Comics können mehr als Ächz, Bumm und Würg. Bootsflüchtlinge, die ihre Rettung in einer Fahrt übers Mittelmeer suchen, Sportlerinnen in Somalia, die von der Terrormiliz drangsaliert werden oder die Nazi-Szene – zunehmend werden ernsthafte Geschichten über Kriege, Flucht und soziale Missstände im Format der Comic-Reportage erzählt. Doch ist das Journalismus?
Hayder ist kurz davor zu ertrinken. Die Schlepper haben ihn gezwungen, vom Boot ins Wasser zu springen und sind längst weggefahren. Es ist Nacht und er kann nicht schwimmen. Er treibt in dem kalten und offenen Meer. „Ich habe mit meinem Geld meinen Tod gekauft“, denkt Hayder, da taucht das helle Scheinwerferlicht eines Rettungshelikopters auf. Hayder wird aus dem Wasser herausgeholt – doch bis seine Flucht zu Ende ist und er im Flüchtlingsheim in Deutschland ankommt, dauert es noch mehrere Jahre. Augsburger Designstudenten haben seine Fluchtgeschichte und die von sieben weiteren Menschen im Format der Comic-Reportage in dem Band „Geschichten aus dem Grandhotel“ geschildert.
„Stücke aus der Wirklichkeit“
Als Begründer des Comic-Journalismus gilt der US-Amerikaner Joe Sacco. Nachdem er als ausgebildeter Journalist keine Arbeit gefunden hatte, entstand 1993 nach einer Reise in den Nahen Osten die Comic-Reportage „Palästina“, für die er den American Book Award erhielt. Anschließend fuhr er viermal in den 90er Jahren nach Bosnien und hielt seine Erlebnisse und Interviews jeweils als Comic fest. Sacco arbeitet unter anderem für das Time Magazin und den Guardian. Inzwischen gibt es viele weitere Autoren, die ihre Reportagen als Comic gestalten. Sie befragen mit journalistischer Sorgfaltspflicht Zeitzeugen, studieren Tausende von Akten, reisen in Kriegsgebiete oder in die verstrahlte Zone von Tschernobyl.
Eine der aktuellsten Comic-Reportagen ist der Band „Geschichten aus dem Grandhotel“, erstellt von Augsburger Designstudierenden. Für die Geschichte über die Rettung von Hayder mussten die Autorinnen und Autoren nicht weit reisen. Sie haben ihn und ihre anderen sieben Interviewpartner im Augsburger Kulturzentrum namens Grandhotel gefunden, einem Flüchtlingsheim, in dem auch ein Café als Ort für Begegnungen ist. Die Studierenden unter der Leitung von Mike Loos zeichneten auch ihre anfänglichen eigenen Ängste in den Comic – einfach hinzugehen und die Menschen zu befragen. Herausgekommen sind acht in unterschiedlichen Stilen gezeichnete Geschichten, die vom Schicksal der Flüchtlinge berichten. Dabei kann immer nur ein kleiner Teil gezeigt werden. „Man kann immer nur Stücke aus der Wirklichkeit herausbrechen“, sagt Mike Loos über die Arbeit der Designstudenten im Interview mit dem Deutschlandfunk. Genau das tun auch Journalisten.
Verfolgung und Asyl als Themen
Ein ähnliches Schicksal erzählt der Comic-Journalist Reinhart Kleist im „Ein Traum von Olympia“. Es ist die Geschichte von der 18-jährigen Samia, die 2008 bei den olympischen Spielen in Peking für Somalia am 200-Meter-Lauf antritt. Unter freiem Nachthimmel haben sich ihre ganze Familie und Freunde in einem Vorort von Mogadischu im Staub um den einzigen Fernseher versammelt. Sie sind stolz auf ihre Samia und wollen den Lauf live sehen. Sie jubeln, auch wenn sie mit einer persönlichen Bestzeit von 32 Sekunden Letzte wird. „Mir egal“, sagt ihre Mutter, „meine Tochter ist bei Olympia gelaufen!!!“ Aber zurück in ihrer muslimischen Heimat – verfolgt von der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab, die ihr mit dem Tod droht – darf sie als Frau nicht laufen. So flieht sie nach Europa, um dort zu trainieren. Sie will mit unbändigem Willen an den nächsten Spielen in London teilnehmen. Aber auf der Überfahrt nach Europa kommt sie auf einem illegalen Schlepperschiff im Mittelmeer ums Leben. Kleist rekonstruiert ihr Leben, ihren Reiseweg und ihre Facebook-Einträge, von denen nur einer noch erhalten war. Grundlage seiner Recherchen sind Interviews mit ihrer Schwester in Helsinki und einer mit Samia befreundeten Journalistin.
Comic-Reportagen berichten über Kriege und soziale Miseren, über Flüchtlinge, Kindersoldaten, traumatisierte amerikanische Soldaten, die aus dem Afghanistan-Krieg zurückkehren oder alten Bomben, die in landwirtschaftlichen Flächen im Libanon immer noch Menschen verletzen und töten. Einen Grund, warum dies ausgerechnet als Comic produziert wird, liefert der Journalist David Schraven, der gemeinsam mit Jan Feindt einen Comic über die Nazi-Szene in Dortmund veröffentlicht hat. Er wolle an neue Zielgruppen ran, sagt er im Interview mit der taz. Wenn er in den üblichen Medien veröffentliche, würden die Leute sagen: „Nee, warum denn schon wieder so was? Haben wir doch schon tausend Mal gelesen.“ Mit einem Comic aber erreiche er auch „andere Leute, neue Leute, die von all dem noch nichts gehört haben. Mit ein bisschen Glück sind das junge Leute“.
Comic-Reportagen sind mehr als Geschichten von Superhelden in Strumpfhosen, die knallbunt und schlecht gezeichnet sind, und können mehr als Bumm, Ächz und Würg. Die Autorinnen und Autoren dieses Formates arbeiten nach journalistischen Kriterien und Ansprüchen. Das bedeutet auch, dass die Arbeit bis zur Fertigstellung zeitaufwändig und nicht unbedingt für die tagesaktuelle Berichterstattung geeignet ist.
Inzwischen gewinnen journalistische Comic-Reportagen internationale Preise. Deutsche Medien wie die Zeit, Faz.net und Spiegel Online haben dieses Medium entdeckt und veröffentlichen ganze Comic-Seiten. Dies zeigt, dass Comics zunehmend als ernstzunehmendes journalistisches Qualitätsformat gesehen werden. Darüber hinaus ist die visuelle Form in der Lage, komplizierte Sachverhalte darzustellen. Rudolf Augstein hat die Aufgabe von Journalisten mit „sagen, was ist“ beschrieben. Comic-Journalisten zeigen, was ist.
Loos, Mike (Hrsg.): Geschichten aus dem Grandhotel, Comicreportagen von Augsburger Design-Studenten, Wißner-Verlag 2016, 96 S.
Kleist, Reinhard: Der Traum von Olympia, Die Geschichte von Samis Yusuf Omar, Carlsen 2015, 149 S.
Bildquellen: Wißner-Verlag / Carlsen-Verlag
Schlagwörter:Comic-Journalismus, Comic-Reportage, Ein Traum von Olympia, Geschichten aus dem Grandhotel, Joe Sacco, Mike Loos, Reinhart Kleist
“Comic-Reportagen sind mehr als Geschichten von Superhelden in
Strumpfhosen, die knallbunt und schlecht gezeichnet sind, und können
mehr als Bumm, Ächz und Würg.”
Dessen bedarf es aber keiner Journalisten und neu ist es auch nicht, dass Comics “mehr können als Bumm, Ächz und Würg”. Ernst zu nehmende “graphic novels” (die Grenze zur Reportage ist hier sehr schwimmend) gibt es schon seit einigen Jahrzehnten. Ob das jetzt Art Spiegelman mit “Maus” und dem Dauerbrenner Holocaust ist oder ein Guy Delisle, der als Mann an der Seite einer Ärztin ohne Grenzen vom Leben in Jerusalem oder Nord Korea berichtet.
Für deutsche Journalisten und Medienmacher ist das Thema mit Sicherheit relativ neu, da spielten Comics eher in Form von Cartoons eine Rolle. Irgendwie scheint es da im althergebrachten deutschen Journalismus auch so eine Art intellektuelle Ignoranz zu geben, die diese Form der Darstellung lange nur verächtlich belächelt hat.
Vielleicht muss man dem deutschen Journalismus zu Gute halten, dass ernsthafte Comics in Deutschland noch immer ein Nischendasein fristen und zu den bekanntesten Vertretern hierzulande knollennasige Biertrinker und Biker oder Schwule, die von Kondomen angegriffen werden, gehören. Aber auch diese Comics sind nicht schlecht gezeichnet und bestehen nicht nur aus “Bumm, Ächz und Würg”.
Insgesamt zeigt dieser eingangs von mir zitierte Satz doch ganz gut, wie viele Vorurteile noch immer gegenüber dem Format der Comics herrschen, selbst bei jemand, der dieses scheinbar für sich zu entdecken beginnt.
Reportagen über Comics stellen fest, dass Comics nach fast 80 Jahren Geschichte mehr sein können, als Ächz, Bumm und Würg. Aber ist das wirklich Journalismus?
Dass Comics inzwischen mehr sind als schlechte Zeichnungen von Superhelden, hat auch
Scott Mc Cloud (einer der ersten, der versucht hat das Format Comic zu definieren)
geschrieben. Auch dies vor einigen Jahren. Comic-Fans übersehen meist, dass die
meisten anderen das inzwischen erreichte Niveau der Graphic Novels nicht kennen. Die
Graphic Novels sind übrigens nicht per se Journalismus sondern meist Fiction. Comic-
Fans haben die anspruchsvollen Graphic Novels genannten Comics für sich schon lange
entdeckt. Aber der Ruf und die Anerkennung von Comics als ernstzunehmendes Medium
leidet immer noch – auch wenn es lange her ist – an der Schund- und Schmutz-Kampagne
der Nachkriegszeit. Ganz im Gegensatz zu den benachbarten Ländern Belgien und
Frankreich. Auch in der Literaturwissenschaft gibt es auch heutzutage nur allzu
wenige Forscher, die sich wissenschaftlich an Comics wagen, wie z.B. Wibke Weber.
Comic-Fans vergessen leider, dass trotz allem Comics ein Nischendasein führen.
Natürlich gibt es seit Art Spiegelmann viele Autoren, die sich an diese Themen, und zwar in
einer Qualität, die über den alten Superhelden-Comics liegen, wagen. Nicht nur Guy
Delisle, der sehr empfehlenswert ist. Aber erst in den letzten Jahren werden diese
Comics auch in “normalen” Buchhandlungen und nicht nur in Comic-Fanshops verkauft
und in Tages- und Wochenzeitungen veröffentlicht. Leider noch zu wenig. Comics auch
in der Nicht-Fan-Welt Aufmerksamkeit zu verschaffen, dazu dient der Artikel.
Katja Engel
“Dass Comics inzwischen mehr sind als schlechte Zeichnungen von Superhelden” – schon das ist als Eingangsthese hanebüchen, weil NIEMAND (außer totalen Ignoranten) das Gegenteil behauptet. Zu behaupten, die Mehrheit der Menschen habe das nicht wahrgenommen und dieser Artikel betreibe Aufklärung, zeugt von unglaublicher Hybris. Comics waren IMMER schon mehr als “schlechte Zeichnungen von Superhelden”, haben in jeder Generation auch Kunst hervorgebracht und gesellschaftliche Diskussionen angestoßen. Selbst die klassische Klolektüre “Asterix” verweist diese alberne Abwertung ins Reich der Mär. Spätestens seit “Maus”, aber auch seit “Persepolis” und Dutzenden anderer Werke ist die grafische Kunst aus der Nische gekommen. Comics sind allgegenwärtig, es gab über die BILD und die SZ vertriebene Sammeleditionen, die erfolgreichsten Kinofilme der Gegenwart basieren auf Comics, viele der erfolgreichsten TV-Serien auch. Jetzt noch mit der These anzutreten, man müsse den Mainstream an das Thema heranführen, zeugt von kompletter Ahnungslosigkeit – ebenso wie die Frage, ob das überhaupt Journalismus sei. Das ist ein Anspruch, den die Comics gar nicht haben – warum sollten Sie ihn erfüllen müssen?
Ich würde nie auf die Idee kommen, einen Comic über ein ernsthaftes Thema zu lesen. Guter Jounalismus im Comic-Format geht nicht, oder? Jedenfalls habe ich Lust bekommen, Comic-Reportagen zu lesen, testweise.