„Nur copy und paste” – Journalisten zweiter Klasse?

10. März 2014 • Digitales, Redaktionsmanagement • von

„Was wir hier machen, ist eigentlich gar kein Journalismus“ lautet der einprägsame Titel einer Studie von zwei Medienforschern aus Slowenien und Serbien.

Sie haben untersucht, wie die Online-Journalisten der slowenischen Tageszeitung Delo und der serbischen Tageszeitung Novosti ihr berufliches Rollenverständnis innerhalb der Gesellschaft und ihrer Redaktion wahrnehmen und unter welchen Bedingungen sie arbeiten.

Der Titel der Studie – ein Zitat eines Online-Journalisten, der bei Delo arbeitet – macht das Dilemma der befragten Online-Journalisten deutlich. Ihre Hauptaufgabe ist es, von ihren Printkollegen erstellte Inhalte auf die Website zu stellen, Meldungen von Nachrichtenagenturen umzuformulieren oder einfach nur zu kopieren und ausländische Mediennachrichten zu übersetzen. Aufgrund von Zeitdruck erschaffen sie nur selten selbst originäre Inhalte. Aus diesem Grund betrachten sie sich nicht als „wahre“ Journalisten.

Aber: Ihre Antworten suggerieren auch, dass sie sich innerhalb der Gesellschaft dennoch als aktuelle und objektive Vermittler der Realität sehen, indem sie die Nutzer mit „schnellen Nachrichten“ und „glaubwürdiger Information“ versorgen.

Igor Vobič (Universität Ljubljana) und Ana Milojević (Universität Belgrad) befragten für ihre Studie fünf von 15 Online-Journalisten der slowenischen Delo und vier von neun Online-Journalisten der serbischen Novosti. Alle Interviewpartner waren zum Zeitpunkt der Befragung im Jahr 2011 unter 35 Jahre alt. 

Sowohl Delo als auch Novosti wurden in den 1950ern gegründet und befanden sich bis zum Ende des Sozialismus in gesellschaftlichem Besitz, dann wurden sie privatisiert. Beide Zeitungen riefen ihre Nachrichtenwebsites Ende der 1990er ins Leben. In den 2000er Jahren gründeten beide eine eigenständige Online-Redaktion, die von der jeweiligen Zeitungsredaktion sowohl räumlich als auch personell getrennt war. Zwei Jahre vor der Befragung der Medienforscher begannen die Managements beider Zeitungsredaktionen damit, die Rolle der Online-Journalisten und der Online-Nachrichten zu überdenken und die Print- und Online-Redaktionen zu integrieren. Bei Delo arbeiteten die Print- und Online-Journalisten zum Zeitpunkt der Interviews bereits in einem gemeinsamen Newsroom, bei Novosti arbeiteten die Journalisten noch räumlich voneinander getrennt.

Die befragten Online-Journalisten beider Redaktionen beklagen, dass sie von ihren Printkollegen „nicht als gleichwertig betrachtet“ werden. So sagt ein Online-Journalist von Delo: „Einige Printjournalisten sind arrogant. Sie sehen uns als einen Haufen Studenten an. Es wird ständig impliziert, dass der Printjournalismus der ‚alten Schule‘ das einzig Wahre ist. Es wird sich nichts ändern, bis Online-Journalisten älter werden.“ Die Antworten der Befragten suggerieren, dass eine funktionierende Integration von Print und Online noch lange nicht erreicht ist. Wenn überhaupt, würden Absprachen zwischen Print und Online nur in den zweimal täglich stattfindenden Konferenzen getroffen werden,  ad hoc-Koordinierung sei sehr selten. Zudem betonen die Online-Journalisten der slowenischen Redaktion, dass sich die Chefredakteurin der Zeitung überhaupt nicht für die Online-Nachrichten interessiere: „Sie kennt uns nicht, sie sagt nicht hallo. Sie ist furchtbar. Ihr Büro ist in der Nähe von uns und sie geht oft an uns vorbei, sagt aber nichts. Wahrscheinlich existieren wir gar nicht für sie.“

Auch im Angestelltenverhältnis macht sich ein großer Unterschied bemerkbar: Die meisten der befragten Online-Journalisten haben befristete Verträge oder arbeiten als feste Freie. Die Mehrheit ihrer Printkollegen steht in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis, wird im Krankheitsfall bezahlt und hat bessere Karriereaussichten.

Sowohl bei Delo als auch bei Novosti fühlen sich die Online-Journalisten von ihren Printkollegen unterschätzt. So sagt ein Journalist von Novosti: „Es scheint, dass unsere Printkollegen nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, dass bei Online-Nachrichten das Tempo das A und O ist. Ihre  Geisteshaltung ist eher ‚Lasst es uns gemütlich angehen‘.“

Das schnelle Arbeitstempo ist aber auch die Krux im Arbeitsalltag der Online-Journalisten. Sie betonen, dass sie bei ihrer Arbeit keine Zeit für eines der fundamentalen Prinzipien des Journalismus haben: Informationen zu verifizieren. Wie sie sagen, verlassen sie sich stattdessen auf die Genauigkeit ihrer Kollegen, die ihre primäre Informationsquelle sind.

Auf der einen Seite sind die Online-Journalisten von Delo und Novosti der Meinung, dass das, was sie machen, „gar kein richtiger Journalismus“ sei und sie nehmen sich als „Wiederverwerter“ und „Roboter“ wahr, die nur „copy und paste“ betreiben. Auf der anderen Seite aber machen sie in den Interviews mit den Forschern auf die Wichtigkeit von Online-Nachrichten im Meinungsbildungsprozess und in der politischen Partizipation der Gesellschaft aufmerksam. „Menschen, die sich über unsere Nachrichten informieren, können nicht so einfach manipuliert werden und somit bessere Entscheidungen treffen“, sagt ein Online-Journalist von Delo. Ein Online-Journalist von Novosti betont, dass sie im „Dienst der Bürger“ arbeiten.

Kritische Artikel verfassen sie aber so gut wie nie, von einer Rolle als Watchdog sind sie weit entfernt. Die Antworten der slowenischen Journalisten suggerieren, dass sie bei Delo durchaus die Gelegenheit hätten, „Dinge aufzudecken“ und die „Mächtigen zu kontrollieren“, wenn sie die Zeit und den finanziellen Anreiz dafür hätten. „Natürlich könnten wir in unserer Freizeit investigative Storys machen“, sagt ein Online-Journalist von Delo, „aber sorry, das möchte ich nicht. Warum sollte ich mich für 600 Euro im Monat so anstrengen?“

Ein serbischer Online-Journalist hält fest, dass der Journalismus, den er und seine Kollegen bei Novosti betreiben „pure Ökonomie“ ist: „Wir jagen nach Klicks, indem wir über das berichten, was die Aufmerksamkeit unserer Leser erweckt. Vielleicht war ich naiv, aber ich habe mir Journalismus anders vorgestellt.“

Die Antworten der slowenischen und serbischen Journalisten zeigen auf, dass es vor allem die institutionelle Organisation ist, die sie von den Diensten abhält, die sie dem Publikum gerne bieten würden, folgern Vobič und Milojević.

Wie die beiden Wissenschaftler aufführen, haben auch schon frühere Studien festgestellt, dass in beiden Ländern die wirtschaftlichen Ziele der Redaktionen als wichtiger angesehen werden als journalistische Werte.

So herrsche im slowenischen Journalismus das Konzept des marktorientierten Journalismus vor – die Medienberichte seien geprägt von Sensationsgier, Dramatisierung und Trivialisierung. In Serbien hätten die Wirtschaftskrise und Personalkürzungen zu einer Verringerung der journalistischen Qualität geführt – selbst die staatlichen Medien haben laut der bisherigen Forschung Probleme damit, ihren Auftrag im Sinne des Gemeinwohls zu erfüllen.

In den Interviews bemängeln die serbischen Online-Journalisten neben dem Zeitdruck, unter dem sie arbeiten müssen, auch politischen Druck – ein Problem, das natürlich nicht nur die Online-Journalisten betrifft. „Es ist mir zuwider als Journalist auf so viele persönliche Interessen der Mächtigen eingehen zu müssen. Üblicherweise stehen wir im Dienst von Politikern und anderen einflussreichen Personen“, zitieren die Autoren einen Novosti-Journalisten.

Auch wenn sich die slowenischen und serbischen Journalisten in den Interviews auf idealtypische Werte wie Objektivität und Unparteilichkeit berufen, scheinen sie im Berufsalltag eher ihre Verantwortung gegenüber den Medienbesitzern und den Mächtigen des Landes wahrzunehmen. Ihre Leistungen gegenüber dem Publikum rücken dabei in den Hintergrund, schreiben die Forscher. Damit bedienen sie dieselben beruflichen Routinen wie ihre Printkollegen. Ein Vergleich mit früheren Studien zeigt zudem, dass die Journalisten auf den Online-Stellen auch die beruflichen Ideologien der Zeitungsredakteure teilen. Das mache deutlich, dass auch in Slowenien und Serbien trotz der neuen Medien „keine neuen Journalisten erfunden“ werden, folgern die Autoren. Stattdessen würden „alte Modelle“ in „neuen Kontexten“ adaptiert.

Vobič, Igor; Milojević, Ana (2013): „What we do is not actually journalism“: Role negotiations in online departments of two newspapers in Slovenia and Serbia. In: Journalism, veröffentlicht online am 10. Dezember 2013

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