Um aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen adäquat Rechnung tragen zu können, ist es wichtig, sie mithilfe eines historischen Bezugspunkts zu verorten.
Wandel, Wandel, Wandel, ständig wandelt sich etwas. Die Wirtschaft wird 4.0, die Gesellschaft post-irgendwas und die Medien scheinen den Wandel überhaupt erfunden zu haben. Aber was bedeutet Wandel? Veränderung, Verbesserung, Verschlechterung?
Dass es dabei um Veränderung geht, gilt wohl als gesetzt. Hingegen ist die Frage nicht so einfach zu beantworten, ob aus dem Wandel etwas Besseres hervorgeht oder vielmehr die Auffassung vertreten wird, dass jegliche Veränderung per se nur zu einer Verschlechterung führen kann.
Entscheidend für jeglichen Wandel und den Versuch ihn zu erfassen ist zweifellos die Notwendigkeit eines Bezugspunktes, einer Referenz. Und so eine notwendige Referenz muss im Falle der Bezugnahme von Wandelphänomenen – ob wir das wollen oder nicht – in der Vergangenheit liegen.
Erosion historischer Medien- und Kommunikationsforschung
Internet und digitale Kommunikation sind entsprechend ihrer gesellschaftlichen Relevanz zu einem zentralen Gegenstand der Medien- und Kommunikationsforschung geworden. Die damit einhergehenden Phänomene werden auch in der Forschung unter dem Schlagwort des Wandels – Medienwandels – abgearbeitet.
Gleichzeitig ist im Laufe der letzten beiden Dekaden eine systematische Erosion historischer Forschung in der Medien- und Kommunikationswissenschaft festzustellen. Vormals existierende Professuren für Medien- und Kommunikationsgeschichte wurden mit Vertretern und Vertreterinnen anderer, scheinbar relevanterer Forschungsschwerpunkte nachbesetzt. Argumentiert wird dieser Trend offenbar mit dem Ziel besserer ökonomischer Verwertbarkeit von Forschung sowie der Notwendigkeit, aktuellen Entwicklungen in Technik und Gesellschaft adäquat Rechnung zu tragen. Was also ist weniger aktuell als Geschichte und Vergangenheit?
Allerdings: Um aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen adäquat Rechnung tragen zu können, um Veränderungen herausarbeiten und bewerten zu können, ist die diachrone Perspektive notwendig. Dabei geht es nicht darum, die Geschichte als Lehrmeisterin heranzuziehen – ob wir aus der Geschichte lernen können, wurde in der Vergangenheit (sic!) schon trefflich diskutiert – sondern um die Verortung von gegenwärtigen Veränderungen mit Hilfe eines historischen Bezugspunkts.
Mangel an historischem Bewusstsein
Unkritische Faszination ebenso wie dystopische Ängste vor Veränderungen im Zuge von Digitalisierung und Mediatisierung resultieren oftmals aus einem Mangel an historischem Bewusstsein. Medienwandel ist kein singuläres Ereignis des 21. Jahrhunderts. Medien – und Gesellschaften – waren auch in der Vergangenheit mit Prozessen von Wandel und Veränderung konfrontiert.
Nun mag man einwenden, dass wohl kein Wandel dermaßen einschneidend und gravierend war wie jener, den wir heute erleben. Doch ohne empirische Überprüfung historischer Wandelphänomene und deren Vergleich mit gegenwärtigen bleibt dieser Einwand nur eine Behauptung.
Die (wissenschaftliche) Auseinandersetzung mit Medienwandel muss sich die Frage stellen, ob es sich bei den als neu oder als verändert definierten Phänomenen um Weiterentwicklungen von bereits Vorhandenem, um ein Zusammenwachsen von Altem und Neuem oder um das Entstehen vollkommen neuer Kommunikations- und Informationsformen handelt. Erst „die Historisierung von Wandelphänomenen lässt das eigentlich Neue herausstechen und somit nicht nur tatsächlichen Wandel von vermeintlichem unterscheiden, sondern ebenso Kontinuitätslinien und Brüche erkennen“.
Österreichische Mediengeschichte als Anstoß
Nicht zuletzt auch um der Marginalisierung von Geschichte innerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaft etwas zu entgegnen und historische Forschung (wieder) auf die Agenda der Medien- und Kommunikationswissenschaft zu setzen, sind auf Initiative des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung (CMC) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Alpen-Adria-Universität jüngst zwei Bände zur österreichischen Mediengeschichte erschienen. Die Publikation versteht sich als Mediengeschichte des Landes im Sinne einer Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Im Zentrum des Interesses steht daher nicht so sehr die exakte Rekonstruktion von Entwicklungslinien einzelner Mediengattungen, sondern vielmehr die Wechselwirkung von medialen Veränderungen und gesellschaftlichen Entwicklungen.
Veranstaltungshinweis:
Am 2. April 2019 um 16.00 Uhr wird im Technischen Museum Wien der zweite Band der „Österreichischen Mediengeschichte“ präsentiert. Die Teilnahme ist kostenlos. Anmeldungen bitte unter [email protected]
Literaturhinweise:
„Österreichische Mediengeschichte“, herausgegeben von Matthias Karmasin und Christian Oggolder:
Band 1: Von den frühen Drucken zur Ausdifferenzierung des Mediensystems (1500 bis 1918). Wiesbaden: Springer VS, 2016.
Band 2: Von Massenmedien zu sozialen Medien (1918 bis heute). Wiesbaden: Springer VS, 2019.
„Theorien des Medienwandels“, herausgegeben von Susanne Kinnebrock, Christian Schwarzenegger und Thomas Birkner
Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 11. März 2019
Bildquelle: pixabay.com
Schlagwörter:Digitalisierung, Historisierung, Mediatisierung, Mediengeschichte, Medienwandel, österreichische Mediengeschichte