Mythos Globalisierung

16. Oktober 2006 • Digitales • von

Medienheft, 16. Oktober 2006

Warum die Medien nicht grenzenlos sind
Globalisierung hat sich als gesellschaftliches Konzept durchgesetzt. Doch ob international agierende Medienkonzerne zu einer weltweiten Kommunikationskultur führen, wagt Professor Kai Hafez in seinem Band "Mythos Globalisierung" zu bezweifeln.

Das ist so eine Sache mit der Globalisierung. Noch bis vor wenigen Jahren war man fest davon überzeugt, mit diesem Schlagwort ein schlüssiges Generalkonzept unserer Epoche gefunden zu haben, das nicht nur den grenzüberschreitenden Warenhandel mit Big Macs, IPods und VW Polos angemessen erklärt. Auch für die wachsende Ausbreitung weltumspannender Kommunikationssysteme durch Internet, E-Mail und natürlich das Satellitenfernsehen war man schnell mit der McLuhan'schen Metapher vom "globalen Dorf" zur Hand oder man berief sich auf Manuel Castells neuzeitliche Visionen einer "Netzwerkgesellschaft". Hin und wieder war auch von einer "Glokalisierung" die Rede, womit die lokalen und regionalen Effekte des Globalisierungsprozesses auf die jeweiligen Kulturen gemeint waren.

Doch der Traum von einem allmählich zusammenwachsenden Jahrmarkt der Kulturen über religiöse und geografische Grenzen hinweg ist ebenso schnell zerplatzt wie der einer weltweiten Demokratisierung durch das Internet. Den Informations- und Kommunikationstechnologien des 21. Jahrhunderts wird nicht mehr ganz so viel zugetraut, schon gar nicht, dass sie als Triebfeder eine globale Kommunikationskultur erzeugten: Weil Kommunikation aufs Engste mit sprachlichen und kulturellen Traditionen verflochten sei, würden gerade internationale Medienbeziehungen von Grosskonzernen wie Time Warner, Viacom oder Bertelsmann überschätzt (vgl. Hachmeister/Rager 2005). Diese These vertritt der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez in seinem schmalen Buch "Mythos Globalisierung. Warum die Medien nicht grenzenlos sind". Hafez ist Professor an der Universität Erfurt und durch seine langjährige Mitarbeit am Deutschen Orient-Institut mittlerweile gefragter Nahost-Experte. Mit seinem Buch tritt er an, das Phänomen der Globalisierung zu entmystifizieren, denn Hafez vermisst "eine Gesamtbilanz der Globalisierung der Medien" (11). Diese Bilanz glückt ihm.

Anhand von aktuellen Beispielen wie der patriotischen Berichterstattung über den Irakkrieg 2003, der ambivalenten Internet-Präsenz der mexikanischen Zapatista-Revolte und dem arabischen Nachrichtenkanal Al-Jazeera wird veranschaulicht, warum Globalisierung zwar durchaus ein Effekt ist, den die Medien verstärken. Aber – so Hafez' Kernbotschaft – globalisiert seien die Medien deshalb noch lange nicht: Auch wenn Grossereignisse wie der 11. September via Fernsehen, Presse und Internet überhaupt erst öffentlich wahrgenommen würden, so geschehe dies immer (noch) durch stark national gefärbte Filter. Und genau aus diesem Grund sei der oft beschworene "CNN-Effekt" als Indikator für kulturelle Gleichmacherei ein Mythos: "Geradezu ein Symbol einer mythischen Überfrachtung ist die Geschichte des amerikanischen Nachrichtensenders CNN, der während des zweiten Golfkriegs 1991 einen rasanten Aufstieg zum globalen Leitmedium erlebte und einen neuen Typus des Fernsehens zu repräsentieren schien." (76) Weil Nachrichten eben kein gängiges kulturelles Massenprodukt seien, stosse das gewollt kosmopolitische Auftreten des Senders an Grenzen. Nach wie vor existierten deutsche, schweizerische, englische, russische, japanische und etliche andere national zugeschnittene Weltbilder, deren Deutungen sich bislang jeglichem (amerikanischen) Kulturimperialismus entziehen würden. Sogar die modernen Weblogs könnten diese nationale Brille nicht einfach ablegen.

Hafez stellt nüchterne, aber durchaus kritische Fragen, ohne den Zeigefinger zu strapazieren. Dazu trägt auch bei, dass er im Unterschied zu vielen seiner Fachkollegen die Medienaneignung nicht ausklammert. Ob Themen wie digitaler Graben, Fremdenfeindlichkeit oder "Neue Weltinformationsordnung" – nie verliert er das von der Globalisierungswelle betroffene Subjekt aus den Augen, dem er eine gewisse Immunität gegenüber der Globalkommunikation attestiert. Das zeigt sich beispielsweise auch im Unterhaltungsbereich, den Hafez neben dem Hollywood-Kino am Fernsehen untersucht. Gerade kultursoziologisch ist von Bedeutung, inwiefern sich Weltanschauungen durch international vertriebene Programmware verfestigen. So ist kaum auszuschliessen, dass sich etwa das patriarchalische Familienbild in der US-Serie "Dallas" auf die Einstellungen des jeweiligen Medienpublikums auswirken. Dennoch geht Hafez davon aus, dass die Interpretationen derartiger Serien-Importe in verschiedenen Kulturkontexten vielfältiger, mitunter sogar gegensätzlicher sind, als gemeinhin angenommen.

"Mythos Globalisierung" ist ein kluger Band, an dem nicht nur Medien- und Kommunikationswissenschaftler Gefallen finden dürften. Hafez gelingt es, seine Reflexion auf hohem Niveau mit einer flüssigen Sprache in Einklang zu bringen. Immerhin – auch das muss man Hafez' Entzauberungsthese zugute halten – gab es gerade in den vergangenen Wochen mit dem Karikaturen-Streit wieder eine Debatte, an der sich deutlich zeigen lässt, warum der "Dialog der Kulturen" letztlich an so feinen Unterschieden wie der hiesigen Auffassung von Pressefreiheit und der Verletzung religiöser Gefühle scheitern muss. "Was bleibt", bilanziert der Autor, "ist der Appell, eine grandiose Utopie durch nüchterne und vorurteilsfreie Analyse zu klären".

 

Kai Hafez: Mythos Globalisierung. Warum die Medien nicht grenzenlos sind. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2005. [252 S., ISBN 3-531-14670-X.] Das Buch erscheint im Januar 2007 auf Englisch unter dem Titel "The Myth of Media Globalization" beim Verlag Polity Press, Cambridge.

Weitere Quellen: Hachmeister, Lutz/ Rager, Günter (2005): Wer beherrscht die Medien? Die 50 grössten Medienkonzerne der Welt. Jahrbuch 2005. München.

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