Politics sells

23. März 2017 • Qualität & Ethik • von

Was ist wichtiger, die Wahrheit oder die Auflage? Schwierige Frage…, aber dann doch lieber die Auflage.

Ich erinnere mich mit Vergnügen an den Sel-Skandal. Er war ein Göttergeschenk für uns. Unsere Auflage stieg wie nie zuvor.

Ich werde gleich erklären, was der Sel-Skandal ist. Aber zuerst kommen wir zur New York Times und zum Spiegel.

Für die New York Times ist Donald Trump ein Göttergeschenk. Seit Trumps Wahlkampf begann, hat das Blatt über 700 000 neue, meist digitale Abonnenten gewonnen. „Trump ist die beste Sache, die unserer Abo-Strategie passieren konnte“, sagt der glückliche Chefredaktor Dean Baquet.

Interessant daran ist, dass damit eine alte Medienregel hinfällig geworden ist. „Sex sells“, sagte man früher. „Politics sells“, kann man heute sagen.

Tatsächlich sorgt heute die Politik in der Presse für jene emotionelle Erregung, die man früher mit freizügigen Frauenzimmern erzeugte. Die publizistischen Pin-ups der Gegenwart heißen Trump, Erdogan, Putin und Le Pen. Politik statt Po-litik.

Ähnlich glücklich wie bei der New York Times sind sie beim Spiegel. Sein berüchtigtes Titelbild – Trump enthauptet die Freiheitsstatue – war eine kommerzielle Bombe. Es war am Kiosk der bestverkaufte Titel seit langem. Nur das Trump-Titelbild nach der Wahl – Schlagzeile: „Das Ende der Welt“ – lief im letzten November noch besser. Rekordhohe 260 000 Stück gingen damals weg.

Und damit kommen wir zur entscheidenden Frage: Kannst du als Journalist noch objektiv schreiben, wenn deine subjektive Schreibe ein Verkaufsschlager ist? Konkret: Kannst du plötzlich positiv über Donald Trump berichten, wenn deine Negativ-Storys ein finanzieller Großerfolg sind?

Nein, natürlich kannst du das nicht. Sie würden dich enthaupten, auf der Redaktion wie im Verlag.

Damit wären wir beim Sel-Skandal. Es war nach 2012 der erste heftige Polit-Skandal in der Geschichte Südtirols. Es ging um gefälschte Ausschreibungen. Ein Minister und die Chefs des größten Staatsunternehmens mussten zurücktreten und wurden später verurteilt.

Für uns auf der ff war es wunderbar. ff heißt mein Nachrichtenmagazin da unten in Bozen. Unsere Auflage stieg wie verrückt. Woche für Woche gingen bei uns fünfzig, sechzig spontane Abo-Bestellungen ein.

Wir machten besten Kampagnenjournalismus. Wir erfanden keine Lügen, nein, das nicht. Aber wir recherchierten unablässig neue Punkte der Anklage. Die Punkte der Verteidigung recherchierten wir nicht. Belastungszeugen machten wir groß auf. Entlastungszeugen schafften es eher in die Nebensätze. Kurzum, wir machten professionelles news handling. Unsere Leser bezahlten mit Behagen dafür.

Genauso machen sie es nun bei der New York Times und beim Spiegel. Zu Trump erfinden sie keine Lügen, nein, das nicht. Aber sie gehorchen streng dem Prinzip der Kundenorientierung. Sie liefern, wofür die Leser bezahlen, was also Auflage und Kassenstand hebt. Sie liefern Ausgabe für Ausgabe den Beleg, warum Trump die Freiheit massakriert und die Welt in den Untergang reitet.

Auch Journalisten unterliegen der kommerziellen Konsequenz. Man kann zahlende Kunden nur binden, wenn man ihre Produkterwartung erfüllt. Die Kunden, besonders die Neukunden, bezahlen für die New York Times und den Spiegel und auch für meine ff nicht, um die objektive Wahrheitsfindung serviert zu bekommen. Sie zahlen, damit ihre subjektive Vorerwartung vergütet wird. Sie zahlen nicht für Ausgewogenheit, sondern für Einseitigkeit. Dafür zahlen sie mit Vergnügen.

Auch das Gesetz des Journalismus unterliegt dem einfachsten, ökonomischen Gesetz. Es ist das Gesetz von Nachfrage und Angebot.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 16. März 2017

Bildquelle: Elvert Barnes / Flickr CC: AntiTrumpStreetArt2.ScottCircle.WDC.20February2017; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

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