Wie europäische Medien über die Olympischen Winterspiele 2022 berichtet haben

25. März 2022 • Aktuelle Beiträge, Forschung aus 1. Hand, Internationales, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Die Olympischen Winterspiele 2022 waren nicht nur ein Sportevent, sondern auch ein politisches Ereignis – ja, ein „politisiertes“ Ereignis. Das EJO-Netzwerk hat untersucht, wie Medien in Deutschland, Großbritannien, Lettland, Polen, der Schweiz und Tschechien über die Spiele berichtet haben.

Die Olympischen Spiele sind eines der größten Medienereignisse unserer Zeit. Bei den diesjährigen Olympischen Winterspielen in China waren mehr als 1.400 Journalisten und 520 Nachrichtenorganisationen aus aller Welt akkreditiert.

In den vergangenen Jahren hat es zahlreiche Untersuchungen zur Medienberichterstattung über die Olympischen Spiele gegeben, wobei der Schwerpunkt häufig auf Gender und Geschlecht (Salido-Fernández & Muñoz-Muñoz, 2021), Nationalität (Eagleman, Burch & Vooris, 2014) oder bestimmten Abschnitten der Veranstaltung (z.B. der Eröffnungs- und Abschlusszeremonie bei Lee, 2021) lag. Der Nachrichtenwert der Olympischen Spiele ergibt sich nicht nur daraus, dass sie das größte internationale Sportereignis der Gegenwart sind, sondern auch aus den diplomatischen Auseinandersetzungen, die meist vor und während der Spiele stattfinden (wie die Treffen zwischen nord- und südkoreanischen Politikern bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang, über die English & Murray, 2021, geschrieben haben).

Im Vorfeld der diesjährigen Spiele in Peking äußerten Politiker aus vielen Ländern ihren Unmut über die Volksrepublik China als Gastgeber und kritisierten Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung von Minderheiten und Regimekritikern sowie die repressive Pandemiepolitik im Land. Schließlich kündigten einige Länder an, die Veranstaltung diplomatisch zu boykottieren, darunter Litauen, Großbritannien, Estland, Lettland, Belgien, Schweden, die Niederlande, Dänemark und (de facto) Deutschland.

Für unsere EJO-Analyse der europäischen Berichterstattung über die Olympischen Winterspiele 2022 in der Volksrepublik China bildeten wir ein Team aus sechs EJO-Partnerländern – Deutschland, Großbritannien, Lettland, Polen, Schweiz und Tschechien. Wir untersuchten insgesamt 712 Artikel, die im Zeitraum vom 7. bis 11. Februar 2022 veröffentlicht wurden. Jedem Partner wurde vorgegeben, drei traditionelle, in seinem Land führende Medien mit unterschiedlichen politischen Positionen auszuwählen, sofern möglich. Die ausgewählten Medien sind (alphabetisch nach Land geordnet):

Deutschland

taz – die Tageszeitung (links)
Süddeutsche Zeitung (SZ, Mitte-links)
Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z., Mitte-rechts)

Großbritannien

The Guardian (Mitte-links)
The Independent (Mitte)
The Daily Mail (Mitte-rechts)

Lettland

Delfi.lv
Segonda (Mitte-rechts)
Latvijas Avīze (Mitte-rechts, konservativ)

Polen

Gazeta Wyborczka (Mitte-links)
Fakt (Mitte)
Rzeczpospolita (Mitte-rechts)

Schweiz (Romandie)

24heures (Mitte-links)
Le Temps (Mitte-rechts)
La Liberté (Mitte-links)

Tschechien

lydovky.cz (Mitte-links)
Deník N (Mitte)
SeznamZprávy.cz (Mitte)

Abbildung 1 zeigt, dass die Anzahl der von den einzelnen Medien veröffentlichten Artikel relativ konstant ist, wobei die Online-Medien mehr Artikel veröffentlichten. Die lettische Online-Nachrichtenplattform Delfi.lv stellt mit 167 Artikeln einen deutlichen Ausreißer dar.

Abb. 1: Anzahl der von den einzelnen Medien im Untersuchungszeitraum (07.-11.02.2022) veröffentlichten Artikel. N=712. *Es wurden nur Printinhalte analysiert.

Die Leitfrage der Analyse war: Wie berichteten die verschiedenen Medien über den diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele 2022? Außerdem galt es zu untersuchen, wie die Medien über Fragen der Meinungsfreiheit oder andere menschenrechtsbezogene Themen im Zusammenhang mit den Spielen informieren und wessen Sichtpunkte in den Artikeln vertreten sind (Athleten, Politiker, IOC-Sprecher etc.). Abbildung 2 zeigt die Anzahl der veröffentlichten Artikel im Vergleich zur Anzahl der Athleten, die an den Olympischen Winterspielen 2022 teilgenommen haben, pro Land. Es fällt auf, dass in den untersuchten Medien in Großbritannien und Lettland trotz einer geringen Anzahl teilnehmender Athleten relativ umfassend berichtet wurde.

Abb. 2: Anzahl der Artikel, die von den einzelnen Medien im Untersuchungszeitraum (07.02.-11.02.2022) veröffentlicht wurden, und Anzahl der Athleten, die an den Olympischen Winterspielen 2022 teilnahmen, pro Land (Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/2022_Winter_Olympics). *Es wurden nur Printartikel analysiert. N (Artikel)=712.

Ein weiteres Ziel der Analyse war es, die Strukturen innerhalb der Berichterstattung über „politisierte“ Sportereignisse wie die Winterspiele 2022 zu untersuchen und aufzuzeigen, wie sich Tonalitäten und Schwerpunkte zwischen Zeitungen mit unterschiedlichen politischen Tendenzen unterscheiden können. Darauf aufbauend sollen Vorschläge gemacht werden, wie Journalisten ein Gleichgewicht zwischen Sportberichterstattung und (kritischer) politischer Berichterstattung finden können.

Abbildung 3 zeigt, dass die Tonalität der Berichterstattung größtenteils einheitlich war, wobei Artikel, die eine kritische Tendenz gegenüber der Veranstaltung, der Politik der Volksrepublik China oder damit zusammenhängenden Themen aufwiesen, den größten Anteil ausmachten, während Artikel, in denen sich positiv zu einem der Aspekte geäußert wurde, selten waren. Die Grafik bezieht sich allerdings nur auf die nicht ausschließlich sportbezogenen Artikel. Betrachtet man die Gesamtheit aller Artikel, so zeigt sich, dass überwiegend neutral berichtet wurde.

Abb. 3: Tonalität aller nicht ausschließlich sportbezogenen Artikel, die von den einzelnen Medien im Untersuchungszeitraum (7.2.-11.2.2022) veröffentlicht wurden. N=127.

Aktuelle Beiträge aus der Medienforschung legen nahe, dass Medien mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung über bestimmte Themen unterschiedlich berichten, unterschiedliche Frames nutzen und Schwerpunkte setzen (Fengler und Kreutler, 2020, zeigten dies beispielsweise im Zusammenhang mit dem Thema Migration). Während es keinen Zweifel daran gibt, dass Medienunternehmen unterschiedliche politische Positionen vertreten (Eilders, 2002, zeigte dies für die deutsche Zeitungslandschaft), scheint es vom Thema abzuhängen, ob sich politische Unterschiede zwischen Medienunternehmen tatsächlich in der Berichterstattung niederschlagen. Salgado und Nienstedt (2016) konnten zum Beispiel keine von der politischen Tendenz der jeweiligen Medien abhängigen Muster in der Berichterstattung über die Eurokrise zwischen 2010 und 2012 bestätigen.

Abbildung 4 zeigt, wie sich die Tendenzen der Artikel zwischen den politischen Positionen der untersuchten Medien unterscheiden. Hier können kaum nennenswerte Unterschiede festgestellt werden.

Abb. 4: Tonalität der im Untersuchungszeitraum (7.2.-11.2.2022) veröffentlichten nicht rein sportbezogenen Artikel nach politischer Tendenz in Prozent. N=124. Delfi.lv (Lettland) konnte keiner politische Tendenz zugeordnet werden.

In Abbildung 5 wurde der Anteil der kritischen Artikel gegen den Anteil der rein sportbezogenen Artikel pro Medium aufgetragen. Hier zeigt sich, dass Medien, die einen hohen Anteil rein sportbezogener Artikel zu den Olympischen Spielen veröffentlicht haben, eher neutral berichteten, während Medien, die nicht nur sportbezogen darüber berichteten, eher zu kritischen Tönen tendierten.

Abb. 5: Anteil kritischer Artikel an der Gesamtzahl aller Artikel eines Mediums aufgetragen gegen den relativen Anteil der Artikel mit reinem Sportbezug. Farben zeigen politische Tendenz an. Delfi.lv (Lettland) konnte keine politische Tendenz zugeordnet werden. Daten beziehen sich auf den Untersuchungszeitraum 07.02.-11.02.2022.

🇩🇪 Deutschland

Für Deutschland wurde die Berichterstattung von drei gedruckten Tageszeitungen mit unterschiedlichen politischen Tendenzen analysiert: die links-grüne taz – Die Tageszeitung (taz), die Mitte-links-orientierte Süddeutsche Zeitung (SZ) und die Mitte-rechts-orientierte Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.). Der Zugriff auf die Artikel erfolgte über die Datenbank FACTIVA sowie das Online-Archiv der F.A.Z. Im Untersuchungszeitraum wurden insgesamt 98 Artikel veröffentlicht, die sich mit den Olympischen Winterspielen 2022 in der Volksrepublik China befassten: 20 in der taz, 37 in der SZ und 41 in der F.A.Z.

Qualitativ unterschied sich die Berichterstattung der drei Tageszeitungen nicht besonders deutlich, was angesichts der allgemein kritischen Haltung der deutschen Öffentlichkeit und der meisten traditionellen Medien in Deutschland gegenüber der Volksrepublik China zu erwarten war.

Das wichtigste Ereignis innerhalb des Untersuchungszeitraums, über das alle drei Medien kritisch berichteten, war das Interview der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai mit der französischen Zeitung L’Équipe, nachdem Shuai den chinesischen Politiker Zhang Gaoli der sexuellen Nötigung beschuldigt hatte und daraufhin für eine Weile aus der Öffentlichkeit verschwand. Als Reaktion auf die Aussage eines IOC-Sprechers, das Komitee werde keine weiteren Informationen zum Fall Shuai herausgeben, kommentierte die SZ: „Als ginge das Wohl eines Menschen, der auch dreimal an den Olympischen Spielen teilgenommen hatte und von dem völlig ungewiss ist, wie frei er sich äußern kann, niemanden etwas an.“ In einem weiteren Artikel bezeichnete SZ-Autor Claudio Catuogno den Umgang von IOC-Präsident Thomas Bach mit dem Thema als „perfide“.

Die taz schrieb, der L’Équipe-Artikel „ließ tief blicken in eine moralisch verkommene Welt, in der ein älterer, hochrangiger Politkader eine junge Athletin manipuliert und als Mätresse hält“. Und weiter: „Um den Fall besser zu verstehen, sollte man unbedingt wissen, dass Pekings Sicherheitsapparat über eine lange Tradition verfügt, unliebsame Personen zu Geständnissen zwingt und diese im Staatsfernsehen ausstrahlt.“ In der F.A.Z. befasste man sich ebenfalls mit dem chinesischen Staatsapparat und schrieb, dass Peng Shuais Aussagen in dem Interview exakt der Regime-Propaganda entsprechen würden.

Diplomatische Boykotte der Winterspiele waren im Untersuchungszeitraum nicht Gegenstand der Berichterstattung, möglicherweise weil nicht die Volksrepublik China, sondern die deutsch-russischen Beziehungen und die Anfangsphase des russischen Krieges gegen die Ukraine im Mittelpunkt der politischen Aufmerksamkeit standen. Den mit Abstand größten Redeanteil in den Artikeln hatten deutsche Sportler.

Konträr zur recht homogenen Qualität der Berichterstattung ließen sich deutliche quantitative Unterschiede zwischen den drei Zeitungen feststellen, und zwar in

  • der Gesamtzahl der im Untersuchungszeitraum veröffentlichten Artikel
  • der Anzahl der Artikel, die sich ausschließlich mit Sportthemen befassen und
  • dem Verhältnis von kritischen zu neutralen Artikeln (es wurden keine Artikel gefunden, die einen positiven Ton gegenüber der Volksrepublik China anschlugen).

Der einzige Tag, an dem die kritische Berichterstattung die neutrale übertraf, war der 8. Februar, der Tag, an dem sich alle drei Zeitungen mit dem Fall Peng Shuai befassten. Darüber hinaus zeigen die Daten, dass die taz das ausgeglichenste Verhältnis zwischen kritischen und neutralen Artikeln aufweist, während in der SZ und der F.A.Z. die neutralen Artikel die kritischen überwiegen: Während die taz mehr Artikel mit nicht reinem Sportbezug veröffentlichte als solche mit Sportbezug, publizierten SZ und F.A.Z. deutlich mehr sportbezogene Artikel. Es überrascht nicht, dass die meisten neutralen Artikel einen Sportbezug haben (oder umgekehrt), und nur ein kleiner Teil der kritischen Artikel befasst sich ausschließlich mit Sport. Betrachtet man nur Artikel, die nicht rein auf Sportthemen bezogen waren, gleicht sich die Verteilung von kritischen und neutralen Artikeln zwischen den drei Zeitungen an.

🇬🇧 Großbritannien

Während der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping früher mit dem ehemaligen Premierminister David Cameron auf milliardenschwere Verträge anstieß, gibt es heute nur noch Spannungen zwischen der Volksrepublik China und Großbritannien.

Im Dezember 2021 kündigte Premierminister Boris Johnson an, dass sich Großbritannien dem diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele in Peking anschließen und sich weigern werde, offiziell Minister nach China zu entsenden. Nach Angaben der Daily Mail wurde die Entscheidung angeblich auf Druck des Tory-Abgeordneten Sir Iain Duncan Smith getroffen. Der Boykott galt nicht für britische Athleten. Mehrere Medien berichteten über Johnsons Standpunkt, dass ein Sportboykott nicht die Politik seiner Regierung sei – und folgten damit der Darstellung des damaligen Präsidenten des Unterhauses, Jacob Rees-Mogg, der sagte, dass Sportboykotte nicht funktionieren würden und dass die Teilnahme von Athleten eine Entscheidung des IOC sei.

Für unsere Analyse haben wir drei führende britische Zeitungen untersucht: Daily Mail, The Guardian und The Independent.

Laut YouGov-Umfragen wird die Boulevardzeitung Daily Mail als eher konservativ und rechtslastig wahrgenommen, während The Guardian als eher linksliberal gilt. The Guardian zeichnet sich durch eine umfangreiche investigative Berichterstattung aus und wird im Gegensatz zu vielen anderen großen britischen Zeitungen nicht von Medienmogulen wie den Barclay-Brüdern herausgegeben. Er gilt daher als stärker gewappnet gegen mögliche Unternehmenseinflüsse. Von beiden Zeitungen wurde erwartet, dass sie in ihrer Berichterstattung über die Olympischen Spiele eine kritische Debatte anstoßen und fördern würden.

Von der Zeitung The Independent, die als ein weitgehend zentristisches Blatt gilt, wurde eine unparteiischere Sportberichterstattung erwartet.

Was in der Berichterstattung deutlich wurde, war, dass es kaum Kritik an China gab. Von den etwas mehr als 100 Artikeln über die Olympischen Winterspiele, die zwischen dem 7. und 11. Februar veröffentlicht wurden, waren nur 17 Artikel kritisch gegenüber China. In einem Artikel des Guardian wurde beispielsweise darüber berichtet, wie sehr sich die Tennisspielerinnen Peng Shuai oder Eileen Gu mit politischen Fragen zurückhielten, während in einem anderen Artikel die Tatsache hervorgehoben wurde, dass ein chinesischer Beamter Shuai zu einem offenbar inszenierten Medieninterview begleitet hatte, in dem sie ihren Weibo-Beitrag, in dem sie behauptete, ein hoher chinesischer Beamter habe sie zum Sex gezwungen, als „riesiges Missverständnis“ bezeichnete. Die Daily Mail berichtete über Beschwerden über das Quarantäne-Hotel und das Essen für die Athleten, aber auch über Menschenrechtsverletzungen im Land. The Independent zeigte mit nur zwei Artikeln, die kritische Meinungen zu sozialen oder politischen Fragen enthielten, die wenigsten kritischen Perspektiven.

Die meisten Artikel waren ausschließlich der Sportberichterstattung gewidmet, z.B. dem Thema Doping, einschließlich Zitaten von Athleten, Familienmitgliedern, Managern und dem IOC. Politische und zivilgesellschaftliche Perspektiven fehlten.

Im Vorfeld der Spiele wurden die Athleten von Menschenrechts- und Athletenverbänden gewarnt, sich zu ihrer eigenen Sicherheit während der Veranstaltung nicht kritisch gegenüber China zu äußern, und die BBC berichtete über mögliche Risiken für die Cybersicherheit der Athleten durch Smartphone-Apps.

Bei einem Sportereignis sollte der Sport im Mittelpunkt stehen. Aber der Journalismus muss Kritik üben, Fehlverhalten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufdecken. Was nicht vergessen werden darf, ist die Bedeutung des Timings. Vor und besonders nach den Spielen gibt es mehr Raum (und Sicherheit), um sich kritisch mit den Olympischen Winterspielen 2022 und Chinas Menschenrechtsverletzungen auseinanderzusetzen.

🇱🇻 Lettland

Für Lettland wurden drei Medien – zwei aus dem Print- und eines aus dem Online-Bereich – analysiert, um festzustellen, ob die Medienberichterstattung über die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking nicht nur als „nicht-politisches“ Sportereignis, sondern auch als politisches Ereignis behandelt wurde.

Insgesamt wurden 214 Artikel analysiert, von denen die überwiegende Mehrheit – 78% – online auf dem Nachrichtenportal Delfi.lv veröffentlicht wurde. Im Printbereich war die Anzahl der Artikel ungleichmäßig verteilt: Die nationalkonservative lettische Tageszeitung Latvijas Avīze veröffentlichte dreimal so viele Artikel (16,8% aller analysierten Artikel) wie die russischsprachige Konkurrenzzeitung Cегодня (5,1%).

Die lettische Berichterstattung über die Olympischen Winterspiele 2022 war einheitlich und „unpolitisch“. 97,2% des Inhalts aller Publikationen konnten als rein sportbezogen codiert werden. Nur 2,8% aller Veröffentlichungen befassten sich mit den Olympischen Winterspielen aus innen- oder außenpolitischer Perspektive. Drei der sechs „politischen“ Artikel (veröffentlicht von Latvijas Avīze und Delfi.lv) betrafen Äußerungen eines lettischen Delegationsmitglieds, das sich besorgt über Menschenrechtsfragen in China äußerte. Zwei der Artikel in der russischsprachigen Tageszeitung Cегодня befassten sich mit dem Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping.

Es lässt sich feststellen, dass in Lettland in einem weitgehend neutralen Licht über die Olympischen Winterspiele 2022 berichtet wurde. Die Tonalität von 96,7% aller Veröffentlichungen in Bezug auf die Volksrepublik China als Gastland konnte als “neutral” codiert werden. Nur 2,8% der Artikel sind kritisch. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass bereits während der Olympischen Winterspiele das Thema des Konflikts in der Ukraine auf der Medienagenda stand und immer wieder deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit erregte.

🇵🇱 Polen

Die drei untersuchten polnischen Medien berichteten nicht sehr ausführlich über politische und humanitäre Themen im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen 2022. Themen wie der diplomatische Boykott oder Menschenrechte wurden erwähnt, vor allem in der Gazeta Wyborcza und der Rzeczpospolita (die Boulevardzeitung Fakt konzentrierte sich ganz auf den Sport), aber meist nur beiläufig.

Die Gesamtzahl der Artikel über die Olympischen Winterspiele war nicht sehr hoch: 18 Artikel erschienen in der Gazeta Wyborcza, 15 in der Rzeczpospolita und 30 in der Fakt. Insgesamt 50 Artikel waren ausschließlich dem Thema Sport gewidmet. So wurden auch die meisten Artikel im Sportteil der jeweiligen Zeitung veröffentlicht (die letzten drei Seiten in der Gazeta Wyborcza, die letzten beiden Seiten in der Rzeczpospolita, ein spezieller Olympia-Teil auf den Seiten 18-20 in der Fakt).

Was die Frage des diplomatischen Boykotts betrifft, so bezogen sich die meisten Artikel auf den polnischen Präsidenten Andrzej Duda, der beschlossen hat, an der Eröffnungsfeier in China teilzunehmen und sich dem Boykott somit nicht anzuschließen. In der Gazeta Wyborcza kritisierte Bartosz T. Wieliński die Reise des polnischen Präsidenten nach Peking („ein Fehler“). In scharfen Worten schrieb er, dass der Präsident nur eine „Marionette der Gastgeber“ sei und in Polen hätte bleiben sollen. Doch nun habe das chinesische Regime mit dem Finger auf ihn zeigen können: „Seht her, nicht ganz Europa boykottiert uns“. Der Autor erwähnt auch, dass zwei Millionen Menschen in chinesischen Konzentrationslagern inhaftiert seien und dass in der Volksrepublik China Menschenrechte in kriminellem Ausmaß verletzt würden.

Auch in der Rzeczpospolita wurde dies erwähnt, aber die Kritik an Duda war weniger harsch. Ein weiterer Artikel in der Gazeta Wyborcza, verfasst vom Sportkommentator Rafał Stec, befasste sich mit der Boykottfrage („Boykott? Fang bei dir selbst an“). Der Autor behauptet, es sei nicht die Schuld der Sportler, dass die Olympischen Spiele in einem nicht-demokratischen Land stattfinden – was übrigens immer häufiger vorkomme. Er weist darauf hin, dass „wir kein Heldentum von den Athleten erwarten sollten“, die jahrelang sehr hart arbeiten, um an den Olympischen Spielen teilzunehmen, wenn wir es nicht auch von Politikern und Sportaktivisten erwarten, die bei der Organisation solcher großen Sportereignisse nur auf Geld aus seien. Er schließt seinen Kommentar mit den Worten „Jeder sollte den Boykott bei sich selbst beginnen“.

Die Zahl der Artikel, die sich mit freier Meinungsäußerung und Menschenrechtsfragen befassten, war begrenzt, aber der allgemeine Tenor war einheitlich. China wurde für die Verletzung der Menschenrechte (vor allem in Bezug auf die uighurische Minderheit) und die Einschränkung der Redefreiheit kritisiert, und der Rest der Welt, insbesondere der Westen, dafür, dass er dies nicht kritisiert. Rzeczpospolita führte das Beispiel der Tennisspielerin Shuai Peng an, die – nachdem sie einen chinesischen Politiker der Vergewaltigung beschuldigt hatte – einige Monate lang verschwunden war. Während der Olympischen Spiele erlaubten ihr die chinesischen Behörden, einige Austragungsorte zu besuchen, den IOC-Präsidenten zu treffen und ausgewählten Journalisten Interviews zu geben. Die Rzeczpospolita schrieb darüber (in der Annahme, dass die Athletin unter starkem Druck der Behörden steht) in zwei Artikeln und fragte: „Sollten wir Shuai Peng glauben?“

Der allgemeine Tenor der in der polnischen Presse veröffentlichten Artikel, sowohl in der Gazeta Wyborcza als auch in der Rzeczpospolita (die Boulevardzeitung Fakt konzentrierte sich ganz auf den Sport), war unter Berücksichtigung des diplomatischen Boykotts und der Menschenrechtsfragen meist kritisch gegenüber China, manchmal neutral, nie positiv. Die westliche Welt wurde für ihre „Heuchelei“ kritisiert (vor allem das IOC, aber auch einige Länder im Allgemeinen). Auf diese Weise haben sich die Erwartungen hinsichtlich möglicher politischer Tendenzen in der Berichterstattung über den diplomatischen Boykott und Fragen der Meinungsfreiheit in China im Zusammenhang mit den Winterspielen weitgehend bestätigt. Der weiche Ansatz der polnischen Politik gegenüber China (insbesondere die Maßnahmen von Präsident Duda) wurde ebenfalls kritisiert, vor allem in der Gazeta Wyborcza.

Die Zeitungen arbeiteten weitestgehend mit ihren eigenen Korrespondenten und Kommentatoren zusammen und führten nur selten Interviews mit Experten (außer bei Sportthemen, wo sie Sportler und Trainer interviewten).

🇨🇭 Schweiz (Romandie)

Für die französischsprachige Schweiz (Romandie) wurde die Berichterstattung von drei gedruckten Tageszeitungen analysiert. In diesem Teil des Landes haben die Zeitungen keine klare politische Ausrichtung. Deshalb haben wir uns entschieden, den Inhalt von drei Zeitungen zu analysieren, die verschiedenen unabhängigen Medienunternehmen gehören. Die drei Zeitungen bieten einen vielfältigen Überblick über die Medienlandschaft in der Romandie.

Bei den untersuchten Medien handelt es sich um 24heures, eine Regionalzeitung im Besitz der TX Group (der größten Mediengruppe des Landes), Le Temps, die einzige überregionale französischsprachige Tageszeitung der Schweiz, die sich im Besitz der gemeinnützigen Stiftung Aventinus befindet, und schließlich eine weitere Regionalzeitung namens La Liberté, die von der St-Paul Group herausgegeben wird. Während des Bewertungszeitraums wurden insgesamt 99 Artikel über die Olympischen Winterspiele 2022 in China veröffentlicht: 47 in 24heures, 21 in Le Temps und 31 in La Liberté.

Im Allgemeinen unterschied sich die Berichterstattung der drei Tageszeitungen weder qualitativ noch quantitativ wesentlich. Eine Ausnahme bildet die Anzahl der Artikel über die Olympischen Spiele in Le Temps (n=21) und 24heures (n=47).

Unsere wichtigste Schlussfolgerung ist, dass sich die Berichterstattung in allen drei Zeitungen während des Beobachtungszeitraums hauptsächlich auf den Sport konzentriert hat. Diese Artikel wurden als „neutral“ eingestuft, da sie keine Erwähnung oder Meinung zu politischen Ereignissen und/oder politischen Spannungen in Bezug auf China enthielten.

Unter den Artikeln, die sich nicht – oder nicht nur – mit Sport befassten, war die Mehrheit China gegenüber kritisch eingestellt. In diesen Artikeln ging es zum Beispiel um Fragen im Zusammenhang mit Covid-19 (n=2), um Menschenrechtsfragen (n=2) oder um den diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele (n=1). Von den als „kritisch“ codierten Artikeln waren zwei nicht gegen China, sondern gegen Russland gerichtet, nachdem ein positiver Dopingtest eines jungen russischen Eiskunstläufers bekannt geworden war. Es ist anzumerken, dass der sehr geringe Anteil von Artikeln, die sich nicht allein auf den Sport beziehen, es schwierig macht, weitere Schlussfolgerungen zu ziehen.

Die einzige Zeitung, die einen als „positiv“ codierten Artikel veröffentlicht hat, ist La Liberté. Wir betonen an dieser Stelle, dass der Artikel weitgehend optimistisch gegenüber dem Personal des olympischen Dorfes und nicht gegenüber China im Allgemeinen war.

Der diplomatische Boykott der Winterspiele war im Untersuchungszeitraum kein großes Thema in der Berichterstattung (nur ein Artikel erwähnte ihn). Anhand der verfügbaren Daten lässt sich nicht genau sagen, warum. Es lassen sich jedoch Erklärungen vermuten. Zum Beispiel gab es zur gleichen Zeit andere internationale Konflikte, wie die Eskalation der Spannungen zwischen der Ukraine und Russland. Zudem wurde das Thema der Vergabe der Winterspiele an China durch das IOC und der diplomatische Boykott einiger Länder in Bezug auf diese Wahl von den Schweizer Medien vor Beginn der Wettkämpfe ausführlich behandelt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Berichterstattung der drei analysierten Zeitungen weitgehend unpolitisch war und als „neutral“ bezeichnet werden kann. Die Zeitungen und Korrespondenten in China konzentrierten sich während der Spiele eher auf sportliche Ergebnisse und Geschichten als auf kontroverse Themen wie Menschenrechtsfragen.

🇨🇿 Tschechien

Für Tschechien wurden drei Online-Tageszeitungen mit unterschiedlichen politischen Tendenzen und Eigentumsverhältnissen untersucht. Angesichts der besonderen Merkmale der lokalen Medienlandschaft ist die traditionelle Einteilung in „links-Mitte-rechts“ auf die tschechischen Medien oft nur schwer anwendbar. Keine der führenden Tageszeitungen ist ausdrücklich mit einer bestimmten Politik oder politischen Partei verbunden. Die politische Tendenz wird hingegen stark von der Eigentümerstruktur und anderen äußeren Einflüssen wie dem Werbemarkt beeinflusst.

Deník N ist eine unabhängige Tageszeitung, die von einer Gruppe von Journalisten gegründet wurde und sich in deren Besitz befindet. Sie veröffentlicht täglich gedruckte und digitale Nachrichten für zahlende Abonnenten. Für diese Untersuchung wurden online veröffentlichte Inhalte analysiert. Politisch lässt sich Deník N in der liberalen politischen Mitte verordnen.

SeznamZprávy.cz, die zweite analysierte Online-Tageszeitung, ist eine Mainstream-Tageszeitung, die mit der tschechischen Suchmaschine Seznam.cz verbunden ist, die in der Bevölkerung ab 30 Jahren sehr beliebt ist. Der Großteil des Publikums dieser Tageszeitung greift über die Suchmaschine auf die Artikel zu, und das Publikum ist groß. Die politische Orientierung des Mediums ist mittig.

Die dritte Zeitung in der Analyse ist die Online-Tageszeitung Lidovky.cz. Sie gehört zum Verlag des Konglomerats, das mit dem (heutigen) tschechischen Ex-Premierminister Andrej Babiš verbunden ist. In der Vergangenheit wurde Lidovky.cz oft dafür kritisiert, dass sie die Regierungspolitik begünstigt und die Meinungen von Babiš vertritt. Traditionell hat diese Tageszeitung eine eher linksgerichtete politische Tendenz.

Für unsere Studie haben wir 74 Artikel im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen 2022 in China analysiert. Die Artikel verteilen sich wie folgt auf die Zeitung: Deník N veröffentlichte 11 Artikel, SeznamZprávy.cz 28 und Lidovky.cz 35.

Betrachtet man alle Tageszeitungen, so war der allgemeine Tenor der Berichterstattung neutral (82%). Dennoch gab es mehrere Artikel, die sich kritisch mit einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Frage auseinandersetzten (18%), vor allem mit den Menschenrechten, der Meinungsfreiheit, der Lage der uighurischen Minderheit oder ökologischen Fragen. Diplomatische Boykotte fanden nur wenig Beachtung, was dem Untersuchungszeitraum geschuldet sein kann. Die Artikel, in denen eine Meinungstendenz festgestellt werden konnte, waren alle kritisch gegenüber den genannten Themen.

Betrachtet man die einzelnen Tageszeitungen genauer, so veröffentlichte Deník N die wenigsten Artikel über die Olympischen Spiele, aber gleichzeitig prozentual die meisten kritischen Artikel. Fast die Hälfte der Artikel (45%) enthielt eine kritische Stellungnahme. SeznamZpravy.cz liegt mit 21% kritischer Artikel im Mittelfeld. Am wenigsten kritisch war die Tageszeitung Lidovky.cz (6% der Artikel).

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass sowohl SeznamZprávy.cz als auch Lidovky.cz eine traditionelle Zeitungsstruktur aufweisen. Tschechische Zeitungen widmen dem Sport im Allgemeinen einen beträchtlichen Teil ihres Platzes. Die meisten der in diesen beiden Titeln veröffentlichten Artikel waren ausschließlich Sportberichte – 71% bei SeznamZpravy.cz und 94% bei Lidovky.cz. Deník N hingegen veröffentlichte deutlich weniger Sportberichte, nämlich nur 37% aller Artikel.

Die meisten der analysierten Artikel in allen Zeitungen berichteten über Sportler (82%), wenige über Politiker und Diplomaten (6%), chinesische Minderheiten oder Regimekritiker (2%). Der Rest der Artikel war allgemein gehalten, sodass es keine Hauptakteure gab.

Was die Themen der kritischen Artikel betrifft, so befassten sich die Journalisten mit dem autoritären Regime der Volksrepublik China, wie z. B. in dem in Deník N veröffentlichten Podcast mit dem Titel „Spiele im Schatten der Tyrannei“ oder in einem Artikel von SeznamZprávy.cz über die Redefreiheit. Auch andere Themen wie die Umwelt, insbesondere die Umweltbedenken bei der Herstellung von Kunstschnee, und die unterdrückten Minderheiten in China wurden kritisch betrachtet. Indem sie verschiedene Themen ansprachen, verstärkten die kritischen Artikel ein ohnehin schon eher negatives Bild des Landes in den tschechischen Zeitungen.

Interessanterweise brachten mehrere Artikel die Olympischen Winterspiele mit einem anderen großen aktuellen Thema in Verbindung – dem der Invasion der Ukraine durch Russland. In mehreren Artikeln wurde im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen auf die Spannungen an den ukrainischen Grenzen hingewiesen. Der Artikel „Chinesisch-russische Umarmungen: Moskau ist schwach, aber jetzt wertvoll für Peking“ auf Lidovky.cz befasste sich mit der Bedeutung der chinesisch-russischen Partnerschaft. Ein weiterer Artikel von SeznamZpravy.cz, „Olympische Spiele oder nicht: Die russische Invasion kann jederzeit stattfinden“, betonte, dass Wladimir Putins Handlungen nicht durch die Tatsache beeinflusst werden, dass gleichzeitig ein so wichtiges Ereignis wie die Olympischen Spiele stattfindet.

Fazit

Unsere kollaborative EJO-Analyse ist zwar aufgrund begrenzter Forschungsressourcen zwar als rein explorativ zu betrachten und erhebt auch keinen Anspruch auf Repräsentativität oder Kausalität. Nichtsdestotrotz lassen sich übergreifend einige wichtige Punkte festhalten:

Struktur der Berichterstattung

Unsere Untersuchung zeigt nicht nur, dass die Anzahl der Artikel über die Olympischen Winterspiele 2022 in allen untersuchten Medien innerhalb des Untersuchungszeitraums sehr konstant war, sondern auch, dass die meisten Zeitungen und Nachrichtenplattformen einem ähnlichen Muster der kritischen und neutralen Berichterstattung folgten, während Artikel, die als offensichtlich positiv gegenüber den Spielen, der Volksrepublik China oder der Politik des Landes gelesen werden konnten, sehr selten waren.

Aufgrund der kleinen Stichprobe und des kurzen Untersuchungszeitraums können keine festen Aussagen über Muster in Bezug auf die politische Tendenz der untersuchten Medien gemacht werden. Strukturell konnte jedoch festgestellt werden, dass die Medienunternehmen, die als rechts-/Mitte-rechts-orientiert codiert wurden, einen geringeren Anteil kritischer Artikel an der Gesamtzahl der Artikel (0%-27%) und einen größeren Anteil von Artikeln aufweisen, die sich ausschließlich auf Sport beziehen (66%-97,2%), verglichen mit der Berichterstattung der Medienorganisationen, die als links-/Mitte-links- oder als politisch mittig-orientiert eingestuft werden können (siehe Abb. 5). Betrachtet man allerdings nur die nicht ausschließlich sportbezogenen Artikel, so fallen kaum Unterschiede auf (siehe Abb. 4).

Inhalt der Berichterstattung

Im Allgemeinen war die Berichterstattung in allen untersuchten Medien überwiegend unpolitisch und neutral. Zwar gab es einen nicht unwesentlichen Anteil von Artikeln, die sich kritisch mit der Volksrepublik China und ihrer Politik auseinandersetzten, die meisten Beiträge konzentrierten sich jedoch auf die Veranstaltung als solche – als Sportevent. Zu den Themen, die im Untersuchungszeitraum kritisch aufgegriffen wurden, gehören die Unterdrückung der uighurischen Minderheit in Xinjiang, das zeitweilige Verschwinden der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai und das offensichtlich inszenierte Interview, das sie Anfang Februar gab, und auch die russischen Drohungen gegenüber der Ukraine, die nur wenige Tage später in einen aggressiven Angriff auf die Ukraine resultierten. Dass der diplomatische Boykott einiger Länder nicht erwähnt wurde, kann womöglich an der Wahl des Untersuchungszeitraums liegen, da die Entscheidung der entsprechenden Regierungen, keine Vertreter nach Peking zu schicken, eher vor und direkt zu Beginn der Spiele diskutiert wurde.

Den größten Teil der Protagonisten machten Sportler und Sportfunktionäre aus, während Stimmen von Politikern durchweg selten waren. Die deutschen Medien gewährten viele Einblicke in das Leben ihrer Korrespondenten vor Ort, insbesondere im Zusammenhang mit den Covid-19-Maßnahmen wie Quarantäne, Kontaktverfolgung und der speziellen Struktur der ‚olympischen Blase‘ in Peking.

Ratschläge für Journalisten

Die strukturellen Muster, die diese Studie aufgedeckt hat, zeigen den Ansatz der meisten Medien bei der Berichterstattung über ein politisiertes Sportereignis wie die Olympischen Winterspiele 2022: Während sich ein Großteil der Artikel auf die sportlichen Disziplinen und Wettkämpfe als Kernelement der Spiele konzentrierten, veröffentlichten alle Medien einen gewissen Anteil an kritischen Artikeln, die dazu beitrugen, das politisch problematische Umfeld, in dem die Spiele stattfanden, zu kontextualisieren.

Für Journalisten bedeutet dies, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Sportberichterstattung und politischer Berichterstattung zu finden und, wo nötig und möglich, beides miteinander zu verbinden – wie im Fall der Tennisspielerin Peng Shuai.

Laut Nancy Rivenburgh (2009) ist die Olympische Bewegung „der bekannteste Förderer des Friedens durch Sport“. Rivenburgh schreibt in einem ihrer Aufsätze, dass eine der Grundvoraussetzungen für einen dauerhaften Frieden darin bestehe, alle Seiten eines Konflikts menschlich darzustellen, um einer falschen Wahrnehmung entgegenzuwirken. Diese Idee lässt sich gut auf den Fall der Olympischen Winterspiele 2022 übertragen: Auch wenn es sich bei der Veranstaltung nicht um einen aktiven Konflikt (zweifelsohne jedoch um einen moralischen Konflikt) handelte, kann die „Vermenschlichung Chinas“ ein Ansatz für Journalisten sein, um kritisch über das Gastgeberland und seine Politik zu berichten, ohne es zu dämonisieren. Nach Rivenburgh kann dies erreicht werden, indem man die andere Gruppe als eine Gruppe von Individuen zeigt, „die ähnliche menschliche Qualitäten, Ziele und Bedürfnisse haben wie ihr Publikum“. Es ließen sich zum Beispiel Anwohner oder Mitarbeiter der Veranstaltung interviewen. Das Problem im Falle von Ländern wie der Volksrepublik China ist, dass diese Möglichkeit nicht immer gegeben ist, ohne dass dies eine offizielle Erlaubnis erfordert oder negative Folgen für die Interviewpartner haben kann.

Der russische Angriff auf die Ukraine zeigt, wie schnell internationale Beziehungen zerbrechen und sich politische Rahmenbedingungen verschieben können. Ereignisse wie die Olympischen Spiele, die für die Einheit der Nationen, den Frieden und die Diplomatie stehen, bilden eigentlich einen Gegensatz zu politischen Ereignissen wie Krieg, Unterdrückung von Minderheiten oder Verfolgung von Regimekritikern.  In einer Welt, in der beides parallel passiert, müssen Journalisten in der Lage sein und einen Weg finden, beiden Arten von Nachrichtenthemen gerecht zu werden, der politischen ebenso wie der sportlichen Komponente.

Stärken und Schwächen

Unsere explorative Studie bietet Erkenntnisse aus sechs europäischen Ländern mit mindestens 63 analysierten Artikeln pro Land, so dass insgesamt 712 Artikel in die Analyse einbezogen wurden. Das EJO ist ein Netzwerk von Medienwissenschaftlern und Journalisten aus renommierten Forschungseinrichtungen in ganz Europa. Die Erkenntnisse, die unsere Studie bietet, sind letztlich ein Produkt intensiver internationaler Forschungszusammenarbeit und des wissenschaftlichen Diskurses innerhalb der europäischen Öffentlichkeit.

Die Einordnung der Medien in das politische Spektrum basiert auf traditionellen Einschätzungen aus der Medienwissenschaft. Wir sind uns bewusst, dass solche Zuordnungen nicht unanfechtbar sind. Dennoch haben wir uns entschieden, das Selektionsmuster vieler bereits existierender Studien im Bereich der Medienforschung zu übernehmen und die Medien nach dem Kriterium der politischen Tendenz auszuwählen, um eine möglichst große Vielfalt an politischen Meinungen abzubilden.

Gleiches gilt für die Einteilung der Artikel in die drei Kategorien „kritisch“ (critical), „neutral“ und „positiv“ (favorable). Für weitere Untersuchungen schlagen wir vor, eine Überkreuzstudie mit unabhängigen Codierern durchzuführen, um jeglichen Bias auszuschließen.

Aufgrund der Unterschiede in den Medienlandschaften innerhalb Europas war es den Partnern freigestellt, ob sie eine gedruckte Zeitung oder eine Online-Nachrichtenplattform wählen (dies entspricht beispielsweise dem Ansatz von Fengler & Kreutler, 2020). Wir sind uns der großen Vielfalt an Medienkanälen bewusst, die in die Analyse hätten einbezogen werden können (z. B. Fernsehen, Radio, soziale Medien), haben uns jedoch aufgrund begrenzter Forschungsressourcen dazu entschieden, nur Zeitungen und Online-Medien zu analysieren. Des Weiteren hätte ein längerer Untersuchungszeitraum sicherlich zu detaillierteren Daten und aussagekräftigeren Erkenntnissen beigetragen.

 

Projektkoordination:

Roman Winkelhahn (Technische Universität Dortmund, [email protected])

Autorinnen und Autoren:

Tschechien: Sandra Lábová (Karls-Universität, Prag)

Deutschland: Roman Winkelhahn (Technische Universität Dortmund)

Lettland: Līga Ozoliņa (Universität Riga Stradiņš)

Polen: Adam Szynol & Michał Kuś (Universität Breslau)

Schweiz: Cécile Détraz (Universität Neuchâtel)

Großbritannien: Olivia Samnick (EJO-Stipendiatin, Freie Universität Berlin)

 

Literatur

Eagleman, A., Burch, L. M. & Vooris, R. (2014). A Unified Version of London 2012. New-Media Coverage of Gender, Nationality, and Sports for Olympics Consumers in Six Countries. Journal of Sport Management, 28(4), 457–470. http://dx.doi.org/10.1123/jsm.2013-0151

Eilders, C. (2002). Conflict and Consonance in Media Opinion: Political Positions of Five German Quality Newspapers. European Journal of Communication, 17(1), 25–63. https://doi.org/10.1177/0267323102017001606

English, P. & Murray, R. (2021). North Korea and the ‘Peace Games’: media representations of sport and politics at the 2018 winter Olympics. Journal of Media & Cultural Studies, 36(1), 117–134. https://doi.org/10.1080/10304312.2021.1965542 

Fengler, S. & Kreutler, M. (2020). Migration coverage in Europe’s media. A comparative analysis of coverage in 17 countries. Otto Brenner Stiftung.

Lee, J. W. (2021). Olympic Ceremony and Diplomacy: South Korean, North Korean, and British Media Coverage of the 2018 Olympic Winter Games’ Opening and Closing Ceremonies. Communication & Sport, 9(5), 761–784. https://doi.org/10.1177/2167479519886544

Rivenburgh, N. K. (2009). Seeking discursive spaces for peace in media-sport narratives. Conflict & Communication Online, 8(2). https://regener-online.de/journalcco/2009_2/pdf/rivenburgh.pdf

Salgado, S., & Nienstedt, H.-W. (2016). Euro Crisis and plurality: Does the political orientation of newspapers determine the selection and spin of information? European Journal of Communication, 31(4), 462–478. https://doi.org/10.1177/0267323116659977

Salido-Fernández, J. & Muñoz-Muñoz, A. M. (2021). Media Representation of Women Athletes at the Olympic Games: A Systematic Review. Apunts Educación Física y Deportes, 146,32-41.
https://doi.org/10.5672/apunts.2014-0983.es.(2021/4).146.04

 

Beitragsbild: Christian Lue/unsplash.com

Dieser Beitrag wurde zu großen Teilen vor dem russischen Angriff auf die Ukraine verfasst.

Die Darstellungen wurden mit dem Online-Tool „Infogram“ erstellt.

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