Anonyme Quellen sind in den Medien beliebt. Denn damit lässt sich jede Gemeinheit rechtfertigen.
Auf einen Reflex in den Medien ist Verlass. Wenn jemand in Probleme gerät, dann bieten die Journalisten die anonymen Heckenschützen auf.
Kaum war etwa der neue Raiffeisen-Chef Patrik Gisel in ersten Nöten, da wusste in der Aargauer Zeitung eine „vertraute Quelle aus dem Innern der Bank“, dass seine Beziehung in die Brüche ging.
Kaum kam Doris Leuthard in den EU-Verhandlungen nicht mehr voran, da wusste – „eine mit den Verhandlungen vertraute Quelle“ in der Südostschweiz, was da alles schieflief.
Nicht nur die Zeitungen spielen das Spiel mit den anonymen Quellen. Auch die Nachrichtenagentur SDA ist dabei. Wenn sie über den Stellenabbau bei ABB spekuliert, tritt – „eine mit dem Dossier vertraute Quelle“ auf. Natürlich macht auch die SRG mit. Für die „Rundschau“ berichten dann „Quellen innerhalb der Fifa“ über vermutete Affären.
Die anonyme Quelle wurde zu Recht zum Schutz von wichtigen Informanten erfunden. Inzwischen ist es eine Seuche geworden. Die Anonymi können Verleumdungen von sich geben, Lügen und Gemeinheiten, und alles wird gedruckt und gesendet. Nicht mein Problem, sagen die Journalisten, ich zitiere ja nur eine Quelle.
Anonyme Informanten sind oft Denunzianten. Sie reden mit den Medien nicht zum Zweck echter Information, sondern aus Motiven wie Missgunst und Rachsucht. Das wissen die Journalisten natürlich auch. Sie veredeln ihre anonymen Zulieferer darum mit einer besonderen Aura.
Die Anonymen kommen nun „aus dem Kreis der Familie“, sie stammen „aus dem Umfeld der Regierung“, es sind „ehemalige Weggefährten“, es sind „enge Mitarbeiter“, es reden „Vertraute“. Beim Leser soll der Eindruck erweckt werden, all die anonymen Gestalten seien unabhängig, nah an den Akteuren dran und nur der Wahrheit verpflichtet.
Das Medienhaus Tamedia unterzog letztes Jahr seine Titel einem Qualitätsmonitoring. Geleitet wurde es vom früheren Tages-Anzeiger-Chefredaktor Res Strehle. Eine seiner Schlussfolgerungen war: „Anonyme Quellen dürfen nicht zum Mittel des Rufmordes werden.“
Wie recht er hatte. Eben musste der Tages-Anzeiger einen Artikel über den Bündner Verleger Hanspeter Lebrument zurückziehen und löschen, dies auch darum, weil der ganzseitige Text ausschließlich aus anonymen Anwürfen bestand.
Die Seuche der anonymen Quellen kommt aus den USA. Dort stösst man, von CNN bis New York Times, auf Zehntausende von unbenannten sources. Die meisten US-Medien haben zwar restriktive Richtlinien. Anonyme Quellen dürften nur dann verwendet werden, wenn eine zweite Quelle ihre Aussage bestätigt. Im derzeit brutalen Konkurrenzkampf um die schärfste Anti-Trump-Story ist diese Regel jedoch untergegangen.
In der Schweiz gibt es keine Regeln zur Verwendung von anonymen Quellen. Jeder Journalist kann jede Schmuddelei von „Bekannten aus dem Umfeld“ und „engen Mitarbeitern“ ungehindert in seinen Texten unterbringen.
Man könnte das Problem mit drei Regeln einfach lösen. Erstens: Anonyme Aussagen in einem Artikel müssen von einem Mitglied der Redaktionsleitung bewilligt werden. Zweitens: Die echten Namen dieser anonymen Informanten müssen der Redaktionsleitung bekannt sein. Drittens: Sogenannte blind quotes sind verboten.
Blind quotes sind die tückischste Form der anonymen Anklage. Es sind wörtliche, anonyme Zitate. „Meier ruiniert die Firma“, sagt dann ein anonymer Mitarbeiter. „Müller begrapscht jede Kellnerin“, sagt dann ein anonymer Bekannter.
Es ist die schwarze Seite des Journalismus. Dolchstöße im Dunkel der Nacht.
Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 19. April 2018
Schlagwörter:anonyme Quellen, blind quotes, Quellen, Schweiz