Die SRG als möglicher Freund und Helfer

23. April 2016 • Qualität & Ethik, Redaktion & Ökonomie • von

Das Interesse von Privaten an Kooperationen mit der SRG ist größer als erwartet. Dieses Fazit lässt sich aus Gesprächen mit Branchenvertretern und Experten ziehen.

Schweizer FernsehenIst eine engere Zusammenarbeit der SRG (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) mit privaten Medienunternehmen der Schweiz erstrebenswert und erreichbar? Mit dieser Frage haben sich Stephanie Grubenmann und Stephan Russ-Mohl (beide Università della Svizzera italiana, Lugano) in den letzten Monaten intensiv befasst. Dazu haben sie in der Schweiz handverlesene Medienpraktiker und -experten befragt und sich zugleich im Ausland umgesehen, um in Erfahrung zu bringen, welche Kooperationsmodelle international bereits erprobt werden.

Das EJO dokumentiert die Kernaussagen ihres vom Verband Schweizer Medien (VSM) finanzierten Forschungsberichts, der sich auch als Antwort auf die Kooperationsofferte des SRG-Generaldirektors Roger de Weck sehen lässt und die Forderung der Eidgenössischen Medienkommission (EMEK) nach engerer Zusammenarbeit aufgreift.

Ob es eine Win-win-win-Situation geben kann, von der sowohl das Publikum als auch die SRG und private Medienanbieter profitieren, diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Unsere explorative Studie liefert zumindest zwei überraschende Ergebnisse, die für die weitere Entwicklung der privatwirtschaftlichen Medienbranche und des Service public in der Schweiz relevant sind – eine Entwicklung, die absehbar von Digitalisierung und Medienkonvergenz geprägt sein wird:

  • Einerseits ist das Interesse an Public Private Partnerships (PPP) und die Bereitschaft zur Kooperation privater Medienakteure mit der SRG SSR größer als von uns erwartet. Ob solche Zusammenarbeit unter den derzeit eher schwierigen Ausgangsbedingungen tatsächlich zustande kommt, wird allerdings entscheidend von deren konkreter Ausgestaltung abhängen.
  • Andererseits zeigt sich, dass in den Nachbarländern und auch außerhalb Europas bereits vielfältig zusammengearbeitet wird, oftmals eher informell und unterhalb der Schwelle öffentlicher Aufmerksamkeit. Es dürfte sich mithin lohnen zu experimentieren. Bei entsprechender Ausgestaltung von Partnerschaften sind Synergieeffekte denkbar, die allen Beteiligten nützen können.

Public Private Partnerships sind allerdings keine „Erfindung“, die aus der Not der aktuellen Krise geboren wurden – weder in der Schweiz noch im Ausland. Sie haben durchaus Tradition, wie sich zum Beispiel an der Schweizer Depeschenagentur sda, an der Schweizer Mediendatenbank, am Presse-TV, an gemeinsam veranstalteten Anlässen und an langjährigen Kooperationen mit Ausbildungsinstitutionen wie dem MAZ, der ZAHW Winterthur oder der Universität in Neuchâtel ablesen lässt. Nicht zu unterschätzen sind allerdings ordnungspolitische Probleme, die mit mehr Kooperation einhergehen können: Zum einen ist mit Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten nicht-beteiligter Medienunternehmen zu rechnen; zum anderen könnte sich der entstehende Medienverbund zu einem unangreifbaren Fremdkörper im föderalistischen Schweizer System der Gewaltenteilung auswachsen. Deshalb plädieren wir bei der Inhalte-Erstellung und -Distribution für zeitlich befristete, möglichst vielfältige und gegebenenfalls rücknehmbare Pilotprojekte, die vor allem kleineren Medienunternehmen und Startups zugutekommen sollten, während längerfristige Kooperationen eher bei der Bereitstellung von Infrastrukturen eingegangen werden sollten.

Erste Schritte

Konkret schlagen wir vor, erstens für mehrere Monate mit einer Plattform zu experimentieren, auf der die sda SRG-Beiträge zur Online-Zweitverwertung seitens privater Anbieter unmittelbar nach deren Ausstrahlung abrufbar sind. Zumindest in der Pilotphase sollte dies kostenfrei erfolgen können: Alle Inhalte sind bereits vom Gebührenzahler finanziert, es besteht ein öffentliches Interesse an möglichst großer Verbreitung. Stehen diese Inhalte auch kleineren, innovativen Start-ups zur Verfügung, könnten ganz neue Angebot entstehen, die das Medienangebot in der Schweiz bereichern.

Zweitens wären die Archive der SRG zu öffnen und privaten Anbietern deren Nutzung gegen geringes Entgelt zu erschließen. Es ist im Interesse der Allgemeinheit, dass die „Schätze“, die hier schlummern, häufiger den Weg zu einem interessierten Publikum finden. Allerdings müssten für beide Projekte wohl erst rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden.

Drittens wäre in der Medientechnologie-, Media- und Medienforschung verstärkt zu kooperieren. Insbesondere sollten VSM, SRG sowie die führenden Schweizer Medienunternehmen gemeinsam die Einrichtung eines Stiftungslehrstuhls mit entsprechender Forschungsinfrastruktur vorantreiben.

Viertens sollten bestehende Partnerschaften in der Ausbildung verstärkt und neue eingegangen werden.

Fünftes sollten VSM und SRG gemeinsam mehrere Kooperationsprojekte bei der Inhalte-Erstellung ausschreiben. Ermöglicht werden soll so, dass private Online-Anbieter mit SRG-Redaktionen kooperieren und sich im Konvergenzprozess mit ihrem Kompetenzen und Spielräumen sinnvoll ergänzen: Gerade bei investigativen Projekten haben private Partner vermutlich mehr politische Unabhängigkeit als die SRG, und die gemeinsame Nutzung redaktioneller Ressourcen lässt womöglich erst die erforderliche Recherchekapazität entstehen. Vorbild hierfür könnte das amerikanische Stiftungsprojekt ProPublica sein, eventuell auch die Rechercheallianz von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung.

Kooperationen müssten aber so gestaltet werden, dass sie nicht den Wettbewerb verzerren: Statt einer langfristig ausgelegten Zusammenarbeit mit mächtigen Partnern wie der Swisscom und Ringier sollte sich die SRG eher aktiv um vielfältige und projektbezogene und damit befristete Kooperationen mit möglichst vielen Schweizer Medienunternehmen bemühen. Zu favorisieren sind dezentrale bzw. föderalistische Lösungen: Vielfältige temporäre Kooperationsprojekte sind vermutlich besser als ein oder wenige „große“, die zwangsläufig zur Kartellisierung und damit auch zur Zementierung von Strukturen führen würden. Im Rätoromanischen oder im Tessin müssten Kooperationen anders aussehen als in der Deutschschweiz oder der Suisse Romande. Sinnvoll wäre es wohl auch, im politikfernen Bereich zu starten, damit erst gar nicht der Eindruck entstehen kann, Allianzen dienten versteckt politischer Einflussnahme auf Wahlen und Volksentscheide.

Sollen Kooperationen im Blick auf Medienvielfalt einen positiven Effekt haben, wäre seitens der SRG ein besonderes Augenmerk auf Partnerschaften mit kleineren Medienunternehmen und Start-ups zu richten. Insoweit ist die Werbeallianz mit Ringier und Swisscom das falsche Signal. Außerdem bleibt zu beachten, dass bilaterale Kooperationen zu Wettbewerbsverzerrung zu Lasten Dritter führen können.

Unsere Erhebung stützt sich in der Schweiz fast ausschließlich auf Gespräche und Interviews, also auf Wahrnehmungen betroffener Medienakteure und beobachtender Medienexperten. Sie ist nicht repräsentativ. Zahlreiche Public Private Partnerships im Ausland zeigen, dass mehr machbar wäre, der Teufel allerdings im Detail steckt und deshalb Kooperations-„Verordnung“ oder rechtliche Regelungen alleine vermutlich stumpfe Waffen sein werden. Mehr bewirken werden Signale von oben, dass ein „Change of Mindset“ erwünscht ist, und Überzeugungsarbeit, dass Kooperationen (Überlebens-)Chancen und Vielfalt von Medienangeboten sichern helfen, dort jedenfalls, wo sie freiwillig und in wechselseitigem Respekt eingegangen werden und wo konkrete Kooperationsanreize bestehen.

Komplementär zu neuen Kooperationsformen wäre allerdings auch über eine strengere Arbeitsteilung nachzudenken: So forderte EMEK-Präsident Otfried Jarren in einem Interview mit der Schweiz am Sonntag, dass sich die SRG SSR stärker auf ihre integrative Funktion besinnen und die Privaten dafür ihre kritische Kontrollfunktion wahrnehmen sollen. Auch bei den Berichterstattungsfeldern wäre mehr Arbeitsteilung sinnvoll. Die Lokal- und Regionalberichterstattung sollte die SRG womöglich noch mehr den lokalen privaten Medien vor deren eigener „Haustür“ überlassen – und diese Leistung durch mehr internationale sowie nationale Berichterstattung aus den jeweils anderen Sprachräumen der Schweiz ergänzen. Auch die vorgeschlagene Freigabe von Video- und Audiobeiträgen könnte beiden Seiten helfen, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren und so ein reichhaltigeres Medienangebot zu schaffen.

Erstveröffentlichung: NZZ vom 23. April 2016

Zur Studie „Zusammenarbeit statt Konkurrenz – Kooperationsmöglichkeiten zwischen der SRG SSR und privaten Medienunternehmen in der Schweiz“ geht es hier.

Bildquelle: wikipedia.org

 

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