China: Die Corona-Krise und die Medien

16. April 2020 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Die Berichterstattung der chinesischen Medien über die lokale Covid-19-Epidemie, die sich innerhalb weniger Monate zu einer globalen Pandemie entwickelte, lässt sich in mehrere Phasen aufteilen. Vergleiche mit dem Westen zugunsten Chinas und das Narrativ, dass die Welt China Dankbarkeit schuldet, standen zuletzt im Fokus.

Dezember 2019: Eine „unbekannte Lungenentzündung“ in Wuhan

Als im Dezember 2019 Patienten mit Fieber und einer bis dahin unbekannten Form der viralen Lungenentzündung in den Krankenhäusern Wuhans vorstellig wurden, berichteten  chinesische Medien so gut wie gar nicht darüber. Auch wenn die breite Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht über den Ausbruch einer unbekannten Krankheit informiert wurde, begannen die behandelnden Ärzte, Informationen auszutauschen. Einige ihrer Befunde wurden der örtlichen Gesundheitsbehörde gemeldet und gleichzeitig über soziale Medien weiterverbreitet.

Am 30. Dezember verschickte die Gesundheitsbehörde von Wuhan einen Brief, in dem die örtlichen Krankenhäuser aufgefordert wurden, Fälle von „Lungenentzündung mit unbekannter Ursache“ aufzuspüren und zu melden. Am Abend wurde ein Sturm in den sozialen Medien ausgelöst, als Ärzte aus Wuhan, darunter der inzwischen an Covid-19 verstorbene Augenarzt Li Wenliang, in privaten WeChat-Gruppen Nachrichten über die Rückkehr eines Virus aus der SARS-Familie posteten. Am folgenden Tag gab die Gesundheitsbehörde von Wuhan offiziell bekannt, dass in der Stadt Fälle einer unbekannten Lungenentzündung diagnostiziert worden waren. Von diesem Zeitpunkt an begannen nationale Medien wie China Central Television und Medien aus anderen Städten wie Peking (Beijing News Newspaper) und Shanghai (Jiemian News) über den Ausbruch zu berichten.

Erst am 6. Januar 2020 erschien das Thema schließlich auf der Titelseite der Chutian Metropolitan Newspaper, Wuhans meistverkaufte Zeitung. In dem Artikel hieß es, dass SARS als Ursache für die Lungenentzündung von 59 Verdachtsfällen ausgeschlossen worden sei. Die Aufmerksamkeit der Medien ließ nach, als die Gesundheitsbehörde von Wuhan zwischen dem 11. und 16. Januar keine neuen Fälle mehr meldete. Die Behörde gab über Medienkanäle bekannt, dass die Krankheit Covid-19 durch einen neuen Stamm des Coronavirus verursacht werde, dass es jedoch „keine signifikanten Hinweise auf eine Ansteckung durch Kontakte zwischen den Menschen“ gebe.

Am 19. Januar berichtete die Chutian Metropolitan Newspaper über ein Massenbankett für 40.000 Familien, das am Vortag in Wuhan stattfand. Es handelt sich dabei um eine jährliche Veranstaltung eine Woche vor dem chinesischen Neujahrsfest. Zu diesem Zeitpunkt hatte schon das „Chunyun“ begonnen – die Zeit, in der die Chinesen an ihre Heimatorte zurückkehren, um das Fest mit ihren Familien zu feiern – was jedes Jahr über drei Milliarden Reisen auslöst.

20. Januar-18. Februar 2020: Der Wendepunkt

Am 20. Januar, nachdem die nationale Gesundheitsbehörde eine Untersuchung des Krankheitsausbruchs in Wuhan durchgeführt hatte, bestätigte einer der angesehensten Atemwegsexperten Chinas, Zhong Nanshan, in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehsender CCTV, dass das neue Coronavirus hoch ansteckend sei und sich über die Übertragung von Mensch zu Mensch verbreiten könne.

Von da an begannen die chinesischen Medien, ausführlich über Covid-19 zu berichten. Die Mainstream-Medien lobten die Wirksamkeit der Regierungsmaßnahmen in den höchsten Tönen und betonte, dass die Bemühungen zur Bekämpfung der Krankheit die gesamte Gesellschaft geeint hätten. Zusätzlich zu diesem positiven Fokus wurden vier weitere wichtige Elemente der Medienberichterstattung deutlich:

1. Datenvisualisierung

Auf verschiedenen Online-Plattformen wurden Karten veröffentlicht, die die Ausbreitung der Epidemie mit in Echtzeit gemeldeten Fallzahlen zeigen. Geografische Standortinformationen ermöglichten den Nutzern, die Situation in ihrer Nachbarschaft in Echtzeit zu beurteilen und zu vermeiden, sich in Hochrisikogebiete zu begeben. Die Journalisten nutzten die Datenvisualisierungen auch, um zu zeigen, wie sich Covid-19 von Wuhan in andere Teile des Landes ausbreitete. Beispielsweise bildete The Paper 763 Fälle ab, die Anfang Februar entdeckt wurden, und zeigte, wie das Virus von Wuhan in andere Teile Chinas getragen wurde, bevor und nachdem die Stadt am 23. Januar abgeriegelt wurde. DT Financial News visualisierte die Daten aus einer wissenschaftlichen Analyse von über 70.000 Fällen, um der breiten Öffentlichkeit die Bedeutung von Faktoren wie Alter, Geschlecht und Beruf (wobei medizinisches Personal besonders gefährdet ist) verständlich zu machen.

2. Investigativer Journalismus

Am 1. Februar veröffentlichten 37 Reporter der in Peking ansässigen Mediengruppe Caixin Media, die für unabhängigen und investigativen Journalismus bekannt ist, vier ausführliche Titelseitenstorys, in denen sie sich kritisch damit auseinandersetzten, wie die Krise in Wuhan durch die mangelnde Bereitschaft der lokalen Behörden, Informationen zeitnah zur Verfügung zu stellen, und durch das Fehlen von Ressourcen wie Testkits verschärft wurde. Die von Caixin Media und anderen investigativen Nachrichtenmedien veröffentlichten kritischen Berichte führten zu Forderungen nach der Entlassung hochrangiger Mitglieder der lokalen Regierung und der Gesundheitsbehörde.

3. Experten genießen Vertrauen

Da die erste Warnung vor der Ansteckungsgefahr von Covid-19 von dem angesehenen Lungenarzt Zhong Nanshan ausging, wurde in der Berichterstattung regelmäßig auf seine Worte und die anderer medizinischer Experten Bezug genommen. Wie eine Analyse der zwischen dem 20. Januar und dem 20. Februar in der Factiva-Datenbank aggregierten  chinesischen Nachrichten zeigt, erscheint in diesem Zeitraum allein Zhongs Name 773 Mal, wobei 113 Artikel seinen Namen in der Überschrift erwähnen.

4. Soziale Medien als Hauptkanal für die Veröffentlichung

Fast alle Mainstream-Nachrichtenmedien in China verbreiten ihre Inhalte inzwischen auch auf Weibo und WeChat. Die WeChat-App wird inzwischen von mehr als einer Milliarde Menschen genutzt und die Nachfrage nach zuverlässigen Informationen steigt stetig. Medienunternehmen bieten in den sozialen Medien auch Faktenchecks an, um Falschinformationen zum Coronavirus entgegenzuwirken.

Darüber hinaus bietet WeChat sowohl Meinungsführern als auch Privatpersonen eine Plattform, auf der sie ihre Ansichten und persönlichen Geschichten austauschen können. Ein gutes Beispiel dafür ist das „Wuhan Diary“ von Fang Fang, einer Schriftstellerin, die während der gesamten Zeit der Abriegelung in der Stadt lebte. Das Tagebuch von Fang Fang, das einen viel persönlicheren Ton anschlägt als die Berichte der Mainstream-Medien, lockte täglich über 20 Millionen Leser auf ihr WeChat-Konto. Gleichzeitig löste es eine hitzige Debatte über liberale und nationalistische Elemente in der chinesischen Gesellschaft aus.

Ab 21. Februar: Von der chinesischen Epidemie zur globalen Pandemie

Nachdem sich das Epizentrum von Covid-19 ab dem 21. Februar nach Europa verlagert hatte, trat auch die chinesische Berichterstattung über die Krankheit in eine neue Phase ein. Zusätzlich zu den täglichen Aktualisierungen und Datenanalysen der Situation in verschiedenen europäischen Ländern zeigten sich in der Berichterstattung der chinesischen Medien die folgenden Trends:

1. Vergleiche mit dem Westen zugunsten Chinas

Die chinesischen Medien kritisierten, dass in Europa das Tragen von Gesichtsmasken als Präventivmaßnahme nicht als allgemeine Pflicht eingeführt wurde. Auch Unterschiede zwischen China und Europa in den Bereichen Politik, Verfassung und Gesellschaft wurden verglichen.

Häufig wurden Experten zitiert, die sich dazu äußerten, warum es Europa nicht gelang, die Lehren aus Chinas „erfolgreichen“ Erfahrungen bei der Bekämpfung des Virus anzuwenden. Als Gründe wurden u.a. die Schwerfälligkeit der europäischen Politikgestaltung (da mehr Zeit für Verhandlungen und Koordinierung eingeräumt werden muss) und die Tatsache, dass in Europa die individuelle Freiheit stärker betont wird als die Bedürfnisse der Gesellschaft als Ganzes angeführt.

Noch heftigere Kritik gab es am Umgang der US-Regierung mit Covid-19. The Paper zitierte einen Experten, der sagte, Präsident Trump habe wertvolle Zeit verschwendet, indem er den Ausbruch zunächst als eine Strategie brandmarkte, mit der die Demokraten ihre eigene politische Agenda vorantreiben wollten.

2. Chinesen im Ausland kehren nach Hause zurück

Die Berichterstattung über die Situation der im Ausland lebenden Chinesen war anfangs überwiegend wohlwollend. Aber nachdem im März viele Rückkehrer aus Europa positiv auf Covid-19 getestet wurden, begann die Sympathie für sie zu schwinden und die Sorge, dass sie eine zweite Welle der Virusübertragung auslösen könnten, überwog.

3. Schuldet die Welt China Dankbarkeit?

Am 4. März veröffentlichte die Nachrichtenagentur Xinhua einen Artikel aus dem öffentlichen WeChat-Konto eines Finanzexperten mit der Überschrift „Die Welt schuldet China Dankbarkeit“. Dies war nicht der erste Artikel, in dem die beispielhafte Rolle der chinesischen Regierung im weltweiten Kampf gegen Covid-19 gewürdigt wurde, aber er appellierte nachdrücklich an die patriotischen Gefühle Chinas und war Teil einer Medienkampagne, mit der die Wahrnehmung, dass das Coronavirus seinen Ursprung in China hat, widerlegt werden sollte.

Laut dieser Interpretation der Ereignisse hat China im Januar und Februar ein großes Opfer gebracht und wertvolle Zeit gewonnen, damit sich der Rest der Welt auf die Bekämpfung des Virus vorbereiten konnte. In diesem Narrativ wird auch betont, dass China weiterhin eine wichtige Rolle spielt, indem es anderen Ländern, die vom Virus schwer betroffen sind, Unterstützung gewährt.

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