Erstveröffentlichung: Weltwoche 02/10
Trari, trara, der Thesenjournalismus erhebt wieder einmal sein blutiges Haupt.
Zur Einstimmung zuerst die besten Schlagzeilen: «Eklat bei der Post» («10 vor 10»). «Eklat bei der Post» (Der Bund). «Eklat bei der Post» (Radio DRS). «Post-Eklat» (Die Südostschweiz). «Eklat beim Gelben Riesen» (St. Galler Tagblatt). «Weiterer Eklat bei der Post» (Basler Zeitung). «Noch ein Eklat» (Berner Zeitung). «Schon wieder Eklat bei der Post» (Blick). «Neuer Eklat» (Neue Luzerner Zeitung). «Weiterer Eklat an der Post-Spitze» (NZZ). «Weiterer Eklat an der Post-Spitze» («Tagesschau»).
Die Lemminge sind wieder einmal los. Die hysterische Treibjagd gegen den Post-VR-Präsidenten Claude Béglé bescherte uns in den letzten Wochen ein Paradebeispiel des kollektiven Thesenjournalismus.
Thesenjournalismus ist definiert durch die Umkehr von Recherche und Konklusion. Im Normalfall sammelt ein Journalist Informationen und bildet sich daraus eine Meinung. Im Thesenjournalismus formuliert er zuerst die Meinung und sammelt dann nur noch Informationen, welche diese Meinung stützen. Die anderen Fakten verschweigt er.
Genauso lehrbuchmässig lief es im Fall Béglé. Wir wollen die sechs Phasen des Thesenjournalismus darum kurz nachvollziehen. Mitunter können sich die Phasen überlappen.
Phase 1 – Skandalisierung.
Die Journalisten fokussieren von Anfang an nicht den «Rücktritt bei der Post» und den «weiteren Rücktritt von der Post». Sie titeln auf den «Eklat bei der Post» und den «weiteren Eklat bei der Post». Damit ist die Tonlage gesetzt.
Phase 2 _ Personalisierung.
Alles Böse konzentriert sich nun auf ein Monster, das allein schuldig ist. Das Monster heisst Béglé. «Ein Machtmensch, der polarisiert» (Basler Zeitung). «Der neue Sonnenkönig der Post» (NZZ am Sonntag).
Phase 3 – Kampagne.
Die Medien gehen nun Dutzende von Informanten an. Wer über das Monster herzieht, wird zitiert. Wer das Monster und seine Ernennung positiv beurteilt, wird totgeschwiegen. «Liste von Béglés Gegnern wird länger» (Berner Zeitung). «Breite Kritik an Vorgehen bei Béglé-Wahl» (Tages-Anzeiger).
Phase 4 – Rücktritt.
Die Journalisten versuchen, das Monster aus dem Amt zu jagen. Damit der Eindruck entsteht, das Monster sei bereits erledigt, werden schon die Kandidaten für dessen Nachfolge präsentiert. «Wer könnte Post-Béglé beerben?» (Blick). «Luft wird für den Post-Chef dünn» (Neue Luzerner Zeitung).
Phase 5 – Eskalation.
Weil das Monster nicht geht, setzen die Medien nun dessen Chef unter Druck. Falle er das Monster nicht entlasse, drohe auch er in den Strudel gerissen zu werden. «Warum Béglé für Leuenberger gefährlich ist» (Der Bund). «Leuenberger lässt Béglé fallen» (Aargauer Zeitung).
Phase 6 – Schmutz.
Nun folgt die persönliche Diffamierung. Ex-Regierungssprecher Oswald Sigg darf seine Frau, eine Sekretärin, als Mobbing-Opfer präsentieren. «Sigg wirft Béglé Mobbing vor». Der Ex-Vorstand der Deutschen Post, Peter Kruse, darf das Monster charakterlich fertigmachen. «Béglé: Schlechtes Zeugnis vom Ex-Chef». Beide Ferkeleien gehen auf das Konto der Sonntagszeitung. Zum Dank wird sie von den Kollegen ausgiebig zitiert.
Wichtig ist, dass man über alle Phasen die Grundfrage nie thematisiert. Bei der Post ist das der Konflikt um die Corporate Governance, mit der es im Unternehmen zum Argen stand. Vor Béglé entschied die Geschäftsleitung allein, der machtlose Verwaltungsrat nickte bloss ab. Seit Beglé entscheidet wieder der Verwaltungsrat über die Strategie, genau so, wie es das Aktienrecht verlangt. Natürlich rührt daher die interne Opposition.
Unsere Journalisten wissen das. Keiner schreibt es. Man will die These nicht gefährden.
Schlagwörter:Claude Béglé, Post, Thesenjournalismus