Die Messenger-App Telegram basiert auf der Idee, Kommunikation persönlich zu gestalten und zu verschlüsseln. In der Ukraine ist sie aber auch zu einem beliebten Instrument für Journalisten geworden, um öffentliche Nachrichtenkanäle zu schaffen.
Als Fedir Popadyuk 2017 den ersten Telegram-Kanal der unabhängigen Nachrichtenwebsite Ukrainska Pravda erstellte, gewann die Messenger-App in der Ukraine an Fahrt. „Ich dachte: Es gibt da eine Plattform und es gibt Leute, die sich dafür interessieren, also müssen wir diese Zielgruppe abdecken”, sagte Popadyuk, der für die Telegram-Kanäle bei Ukrainska Pravda verantwortlich ist. Wie eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens Kantar.TNS zeigte, sind fast die Hälfte der ukrainischen Telegram-Nutzer jünger als 25, und viele von ihnen schauen weder fern noch hören sie Radio-Nachrichten.
„Die Nutzungszwecke der Messenger-App haben sich geändert”, sagt Marina Kostromina, Account Director bei Kantar Ukraine. „Während sie letztes Jahr hauptsächlich für die Kommunikation mit Freunden diente, werden über sie nun auch Dokumente geteilt und Nachrichten konsumiert.“ Dieser Trend, Messenger-Apps als Nachrichtenkanäle zu benutzen, ist weltweit zu beobachten und hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Dennoch sind auch spezifische Gegebenheiten der jeweiligen Medienlandschaft des Landes ausschlaggebend dafür, wie eine Messenger-App eingesetzt wird und wie erfolgreich sie ist, so das Ergebnis eines Berichts des Tow Center for Digital Journalism.
„Telegram ist als Medium sehr effektiv“
Ein Grund, warum sich Telegram so großer Beliebtheit unter ukrainischen Journalisten erfreut, ist, dass sehr leicht mit Formaten in den Kanälen der App experimentiert werden kann. Im Gegensatz zu WhatsApp, das die Anzahl der Mitglieder einer Gruppe begrenzt, kann auf Telegram zudem eine unbegrenzte Anzahl von Nutzern einem Kanal beitreten.
Oksana Denisova und Tetyana Nikolayenko betreiben den beliebten Telegram-Kanal „The Newsroom“. Sie starteten den Kanal, als sie beide beim Internet-Medium The Insider arbeiteten, und entwickelten ihn nach ihrem Verlassen der Redaktion zu einem eigenständigen Produkt weiter. „Wir haben gesehen, dass Telegram als Medium sehr effektiv ist“, sagt Nikolayenko. „Wenn man etwas auf Facebook veröffentlicht, bedeutet das nicht unbedingt, dass jeder diesen Beitrag sieht. Bei Telegram kann man wirklich das gesamte Publikum des Kanals erreichen.“
Kommunizieren ohne Spuren zu hinterlassen
„Ich denke, es gibt eine Reihe von Gründen, warum Telegram so populär geworden ist”, sagt Ivan Oberemko, der für die beliebte TV-Satire-Show „#@)₴?$0“ einen Telegram-Kanal ins Leben rief, der nun einer der 20 Telegram-Kanäle der Ukraine ist, die am schnellsten wachsen. „Für den Nutzer ist es eine komfortable Plattform, deren Kanäle auch heruntergeladen werden können und dann offline zugänglich sind. Für den Herausgeber ist es von Vorteil, dass es keine Nutzerkommentare gibt – auf Facebook und Twitter ist ja jeder genervt davon. Zudem erhöht Telegram den Website-Traffic signifikant.“
Ein weiterer Erfolgsfaktor von Telegram ist die Verschlüsselung. So veröffentlicht die Redaktion von Ukrainska Pravda in ihrem Kanal „УП. Off the record“ Insiderinformationen, die aus offiziellen Quellen aus Politik und Wirtschaft stammen. „Ich weiß zudem, dass Journalisten manchmal geheime Chats auf Telegram verwenden, um mit Politikern zu kommunizieren“, sagt Popadyuk. „Es ist sehr praktisch, weil alle Nachrichten jederzeit gelöscht werden können und dann keine Spuren mehr vorhanden sind.“ Während Telegram in einigen Ländern wegen Schlupflöchern beim Datenschutz kritisiert wurde und sowohl in Russland als auch in Hongkong unter Beschuss steht, sprach keiner der Interviewpartner aus der Ukraine das Thema Datensicherheit an oder erwähnte Druck vonseiten der Regierung. Der neue ukrainische Präsident Wolodymyr Zelensky nutzte Telegram sogar für seinen Wahlkampf.
Dieser Beitrag wurde zuerst auf EJO Englisch veröffentlicht: Why journalists in Ukraine fell in love with Telegram
Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels-Schwabbauer.
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