An der Grenze zum hörigen Journalismus

18. Juni 2013 • Medienpolitik, Qualität & Ethik • von

Etwas mehr als 20 Jahre – die Medienlandschaft des Baltikums hatte nicht lange Zeit, um sich nach dem Ende ihrer Gleichschaltung in der Sowjetunion zu entwickeln. Die Medien der drei Staaten haben seitdem sehr unterschiedliche Wege genommen.

Während sich in Estland weitestgehend freie, liberal orientierte Medien geformt haben, haben Journalisten in Lettland weiterhin Probleme, ihre gesellschaftliche Rolle nach dem Ende des kommunistischen Regimes zu finden. Welche Perspektiven gibt es heute für freien und unabhängigen Journalismus in dem baltischen Staat? Ainars Dimants, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Turiba University in Riga und Leiter des lettischen EJO-Teams, gibt in einer Analyse Antworten auf diese Frage.

Historisch betrachtet gehört die Medienlandschaft des Baltikums  – abgesehen von der Phase der 50-jährigen Besatzung der Sowjetunion – zum demokratisch-korporatistischen Modell, mit dem die Autoren dieser Klassifikation, Daniel Hallin und Paolo Mancini, die Medienlandschaft in Nordeuropa und auch in Deutschland beschreiben. Doch laut Dimants tendieren viele Medien in Lettland zu einer politischen Abhängigkeit, die dem genannten Medien-Modell fundamental widerspricht.

Er betont kritische Punkte, an denen sich die Zukunft der lettischen Medien seiner Meinung nach entscheiden wird. Journalisten und ganze Redaktionen müssten sich aus der Abhängigkeit zu einzelnen Politikern oder Parteien lösen. Ob dies gelingt, steht und fällt nach Ansicht von Dimants mit der Frage: Kann Lettland seiner Presse durch wirkungsvolle Gesetze garantieren, dass sie unabhängig berichten kann und schafft es die Regierung, Besitzverhältnisse im Mediengeschäft transparent zu machen? Darüber hinaus müsse die Politik sich überwinden, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die journalistische Unabhängigkeit zu entlassen und Bildungseinrichtungen schaffen, die seine Mitarbeiter sowie junge Nachwuchsjournalisten zu kritischen Berichterstattern professionalisieren.

Wie weit der Weg dorthin noch ist, macht Dimants an konkreten Beispielen deutlich. Etwa an der parteipolitischen Abhängigkeit, in die sich die ehemals größte Tageszeitung Diena bis 2001 begeben hatte. Die liberale Zeitung diente sich damals sehr dem regierenden Ministerpräsidenten Andris Skele an und verprellte damit effektiv Leser. Die Auflage ging erheblich zurück, die konservative Konkurrentin Latvijas Avīze übernahm die Marktführung, da die Leser Diena nicht mehr vertrauten. Auch einem ausländischen Investor war die obrigkeitshörige Haltung der Zeitung nicht mehr geheuer: Die schwedische Bonnier Group zog sich 2009 aus der Beteiligung an der herausgebenden Aktiengesellschft Diena zurück.

Einige Parteien versuchten sogar vor der Parlamentswahl ihnen genehme Redakeure bei Diena unterzubringen. Doch gegen diese an die sowjetische Besatzung erinnernde Einmischung wehrten sich die Mitarbeiter Dienas erfolgreich.  Danach fiel Diena jedoch dem Unternehmer Viesturs Koziols zu und dient seitdem als Sprachrohr der wenigen lettischen Oligarchen.

Umfragen im Auftrag der Nachrichtenagentur LETA belegen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Massenmedien stetig abnimmt. So büßten Hörfunk, Fernsehen und Presse in Lettland zwischen Mai 2011 und Oktober 2012 in puncto Vertrauen 12, 11 beziehungsweise 8 Prozentpunkte ein.

Daran macht Dimants fest, dass die lettischen Medien sich grundlegend reformieren, unabhängiger und inhaltlich stärker werden müssen, wenn sie in Zeiten international abrufbarer Internetangebote mit Informationen aus aller Welt marktfähig bleiben wollen. Dennoch gibt es auch Beispiele politischer Einflussnahme, in denen die Medien von Gönnern durchfinanziert werden.  So muss sich laut Dimants etwa die drittgrößte Zeitung Neatkarīgā Rīta Avīze keine Sorgen um sinkende Auflagen machen: Sie wird vom Ventspilser Bürgermeister Aivars Lembergs subventioniert – und dient dafür als sein Sprachrohr. Der Preiskampf, den die Zeitung dank dieser Gelder starten konnte, gefährdet allerdings die gesamte Zeitungslandschaft und somit auch die unabhängigen Blätter.

Das Problem sei, so Dimants, dass es „in vielen Fällen gar nicht um das Mediengeschäft geht, sondern um die Instrumentalisierung der Medien für andere geschäftliche und politische Ziele.“  Dies trifft besonders für die russischsprachigen Medien im Land zu, die sich an die russischen Minderheiten richten. Sie sind in den Händen einiger weniger russischer Investoren gebündelt und verbreiten teils exakt dieselben Inhalte wie die Medien in Russland selbst. So sendet der erste baltische Kanal Pirmais Baltijas kanāls, der zum Medienkonzern Baltic Media Alliance gehört, dieselben Inhalte im lettischen Riga wie sie der erste Kanal Russlands Pervyj kanal aus Moskau ausstrahlt – staatlich gesteuert von Wladimir Putin versteht sich.

Andere Medien wie die größte russischsprachige Tagezeitung Vesti segodnja und die Wochenzeitung Vesti sind der Partei Saskaņas centrs (Harmonie-Zentrum) verbunden. Die prorussische Partei proklamiert in regelmäßigen Abständen, die rechtliche Autonomie der baltischen Staaten vor Russland solle nicht anerkannt werden. Eine gemeinschaftsstiftende, der lettischen Gesellschaft zuträgliche Berichterstattung sähe wohl anders aus.

Während die Abhängigkeiten in diesen Fällen noch recht offensichtlich sind, blieben die Besitzverhältnisse der meisten Medien in Lettland unklar, kritisiert Dimants. So wirken etwa im Hintergrund der größten Zeitung Latvijas Avīze Offshore-Investoren, die niemand kennt. Von den meisten Medienhäusern werden zudem weder genaue Auflagen- noch Abonnentenzahlen veröffentlicht.

Diese Geheimniskrämerei könnte ein Grund dafür sein, dass auch die Werbe-Kunden sich zunehmend aus dem Mediengeschäft zurückziehen. 2009 schrumpfte der lettische Werbemarkt in den traditionellen Medien inklusive Onlineangebote um 46 Prozent, 2010 nochmals um 13 Prozent. 2011 erholten sich die Medienunternehmen ein wenig von diesem Schock, sie verzeichneten wieder fünf Prozent mehr Werbeeinnahmen, wobei die Kunden allerdings vor allem in Online-Werbung investierten.

Dass im Printbereich gute Inhalte noch immer ziehen könnten, sehe man am Beispiel der Tageszeitung Latvijas Avīze und einem Projekt, das ehemalige Mitarbeiter von Diena nach dem großen Ausverkauf ihrer Zeitung starteten: Ir. Das Nachrichtenmagazin, das sowohl alle Aktionäre transparent macht als auch offenlegt, nach welchen ethischen Kodizes die Redaktion verfährt, ist seit der Gründung 2011 sehr beliebt. Um sich von anderen Zeitungen und Magazinen abzugrenzen, versuchen die Journalisten investigativ zu recherchieren und viele politische Storys zu bringen. Sie fahren gut damit, was sich auch daran zeigt, dass die Leser ihre Onlineangebote abrufen, obwohl sie kostenpflichtig sind.

Ob sich Angebote wie Ir langfristig durchsetzen und auch rechnen, bleibt abzuwarten. Denn der bisherige Trend zeigt in die andere Richtung: In den vergangenen zehn Jahren senkten die lettischen Medienunternehmen ihre Personalkosten um 40 Prozent, was einige Redaktionen praktisch rechercheunfähig gemacht hat. Infolge sitzen sie immer häufiger PR-Aktionen und Fehlinformationen auf, am drastischsten zeigte sich das an einer Ente 2009: Etliche Redaktionen verbreiteten ungeprüft die Meldung von einem Meteoriten-Absturz, die das Mobilfunkunternehmen Tele 2 in die Welt gesetzt hatte.

Dimants hält es deshalb für essentiell, dass Journalisten besser als bisher ausgebildet werden, sich besser organisieren und auch selbstkritisch beobachten – mit Hilfe von Berufsverbänden, einer Fachpresse für die Medienbranche, Medienjournalismus sowie Medienforschung. Die Professionalisierung sei ein „Königsweg“. Nur so könnten die Medien  ihre Funktion in einem demokratischen System ausfüllen und eine gemeinsame journalistische Kultur mit hohem Qualitätsstandard aufweisen, die Lettland tatsächlich in Richtung des demokratisch-korporativen Medien-Modells bringe.

Die lettische Regierung habe in den vergangenen Jahren eine solche Medienpolitik durchaus angestoßen. Dimants verweist darauf, dass im Februar 2012 der Nationale Rat für die elektronischen Medien, dessen Vorsitzender er ist, reformiert wurde: Er orientiere sich nun eher am Vorbild westeuropäischer Rundfunkgremien. Zuvor habe es häufig Eingriffe in die Arbeit des Rundfunks von der jeweiligen Regierung gegeben, etwa Redaktionsdurchsuchungen oder Beschlagnahmungen von Rechnern und Dokumenten. Ein weiterer kleiner Lichtblick seien die neu gegründete Assoziation der Journalisten Lettlands, die 2011 auch eine Ethikkommission zur Überwachung journalistischer Ethik einsetzte, und das Investigativ-Forum Re:Baltica. Doch noch scheint die Zukunft der lettischen Medien vollkommen unklar. Dimants: „Die Ergebnisse dieser Politik bleiben vorerst abzuwarten.“

Bildquelle: txd / Flickr

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