Münchhausens Schüler

28. April 2010 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: Weltwoche Nr. 16/2010

Heute stellen wir eine richtig naive Frage: Dürfen Verleger eigentlich lügen?

Als im Jahr 2005 das Zürcher Verlagshaus Tamedia die Thurgauer Zeitung kaufte, verfassten Verleger Hans Heinrich Coninx und CEO Martin Kall ein pathetisches Presse-Communiqué: «Mit der Übernahme sichert Tamedia die langfristige Unabhängigkeit der Thurgauer Zeitung und die Medienvielfalt im Kanton Thurgau.»

Unabhängigkeit. Vielfalt. Letzte Woche kam das Ende für die Thurgauer Zeitung. Tamedia verkaufte sie an die NZZ-Gruppe. Die stellt die Zeitung ein, um Platz für das eigene St. Galler Tagblatt zu schaffen. Nun verstehen sie im Thurgau die Welt nicht mehr. «Das ist eine gewaltige Sauerei», sagt Leserbriefschreiber Gaston Zwahlen aus Berg TG. «Man hat uns angelogen», sagt der kantonale Regierungspräsident Claudius Graf-Schelling aus Arbon TG.

So blöd können nur Thurgauer sein, dass sie den Worten eines Verlegers glauben.
Die Medienbranche, wie andere Branchen auch, ist durchsetzt mit Lügenbaronen aller Art. Da versichert Charles von Graffenried jahrelang, seine Berner Zeitung werde stets bernisch bleiben. Natürlich verkauft er dann nach Zürich. Da versichert Matthias Hagemann jahrelang, seine Basler Zeitung werde in der Familie bleiben. Natürlich verkauft er dann an Tito Tettamanti. Da versichert Tamedia-Chef Kall seiner Belegschaft, das Gratisblatt News werde weiter erscheinen. Natürlich stellt er es kurz darauf ein.

Die Frage mag naiv sein, hat aber ihren Reiz: Muss eine Medienbranche, die Politiker und Manager täglich als Lügner brandmarkt, muss eine solche Branche höhere moralische Ansprüche erfüllen, wenn es in eigener Sache um die Wahrheit geht?

Wir verstehen zuerst, dass man bei Übernahmen mitunter die Realität etwas biegen muss. Geheimhaltung erfordert die Kunst des Schwindelns. Hier unterscheidet sich ein Medienhaus nicht von Swisscom, Emmi und Roche, die letzte Woche ebenfalls einen Konkurrenten übernahmen.

Was wir nicht verstehen, ist etwas anderes. Bei Swisscom, Emmi und Roche redet man nach dem Deal ehrlich von Ökonomie. Man redet von Synergien und Integration. Darum hat man gekauft.

Verlage hingegen reden nach dem Deal nicht von Integration, sondern von hehren Werten wie Unabhängigkeit und Vielfalt. Es ist darum stets nur eine Frage der Zeit, bis diese frommen Lügen platzen. Das werden wir auch im neusten Fall erleben, bei dem Tamedia die Zürichsee-Zeitung, den Zürcher Unterländer und den Zürcher Oberländer kaufte. Die drei Regionalblätter würden, versichert Tamedia-Präsident Pietro Supino, völlig unabhängige Titel bleiben. Sein Tages-Anzeiger darf sie zudem mit seinen Regionalausgaben bis aufs Blut bekämpfen. Warum kauft er sie dann?

Medienmanager machen darum stets vollmundige Versprechen, weil sie tief im Inneren wissen, dass sie nicht bei Swisscom, Emmi und Roche sind. Sie wissen, dass sie kulturelle Produkte herstellen, die regionale Identitäten stiften. Deswegen haben sie kein gutes Gewissen, wenn sie Zeitungen killen. Deswegen schwindeln sie die blöden Thurgauer halt etwas an und versprechen ihnen «die langfristige Unabhängigkeit der Zeitung und die Medienvielfalt im Kanton». Wenn die das glauben, sind sie selber schuld.

Wir verlangen nicht, dass Verlagshäuser generell eine höhere Moral haben als andere Branchen. Wir wünschen uns nur weniger Scheinheiligkeit. Mit Schaum vor dem Mund jagen unsere Journalisten seit Monaten die Banker und Bundesräte dieses Landes, weil die Finanzkrise sie vielleicht zur einen oder anderen Halbwahrheit verleitete. Mit Schaum vor dem Mund rufen sie nach Vergeltung.

Wir sagen ihnen nur: Die Redewendung zum Thema stammt aus der eigenen Branche – lügen wie gedruckt.

Bildquelle: La Tête Crançien / Flickr CC

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