Das Mediensystem Taiwans leidet unter der skrupellosen Einflussnahme Chinas. Um die Ideologie Pekings in der vermeintlich „abtrünnigen Provinz” durchzusetzen, fließt viel Geld.
Der Zug vom Flughafen in Richtung City fährt über die grünen Wälder vor der Stadtgrenze. Irgendwann wächst eine prächtige Skyline aus dem Horizont hervor. Das ist Taipeh, die Hauptstadt der Republik China auf Taiwan. Dort zwischen den Häusern, die von Kopf bis Fuß mit unaufhörlich blinkenden Leuchtreklamen tapeziert sind, vor einem Tempel in der Chongqing South Road sitzt ein alter Mann und liest Zeitung. Auf der Wand gegenüber prangt ein Plakat. Zu sehen ist Tsai Ing-wen, Taiwans Staatspräsidentin von der Demokratischen Fortschrittspartei (Democratic Progressive Party). Sie zeigt ein Daumen-hoch. Im Januar 2020 stehen die Präsidentschaftswahlen an. Noch ist sich in Taiwan niemand sicher, dass Tsai wieder gewinnen wird. Ihr Gegner ist Han Kuo-yu. Seiner Vorstellung von einer de facto-Umsetzung der Ein-China-Politik spielt Pekings manipulative Politik und systematische Isolation direkt in die Karten. Nur rund 180 Kilometer westlich, auf der anderen Seite des Meeres, herrscht dort politische Macht, die – zumindest ideologisch – im Krieg mit dem Inselstaat ist: die Volksrepublik China. Erst in diesem Jahr feierte Taiwans größte Gefahr ihr 70-jähriges Bestehen. Regiert wird sie von einem kommunistischen Hardliner – und viel, viel Geld.
Propaganda vom Kiosk
Genau diese Manipulation ist Grund dafür, dass die Zeitung, die der alte Mann vor dem Tempel gerade liest, gespickt sein könnte mit Pro-China-Botschaften. Erst im August berichtete die Nachrichtenagentur Reuters von Zahlungen des Büros für Taiwan-Angelegenheiten an taiwanesische Medienhäuser. 4.300 Dollar seien für zwei Storys geflossen, in denen China als Wirtschaftsstandort gepriesen wird. In Taiwan steht das zwar unter Strafe (bis zu 16.000 Dollar Strafgeld), dennoch kommt es immer wieder vor, dass taiwanesische Journalisten und Medienunternehmen Geld aus China annehmen. Die Regierung hat sich kritisch dazu geäußert und Peking zur Unterlassung aufgefordert („The Mainland Affairs Council seriously urges the Beijing authorities to immediately stop such clumsy and inferior actions and to stop the wishful thinking that it could replicate the way it controls media domestically in Taiwan”). Von einer Veränderung des Status Quo ist aber nicht auszugehen. Die Volksrepublik China ist Taiwans wichtigster Handelspartner: Mehr als 22 Prozent des Handelsvolumens Taiwans entfielen 2017 auf China. Rund 27 Prozent der Exporte gingen 2016 ins Festland. Es ist ein Austausch zwischen zwei Staaten, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
In seinem Paper The China Factor in Taiwan’s Media (2017) entschlüsselt Huang Jaw-Nian diesen ökonomischen Zusammenhang wie folgt: International (international level) hat die Volksrepublik eine regionale Vorherrschaft, aus der die allgemeine wirtschaftliche Abhängigkeit resultiert, inne. Ein Sektor (sectoral level) innerhalb des Handelsgeflechts beider Staaten sind die Medien. Taiwans Medienhäuser erhalten Werbeaufträge aus China. Außerdem haben sie nicht zuletzt aufgrund der geographischen Nähe geringe Hürden beim Zutritt auf den Festland-Markt. Das ermöglicht es ihnen, ihre Produkte auch in der Volksrepublik anzubieten. Tatsächlich drucken die China Times und die United Daily News seit April 2006 auch in Dongguan. Dafür gingen sie einen faustischen Pakt ein: Sie mussten dem Taiwan Affairs Office versichern, nicht negativ über chinesische Staatsautoritäten zu berichten. Auf der Mikroebene (corporate level) in Huang Jaw-Nians Modell führt Chinas Handeln also zur Selbstzensur taiwanesischer Journalisten. Es ist ein Konflikt, den wir so – aber kaum in dem Ausmaß – auch in anderen liberalen Mediensystemen beobachten können: Das Dilemma des Journalisten, der einerseits Geld verdienen muss, sich aber andererseits auch einer öffentlichen Aufgabe verschrieben hat, die ihm unter anderem vorgibt, nach bestem Wissen und Gewissen zu berichten. „China weiß, dass ausländische Medien niemals so über China berichten würden, wie die Regierung das gerne hätte”, sagte die chinesische Autorin He Qinglian (The Fog of Censorship) im Mai in einem Interview mit der Taipei Times. Gewalt – wie innerhalb der eigenen Grenzen – kann das chinesische Regime in Taiwan nicht anwenden. Stattdessen fließt Geld, um die eigene Ideologie in der vermeintlich „abtrünnigen Provinz” durchzusetzen.
Das Mediensystem Taiwans leidet unter der skrupellosen Einflussnahme Chinas. Noch ist nicht abzusehen, bis wann die andauern wird. Der Umgang mit Medien ist bereits in den Curricula staatlicher Schulen in Taiwan verankert. „Wir müssen auf Fake News reagieren und Nachrichten von selbst verifizieren”, erklärt Chen Ming-chi, Vizeminister des Mainland Affairs Council (MAC). Kritisches Denken sei der Antrieb einer Demokratie. „Wir lernen von Deutschland”, sagt er.
„Wir wollen keinen zweiten Kalten Krieg”
Der MAC als Pendant zu Chinas Taiwan Affairs Office hat seinen Sitz in Taipeh. Vizeminister Chiu Chui-cheng äußert sich für einen Politiker ungewohnt deutlich über den Konflikt zwischen den Staaten: „Unsere Beziehungen sind kritisch. Wir versuchen jeden Tag aufs Neue, die Stabilität aufrechtzuerhalten.” Der Rat für Festlandangelegenheiten ist eine Art Verteidigung der Demokratie. Hier ist man sich bewusst, was eine Vereinigung der Staaten mit sich bringen würde. „Erst am vergangenen Wochenende fand die Pride-Parade statt”, erklärt Chiu. Die Konservativen, die mit der Volksrepublik kooperieren, seien schon jetzt eine Gefahr für die LGBTQ-Community im Land. „Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung wollen den Status Quo erhalten – und das heißt, die Menschenrechte zu schützen”, sagt Chiu. „Unsere Zukunft liegt in den Händen der jungen Generation.” China sei ein „ungesunder Nachbar” und die „ernstzunehmendste Gefahr für die nationale Sicherheit”. Xi Jinping, sagt Chiu, sei eine Gefahr für die ganze Welt: „Wir wollen keinen zweiten Kalten Krieg”, erklärt der Vizeminister.
Parallele Welten
Wieder setzt eine Maschine der China Airlines mit qualmenden Reifen auf dem Rollfeld auf. Nicht alle Passagiere, die an diesem Morgen am Taoyuan International Airport, Taiwans größtem Flughafen, landen, kommen im selben Land an. „TPE, Taiwan” kann auf ihren Flugtickets stehen. Aber auch “TPE, Taiwan (China)” ist möglich. Die meisten Menschen, die aus den Boeing 747 mit den rosafarbenen Lotusblüten auf ihren Heckflügeln steigen, werden wohl spätestens nach einem Blick auf ihr Ticket behaupten, sie kämen gerade von einem Inlandsflug. In Reih und Glied stehen die Jumbo-Jets der China Airlines an den Gates. Doch sie sind auf einer Insel gelandet, die politisch nicht viel mit dem Festland, von wo sie gestartet sind, gemeinsam hat. An diesem Morgen werden hier am Taoyuan International keine Handys konfisziert. Es ist ein normaler Flughafentag in der grünen Marmorhalle des arrival areas. Einreisende legen ihre Pässe vor. Grenzpolizisten nicken. Der security check ist eine routinemäßige Abfertigung. Von Misstrauen ist hier wenig zu spüren. Der Großteil der Taiwanesen hofft, dass dieser Zustand anhält. Manche Stimmen behaupten, dass sich die Kommunisten die Insel vor ihrer Küste pünktlich zum 100. Jahrestag der Volksrepublik China im Jahr 2049 aneignen wollen. Bis dahin sind es noch 30 Jahre. Die Wahl am 11. Januar 2020 gilt für viele Taiwanesen als Schicksalstag.
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