Vermeintlicher Verbraucherschutz

26. Oktober 2008 • PR & Marketing • von

Erstveröffentlichung: Werbewoche 37/08

Mehr Aufklärung über den Medienbetrieb statt Reglementierung: Höchste Zeit in diesen Tagen des Umbruchs, wo sich viele den regulierenden Staat zurückwünschen, das Hohelied der Freiheit anzustimmen.

Neuerlich macht sich eine Koalition der Besserwisser und Schutzpatrone für Werbeverbote stark. Sie wollen anderen vorschreiben, ob sie Zigaretten- oder Alkoholwerbung sehen dürfen.  Werbetreibende möchten sie zwingen, 20 Prozent einer Werbefläche für Hinweise auf schädliche Nebenwirkungen bestimmter Produkte zu reservieren. Solche Kleingeister offenbaren damit nicht nur ihre Krämerseelen, sie würden am liebsten mündige Mitmenschen in einer Weise bevormunden, die einer Demokratie unwürdig ist. Und entzögen damit gerade jenen Medien die Ressourcen, die mit gut ausgestatteten Redaktionen und seriösem Journalismus  aufklären  könnten – allerdings nicht nur über die Gefahren, die von Drogen ausgehen, sondern auch über die Risiken von Machtphantasien, mit denen Populisten, Bürokraten und Bürgerbevormunder in ihrer Regulierungswut Freiheit zu ersticken drohen.Wem dies zu platt und „neoliberal“ gedacht ist, der sei zu einem Gedankenspiel eingeladen: Warum schaffen wir nicht ganz radikal jedwede Werbung ab? Was die „geheimen Verführer“ so alles an Bösem im Schilde führen, wie sie uns manipulieren, lässt sich im Klassiker von Vance Packard nachlesen – wobei die Methoden seither sicherlich noch raffinierter geworden sind. Also höchste Zeit, diesen Unfug zu stoppen…

Denkt man solche Experimente zu Ende, merkt man schnell, dass der vermeintliche Verbraucherschutz mit grossen Informations- und Freiheitsverlusten erkauft würde – und dass die Reglementierer, wie so oft, die ungeplanten Folgen ihrer „guten“ Absichten nicht zu übersehen vermögen. Die meisten von uns,  die ihr Leben westlich des Eisernen Vorhangs leben durften oder durch die Gnade der späten Geburt den Realsozialismus nur aus dem Kino kennen, vermögen sich ja kaum noch auszumalen, wie trist eine Welt ohne Werbung wäre. Irgendwie ist es ja auch schön, dass uns dieses bleierne Grau unvorstellbar geworden ist.

Weil  solch ein Sozialexperiment bereits unsere Phantasie überfordert, hier Gedankenspiel Nr. 2. Gehen wir den Freiheits-Räubern mit ihren eigenen Mitteln an den Kragen: Wie wäre es, wenn jede Europa-Werbung der Brüsseler EU-Kommission einen Hinweis auf die lähmenden Nebenwirkungen von Regulierungswut und Eurosklerose enthalten müsste? Und jede Wahlanzeige einer politischen Partei mit grossaufgedruckten Hinweisen wie diesen zu versehen wäre: „Vorsicht! Glauben Sie besser keine Wahlversprechen“ oder „Wer ans Gemeinwohl appelliert, verfolgt möglicherweise Eigeninteressen.“ Ein solcher Regulierungs-Vorschlag wäre bei einer Volkabstimmung vermutlich mehrheitsfähig.

Weshalb wir uns flugs Gedankenexperiment Nr. 3 zuwenden: Wenn schon Reglementierung, warum nicht anders herum? Um ein Minimum an Unabhängigkeit, Seriosität und Integrität eines Medienprodukts zu garantieren und um Redaktionen und Verlage nicht gänzlich zum Spielball der Werbetreibenden zu machen, könnte der Gesetzgeber Medienunternehmen darauf verpflichten, mindestens 50 Prozent ihres Umsatzes von den Mediennutzern zu generieren. Das wäre das sichere Aus für Gratiszeitungen. Es würden tagtäglich Dutzende Bäume gerettet, auch die Verschandelung von Bahnhöfen, Trams und Innenstädten durch herrenloses Altpapier wäre gestoppt – gar nicht zu reden von der geistigen Umweltverschmutzung, die uns mit „Gratis“-Journalismus zugemutet wird und künftig erspart bliebe.

Aber auch in solch einem Gemeinwesen, in dem uns der Staat zwingt, für weitere Medienprodukte bezahlen zu müssen, möchten wir vermutlich nicht leben. Ist ja schon schlimm genug, dass wir mit der Radio- und Fernsehgebühr Monat für Monat geschröpft werden. Höchste Zeit also, gerade jetzt, in diesen Tagen des Umbruchs, wo sich viele Menschen den regulierenden Staat zurückwünschen, das Hohelied der Freiheit anzustimmen. Was wir uns allerdings hinzu wünschen sollten, ist verantwortlicher Umgang mit Freiheit. Der wiederum setzt ein bestimmtes Wissen voraus. Statt Reglementierung also mehr Aufklärung über den Medienbetrieb und das Geschehen hinter seinen Kulissen –  und damit auch über Public Relations, Marketing und Werbung. In der Schule, an den Unis, aber bitte auch in den Medien selbst.

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