einem neuen Beitrag, erschienen in Digital Journalism, den wir gemeinsam mit Kolleg:innen der Worlds of Journalism Study verfasst haben, argumentieren wir, dass die berufliche Sicherheit von Journalist:innen vier Schlüsseldimensionen umfasst – physische, psychische, digitale und finanzielle Aspekte. Außerdem stellen wir ein umfassendes und interdisziplinäres konzeptionelles Modell vor, das eine ganzheitliche und systematische Betrachtung dieser Dimensionen ermöglicht. Unser Ansatz erfasst dabei die gesellschaftlichen, organisatorischen und individuellen Risikofaktoren, die die Sicherheit am Arbeitsplatz gefährden, sowie Bewältigungsstrategien und mögliche Lösungsansätze.
Warum die Sicherheit von Journalist:innen relevant ist
Journalist:innen spielen eine Schlüsselrolle für die Gesellschaft – sei es als unabhängige “vierte Gewalt” oder einfach durch die Bereitstellung von Informationen zu relevanten Themen, was der Öffentlichkeit ermöglicht, wichtige und fundierte Entscheidungen zu treffen. Die Fähigkeit von Journalist:innen, ihre Aufgaben zu erfüllen, wird erheblich beeinträchtigt, wenn ihre berufliche Sicherheit in Gefahr ist.
Der jüngste demokratische Niedergang selbst in klassischen Demokratie-Bastionen, ganz zu schweigen von nicht-demokratischen Regimen, hat zu einer immer größeren Bandbreite von Bedrohungen gegen Journalist:innen geführt. In der wissenschaftlichen Literatur findet sich eine lange Liste solcher Angriffe: Hassbotschaften, sexuelle Belästigung, psychische Einschüchterung, Phishing-Angriffe, digitale Überwachung, Anzeigenkürzungen, Bedrohung der Arbeitsplatzsicherheit, Hacking, Kriminalisierung von Whistleblowing und digitaler Vigilantismus (eine Art der Selbstjustiz im digitalen Raum Anm. d. R.), um nur einige zu nennen.
Die Auswirkungen, welche diese Bedrohungen haben können und haben, sollten nicht unterschätzt werden. Sie können zu erhöhtem Stress und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, sowie zu Selbstzensur und zur Erosion von Autonomie. Dies kann zur Verschlechterung der journalistischen Qualität oder sogar zum Ausstieg von Journalist:innen aus dem Beruf führen. Wie wir in unserer Forschung darlegen, hat die Beeinträchtigung der Sicherheit weitreichende persönliche und gesellschaftliche Folgen. Bedrohungen belasten die Erfüllung der journalistischen Aufgaben und somit auch die Funktion des Journalismus als Schlüsselinstitution in der Gesellschaft. Als typisches Beispiel kann die erzwungene Einstellung der Tätigkeit aller russischen Medien, welche Putin und den Kreml kritisieren, als Folge der Verabschiedung des so genannten “Fake News”-Gesetzes genannt werden. Grundsätzlich betrifft die Sicherheit von Journalist:innen nicht nur einzelne Personen und den Berufsstand, sondern auch die Meinungsfreiheit und somit die Gesellschaft als Ganzes.
Obwohl das Interesse an diesem Thema sowohl aus akademischer als auch aus politischer Sicht in den letzten zehn Jahren seit der Verabschiedung des UN-Plans für die Sicherheit von Journalist:innen im Jahr 2012 deutlich zugenommen hat, sind vergleichende Untersuchungen sowohl hinsichtlich des geografischen Umfangs als auch mit Blick auf die Bandbreite der behandelten Sicherheitsfragen immer noch selten. Der Versuch, einen ganzheitlichen konzeptionellen Rahmen für die wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich zu formulieren, wurde bislang nicht unternommen. Genau das war das Ziel unserer Studie.
Was ist die Sicherheit von Journalist:innen? Vier Dimensionen
Bei der beruflichen Sicherheit von Journalist:innen geht es um weit mehr als um Tötungen und physische Angriffe während der Kriegsberichterstattung. Eine enge Definition der Sicherheit von Journalist:innen, die sich vor allem auf die physische Sicherheit konzentriert und das Gesamtspektrum der Bedrohungen, denen Journalist:innen ausgesetzt sind, nicht berücksichtigt, spielt den Täter:innen in die Hände. Sie gibt denjenigen Recht, die – auch in Europa – argumentieren, dass Journalist:innen in einem sicheren Umfeld leben und daher keine oder nur sehr begrenzte Maßnahmen zu ihrem Schutz ergriffen werden müssen. Durch eine enge Definition von Sicherheit verringern wir den Anreiz für politische Entscheidungstragende und Medienorganisationen, proaktiv Angriffe zu verhindern, Journalist:innen zu schulen und zu schützen und die Täter:innen zur Rechenschaft zu ziehen.
Wir definieren die Sicherheit von Journalist:innen als Maß, in dem Medienschaffende ihrer Tätigkeit nachgehen können, ohne dass ihre persönliche (physische und psychische) und infrastrukturelle (digitale und finanzielle) Integrität und ihr Wohlergehen bedroht sind.
Die physische Dimension umfasst alle Handlungen, die sich auf die körperliche Unversehrtheit von Journalist:innen auswirken, wie gewalttätige Angriffe, die die körperliche Unversehrtheit bedrohen (Tötung, Folter und Schläge) sowie Handlungen, die die physische Mobilität bedrohen (Entführungen, Verhaftungen, Festnahmen und Inhaftierungen).
Die psychische Dimension umfasst alle Handlungen, die sich auf das mentale und emotionale Wohlbefinden auswirken, wie z. B. verbale Aggression, Hassrede, Verbreitung persönlicher Informationen, sexuelle/geschlechtsspezifische Belästigung, Stalking, Bürgerwehren, die darauf abzielt, Journalist:innen zu disziplinieren und zum Schweigen zu bringen, sowie Angriffe, die Berichterstattung einschränken will, wie z. B. Einschüchterung, Nötigung, Mobbing am Arbeitsplatz, Razzien in Büros und Beschlagnahmung oder Beschädigung von Ausrüstung.
Die digitale Dimension umfasst alle Maßnahmen, die sich auf die digitale Selbstbestimmung und Freiheit von Journalist:innen auswirken, wie Bedrohungen der digitalen Privatsphäre, einschließlich Phishing-Angriffe, digitale Überwachung, Einschränkung des Zugangs zu Informationen, das Hacking oder Blockieren digitaler Inhalte und Kriminalisierung von digitalem Whistleblowing.
Die finanzielle Dimension umfasst alle Maßnahmen, die sich auf das berufliche Überleben von Journalist:innen auswirken, wie die Bedrohung der Arbeitsplatzstabilität, die Bedrohung grundlegender journalistischer Praktiken/Routinen (Beschaffung, Überprüfung, Produktion) und der Ethik, die Bedrohung des normativen Rollenverständnisses, das durch eine marktorientierte, neoliberale Ideologie ersetzt zu werden droht, und die Bedrohung der thematischen und personellen Vielfalt.
Macht, Stress und Resilienz
Machtdynamiken sind die Wurzel aller Sicherheitsprobleme. Journalist:innen sind in einen ständigen Machtkampf mit politischen Eliten, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppierungen und anderen Akteur:innen verwickelt. Je nach Dynamik können sich Medienschaffende in gefährlichen Situationen und prekären Bedingungen wiederfinden. Wie wir in unserem Artikel darlegen, ist Macht die grundlegende Dynamik, welche die Sicherheit von Journalist:innen beeinflusst. Die Machtkämpfe, in die Journalist:innen verwickelt sind, führen häufig zu Drohungen gegen sie, die wiederum erheblichen Stress verursachen, insbesondere wenn Journalist:innen nicht über die Ressourcen und Unterstützungsstrukturen verfügen, um auf diese Drohungen angemessen zu reagieren und sie zu bewältigen.
Unser Modell zeigt, dass sich aus dem Zusammenspiel von Risikofaktoren, Bedrohungen, den vier Dimensionen der Sicherheit, Stress und Bewältigung drei mögliche Konsequenzen ableiten lassen. Diese sind Widerstand, Unterwerfung und Ausstieg aus dem Beruf. Die Fähigkeit zur erfolgreichen Bewältigung ist für Journalist:innen entscheidend, um widerstandsfähig zu werden. Nur so können Journalist:innen die Arbeit fortsetzen und ihre Rolle weiterhin selbstbestimmt ausüben.
Die Datenerhebung einschließlich repräsentativer Umfragen mit Journalist:innen in etwa 120 Ländern im Rahmen der dritten Welle der Worlds of Journalism Study wird bis Ende 2023 abgeschlossen sein und wird es uns ermöglichen, unser konzeptionelles Modell zu testen.
Mehr zum Thema Online-Gewalt an Journalistinnen hier in unserem EJO-Beitrag.
Schlagwörter:Journalismus, Pressefreiheit, Sicherheit, Sicherheit von Journalist:innen