Terror, Kriminalität, Katastrophen

28. Oktober 2015 • Qualität & Ethik • von

Das Bild, das die Medien zeichnen, ist differenzierter, als viele wahrhaben wollen.

TerrorWie berichten die Medien über Terrorismus, Kriminalität und Katastrophen? Philipp Henn und Gerhard Vowe (beide Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf) liefern im Blick auf Deutschland differenzierte Antworten auf diese ebenso spannende wie wichtige Frage. Angesichts der Flüchtlingskatastrophe und wachsender, mitunter auch von populistischen Politikern und Medien geschürter Angst vor Terrorismus und Kriminalität in der Bevölkerung gelingt den Forschern obendrein etwas, was die Wissenschaft nur sehr selten zu leisten vermag: sie beantworten ihre Frage sozusagen „just in time“.

Je nach Mediengenre widmen die deutschen Medien 15 bis 27 Prozent der Gesamtberichterstattung den drei genannten Themen. Für alle, die in Massenmedien einen Spiegel der Realität sehen möchten, ist dieser Anteil natürlich astronomisch hoch, denn – so konstatieren die Autoren nüchtern: „Es passiert in Deutschland eher selten, dass jemand mit Kriminalität, Terrorismus oder Katastrophen unmittelbar konfrontiert wird. Das Wissen der allermeisten Menschen darüber speist sich aus den Erzählungen anderer und vor allem aus den Medien.“ Die Medien konstruierten nun einmal, ihren jeweiligen Regeln folgend, „ihre ganz eigene Wirklichkeit, die in der Gesellschaft rezipiert und zur Bildung wiederum eigener Realitätssichten genutzt“ werde.

Aufgabe der Medienforschung wiederum sei es, diese Medienrealität zu rekonstruieren und deren Konstruktionsregeln aufzudecken – was mit Hilfe der in den letzten Jahrzehnten entwickelten Nachrichtenfaktoren auch weithin gelungen sei, denn mit ihnen „kann erklärt werden, warum Kriminalität, Terrorismus und Katastrophen für die Medien eine dermaßen hohe Attraktivität besitzen.“

Um Genaueres herauszufinden, haben Henn und Vowe über 18 Monate hinweg mehr als 12.000 Beiträge aus Fernsehnachrichten, Presse und Onlinemedien kodiert. Dabei hinken auch sie der Realität insoweit hinterher, als sich der Untersuchungszeitraum auf 2011/12 erstreckt, also die aktuelle Flüchtlingskatastrophe noch nicht mit einbezieht.

Herausgefunden haben sie, dass „Verbrechen in den Medien vor allem im Nahraum“ stattfinden, Katastrophen dagegen „in der Ferne“; der Terrorismus „rückt näher“. Das größte Gewicht komme „der Kriminalitätsberichterstattung zu, die mit 8 bis 15 Prozent der Beiträge vertreten ist“ und kontinuierlich stattfinde, während über Terrorismus und Katastrophen vor allem anlassbezogen berichtet werde.

Insgesamt stellen die Forscher den Medien ein erstaunlich gutes Zeugnis aus: Sie zeichneten ein „ausgesprochen facettiertes Bild von Sicherheit“. Man könne nicht von einzelnen Medien auf die gesamte Sicherheitsberichterstattung schließen – auch nicht mit „Hilfskonstruktionen wie ,Leitmedien‘ oder ,Elitemedien‘“. Die Medienrealität sei auch nur „eine von vielen Konstruktionen, die in einer Gesellschaft um die Deutungsmacht ringen“. Damit nehmen die Forscher die Medien vor Angriffen in Schutz, sie würden mit diesen besonders heiklen Themen nicht angemessen umgehen.

Immerhin erkennen die Forscher selbst, dass einige besonders spannende Fragen unbeantwortet bleiben: Das von den Medien gezeichnete Bild sollte abgeglichen werden mit „medienunabhängigen Daten“, z.B. aus Kriminalitätsstatistiken oder mit Schadenssummen, „damit die Unterschiede differenziert erfasst werden können“. Das könnte in der Tat dazu beitragen, dass die Medien der organisierten Kriminalität von Mafia und N’Drangheta in Europa endlich etwas mehr und womöglich dem IS-Terrorismus etwas weniger Aufmerksamkeit widmeten.

Leider haben die Forscher auch der Frage, ob die Medien (unfreiwillig) Täter heroisieren, nicht ihr Augenmerk geschenkt. Der mediale Umgang mit dem Germanwings-Kamikaze-Piloten Andreas Lubitz, aber auch die jüngste Hinrichtung einer amerikanischen TV-Reporterin vor laufender Kamera, liefern genug Anlass, sich gerade mit diesem Problem kritisch weiter zu beschäftigen. Die Medienforscherin Marlis Prinzing (Macromedia Hochschule, Köln) sowie die Journalistin Petra Tabeling (Deutsches Dart-Center, Köln) haben wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass die Medien für bestimmte Tatinszenierungen wohl ein gerüttelt Maß Mitverantwortung tragen, indem sie allzu berechenbar den Tätern zu „Ruhm“ und öffentlicher Aufmerksamkeit verhelfen.

Philipp Henn/Gerhard Vowe (2015): Facetten von Unsicherheit. Welches Bild von Terrorismus, Kriminalität und Katastrophen zeigen die Medien? In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 63. Jg., Nr. 3, S. 324-362

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 10/11 2015

Bildquelle: Technofreak / Flickr CC

 

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