Tödliche Entkopplung von der Werbung

8. April 2008 • Medienökonomie • von

St. Galler Tagblatt, 4. April 2008
 
Forscher prognostizieren den US-Tageszeitungen eine düstere Zukunft
Amerikanische Zeitungen haben in den letzten Jahren erheblich Auflage eingebüsst. Ein Forschungsbericht sagt eine noch trübere Entwicklung voraus. Das Internet bedroht immer mehr den seriösen Journalismus.

Strom kommt doch, bitte schön, aus der Steckdose. Geld aus dem Bancomaten. Und Information, Nachrichten, Wissen? Sie sprudeln eben aus dem Internet. Wir alle brauchen Information so nötig wie Elektrizität und Bares – aber während wir für Strom und Bankdienste zahlen, gewöhnen wir uns bei Information und Nachrichten daran, «gratis» bekommen zu wollen, was letztlich auch nicht umsonst zu haben ist.

Miserables Anzeigengeschäft
Auch deshalb geht es einer Branche zusehends schlechter, die jahrzehntelang so gut verdient hat wie sonst nur noch Spielcasinos: den Tageszeitungen. In Amerika zeichnet sich der Trend noch deutlich krasser ab als bei uns. Die Auflagenrückgänge beschleunigen sich, und auch das Anzeigengeschäft läuft miserabel – nicht nur rezessionsbedingt, sondern vor allem, weil immer mehr Kleinanzeigen ins Internet abwandern.

Die Werbung folgt nicht
Folgt man dem neuesten «Report zum Zustand der US-Medien» des «Project for Excellence in Journalism», dann sind die Aussichten für den Qualitätsjournalismus nicht nur in Amerika trübe: «Das grösste Problem traditioneller Medien ist nicht mehr die Frage, wo sich die Leute ihre Informationen holen, sondern wie für diese bezahlt werden soll. Es kristallisiert sich heraus, dass die Werbewirtschaft nicht mit den Konsumenten zusammen in die Online-Nachrichtenwelt übersiedelt. Nachrichtenangebote und Werbung scheinen sich fundamental zu entkoppeln», heisst es in dem Report lapidar.

Träfe dies zu, verlöre nicht nur die gedruckte Tageszeitung dauerhaft ihre bisherige Finanzierungsbasis – sondern der anspruchsvolle Journalismus überhaupt. Der Bericht gibt alle Jahre wieder einen fundierten Überblick über die Entwicklung der Medien und des Journalismus in den Vereinigten Staaten, und er wird absehbar Amerikas Zeitungsverlegern und Chefredaktoren Kopfzerbrechen bereiten, wenn diese sich nächste Woche zu ihrer gemeinsamen Jahrestagung treffen. Viele grosse Zeitungen haben in den letzten drei oder vier Jahren zwischen 20 und 30 Prozent ihrer Auflage verloren.

Ein Lichtblick
Immerhin, es gibt einen Lichtblick am Horizont: Die Amerikaner versorgen sich zusehends aus dem Internet mit Nachrichten – und klicken dabei immer häufiger die Websites der grossen Zeitungen an. Bei den Online-Offerten sind zudem weiterhin satte Zuwachsraten beim Werbeaufkommen zu verzeichnen.

Sie kompensieren allerdings längst nicht die Umsatzeinbussen, welche den Verlagen im herkömmlichen Geschäft mit gedruckten Zeitungen entstehen. Der Silberstreif am Horizont könnte sich zudem als Fata Morgana erweisen: Den Löwenanteil an Clicks und damit an Werbeeinkünften bekommen Internet-Portale wie Google, Yahoo und Co.

Die «Trittbrettfahrer»
Sie bieten neben vielem anderen auch Nachrichten an, ohne sich jedoch an deren redaktionellen Erstellungskosten angemessen zu beteiligen. Tom Patterson bezeichnet sie als «Trittbrettfahrer». Der Harvard-Professor hat am Beispiel von 160 Websites in den USA ein Jahr lang untersucht, wie sich die Nachrichtenangebote im Internet verändern.

Weil Inserategeschäft und Auflage sich im Sinkflug befinden, werden Redaktionen und Korrespondentennetze ausgedünnt. So kommt ein Teufelskreis in Gang. Blätter, die sich einst stattliche Redaktionen leisten konnten, verlegen sich auf Billigproduktion. Ein Beispiel: Im «San Francisco Chronicle» finden sich auf Seite 1 oft nur Lokalnachrichten und auf den folgenden Seiten ein Verschnitt aus AP, «New York Times», «Los Angeles Times» und «Washington Post».

Es wird zwar alles Mögliche und Unmögliche ausprobiert, um Kosten zu sparen und Synergien zu erzielen, aber ein Ausweg aus der Krise scheint nicht in Sicht. Die Medienexpertin Michele McLellan hat kürzlich die Zeitungsbranche mit Telefonherstellern verglichen, die verzweifelt einem alten Schnur- und Tastentelefon neue «buttons» hinzufügen, obschon das iPhone längst auf dem Markt ist.

PR als billige Alternative
Leider hinkt der Vergleich: Das iPhone hat die alte Technologie überflüssig gemacht. Verlässliche journalistische Information werden wir dagegen auch in Zukunft brauchen. Nur wird es immer unwahrscheinlicher, dass die Werbewirtschaft sie weiterhin querfinanziert. Sie verfügt über billigere strategische Ausweichmöglichkeiten. Eine davon ist es, Redaktionen mit PR «zuzumüllen». Je schlechter diese besetzt sind, desto wahrscheinlicher wird es, dass – nicht nur in Amerika – Redaktoren per Mausclick solche Medienmitteilungen in «Journalismus» verwandeln.

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