Auch kleine Redaktionen können Innovationen vorantreiben und Datenjournalismus machen. Tatsächlich können sie größeren Redaktionen gegenüber sogar im Vorteil sein, da ihre Mitarbeiter oft besser miteinander kommunizieren, risikofreudiger sind und die Redaktionskultur leichter verändern können.
Die Medienindustrie sieht sich mit schwerwiegenden Veränderungen konfrontiert. Angesichts sinkender Werbepreise warten viele Verleger ängstlich auf die nächsten Bilanzen. Vor allem kleinere Medienunternehmen stehen unter Druck und zögern aus Angst vor finanziellen Risiken, in Datenjournalismus zu investieren. Datenjournalismus ist aber gerade für kleinere Redaktionen wichtiger denn je.
Wie die deutsche Datenjournalistin Kira Schacht erklärt, biete Storytelling mit Daten „oft die Möglichkeit, sowohl größere Zusammenhänge zu vermitteln als auch lokale Auswirkungen aufzuzeigen, indem ein lokaler Aspekt des Datensatzes hervorgehoben wird“. Schacht, die auch die deutsche Datenjournalismus-Initiative Journocode mitbegründet hat, ist davon überzeugt, dass der Datenjournalismus kleinen Medienunternehmen helfen kann, sich von der Konkurrenz abzusetzen und ihren Rezipienten ein besonderes Erlebnis zu verschaffen. „Endlich tragen datenbasierte Methoden zur Watchdog-Funktion des Journalismus bei, die vor allem im Lokaljournalismus so wichtig ist“, so Schacht.
Um herauszufinden, wie kleine Redaktionen erfolgreich das volle Potenzial des Datenjournalismus ausschöpfen können, habe ich führende Branchenexperten und Leiter von Datenjournalismus-Teams in Deutschland, Österreich und Großbritannien befragt. Einige von ihnen sind für kleine Medienunternehmen oder Non-Profit-Recherchebüros tätig, andere für große Zeitungen.
Dies sind meine Hauptergebnisse:
- Datenjournalismus ist Teamarbeit. Simon Rogers, der den Datenblog „Google News Lab“ des Guardian ins Leben gerufen hat, beschreibt sein ideales Datenjournalismus-Team als eine Gruppe von sechs bis sieben Mitarbeitern – eine Zahl, die sich in den Interviews mehrfach wiederholte. Dabei fällt auf, dass die gewünschte Teamgröße nicht von der Größe der Redaktionen abhängt. Die Teams setzen sich oft aus Datenjournalisten, Programmierern und Entwicklern zusammen, von denen viele keinen traditionellen journalistischen Hintergrund haben. Bei Spiegel Online arbeiten beispielsweise ein ehemaliger Stadtplaner und ein Physiker an Datenjournalismus-Projekten mit. Andere Medien beschäftigen zum Beispiel Informatiker.
- Kleine Medien genießen auch Vorteile. „Wenn der Redaktionsleiter offen für Innovation ist, sollte eine kleine Redaktion schneller umzustellen sein als eine große“, sagt zum Beispiel der ehemalige Chefredakteur des Guardian, Alan Rusbridger. Auch laut Megan Lucero, Leiterin des Bureau Local des Bureau of Investigative Journalism, ist es „für kleine Redaktionen viel einfacher, sich zu verändern und neue Dinge einzuführen“. Zudem sei es für kleine Medien auch einfacher, mit Akademikern und Forschern zusammen zu arbeiten, die der Berichterstattung mehr Tiefe geben könnten. Eine gemeinsame Basis für verschiedene Ansätze, Arbeitsabläufe und Deadlines zu finden, sei allerdings essentiell.
- Datenjournalismus kann Redaktionen dabei helfen, ihr staubiges Image abzuschütteln. Das Fallbeispiel Berliner Morgenpost zeigt, wie der Datenjournalismus die Organisationstruktur einer Lokalzeitung verändern kann. Julius Tröger hat von Beginn an mit Daten experimentiert. Innerhalb von wenigen Jahren haben er und sein wachsendes Team es geschafft, preisgekrönten Datenjournalismus zu produzieren. Die Berliner Morgenpost, die in der Vergangenheit unter ihrem altmodischen Image litt, gehört nun zu den deutschsprachigen Medien, die am erfolgreichsten Datenjournalismus betreiben.
- Datenjournalismus kann viele verschiedene Formen haben. Mit Datenjournalismus ist es möglich, eine Geschichte für jeden Rezipienten individuell aufzubereiten – ein Alleinstellungsmerkmal des Onlinejournalismus. Ob es darum geht, die Grenze der ehemaligen DDR nachzuzeichnen oder zu schätzen, wie die Arbeitslosigkeit in den USA unter der Präsidentschaft von Obama gesunken ist: Nutzer mögen interaktive Angebote und diese können auch durchaus lehrreich sein. Zudem ist auch Platz für selbst erstellte Daten-Storys und Crowdsourcing.
Der entscheidende Punkt ist allerdings, welche Schritte kleine Redaktionen unternehmen können, um den Datenjournalismus voranzutreiben und spezielle Teams einzurichten, ohne ihr Budget überzustrapazieren. Meine Recherchen haben die folgende Liste ergeben:
Erfolgreich zum Datenjournalismus: Zehn Schritte für kleine Redaktionen
- Setzen Sie sich erreichbare Ziele: Die Visualisierung von Daten, eine Seite, auf der Daten bereitgestellt werden, ein Diagramm oder eine tiefgehende, einmonatige datenbasierte Recherche – all das ist Datenjournalismus. Trotz allem ist es sehr wichtig, dass die geplanten Projekte zum jeweiligen Medium passen. Überlegen Sie, was Sie als Redaktion erreichen möchten und was Ihr Datenjournalismus-Team erreichen kann.
- Engagement auf der Führungsebene: „Keine Idee hat eine Chance, wenn es nicht einen Chefredakteur gibt, der an sie glaubt“, sagt Alan Rusbridger. Er ist nicht der Einzige, der die Bedeutung einer engagierten Führung betont. „Die Hauptprobleme betreffen aktuell die Unternehmenskultur und -führung, nicht die Technologie“, stimmt Digitalstratege Nic Newman zu.
- Enthusiasmus bei den Mitarbeitern: Zwar ist eine Vision zweifellos wichtig, oft können aber auch eine Initiative von unten nach oben und erste Ergebnisse eine zögerliche Chefetage überzeugen.
- Kommunikation ist unerlässlich: Wer nachhaltige Veränderungen in einer Redaktion durchsetzen möchte, sollte auf Kommunikation setzen. So sagt Alan Rusbridger: „Der einzige Weg, einen Wandel anzustoßen, ist dafür zu sorgen, dass die Leute ständig darüber reden.“
- Neue Fähigkeiten aufbauen: Es gibt drei Wege, die für den Datenjournalismus notwendige Fähigkeiten aufzubauen. 1) Schulen Sie Ihre Mitarbeiter, zum Beispiel in Workshops. 2) Holen Sie sich Experten ins Haus; beispielsweise, indem Sie Datenjournalisten, Entwickler und/oder Programmierer einstellen. 3) Arbeiten Sie mit anderen Redaktionen oder mit Experten und Wissenschaftlern zusammen.
- Stellen Sie auch ein paar Geeks ein.
- Stellen Sie dem Team (und den Geeks) einen Raum und Ressourcen zur Verfügung.
- Kooperieren Sie: Vor allem die deutsche Datenjournalismus-Community ist klein und leicht zugänglich. Sogar die Kollaboration eigentlich konkurrierender Unternehmen ist nichts Ungewöhnliches.
- Fangen Sie klein an.
- Haben Sie keine Angst!
Sicherlich ist diese Liste nicht vollständig und muss fortlaufend ergänzt werden. Trotzdem bietet sie hoffentlich einen nützlichen Ausgangspunkt für kleinere Redaktionen und Medienunternehmen, die sich an den Datenjournalismus heranwagen möchten.
Natürlich ist Datenjournalismus auch nicht die Lösung aller Probleme und wenn man es genau nimmt, haben Journalisten schon immer auf die eine oder andere Art mit Daten gearbeitet. Mit dem unaufhaltsamen technischen Fortschritt wird Datenjournalismus kaum noch zu umgehen sein. „Nicht jeder Journalist muss ein Experte dafür sein, aber jede Redaktion sollte über ein Verständnis für computerbasierten Journalismus verfügen. Man muss wissen, was möglich ist und braucht ein Grundverständnis von Statistik und Excel“, empfiehlt Megan Lucero.
Julius Tröger von der Berliner Morgenpost ist derselben Meinung: „Datenjournalismus wird an Bedeutung gewinnen. Schon heute haben die meisten kleinen Redaktionen jemanden, der mit Daten arbeitet, und in Zukunft wird sich diese Entwicklung verstärken. Was wir intern gerade diskutieren, ist, ob wir aufwendige Visualisierungen brauchen oder nicht. Bei der Washington Post beschäftigen sich 24 Mitarbeiter mit interaktiven, datenbasierten Projekten, und sie machen großartige Arbeit, aber vielleicht ist das auch zu viel.“
Es scheint, als sei auch hier, wie bei so vielen Dingen, das richtige Maß der Schlüssel zum Erfolg.
Für die Studie wurden Interviews mit Journalisten von der Berliner Morgenpost, SZ.de, ZEIT ONLINE, Spiegel Online, Dossier, CORRECT!V und dem Bureau Local des Bureau of Investigative Journalism geführt.
Der komplette Bericht „Bigger is not always better: What we can learn about data journalism from small newsrooms“ wurde vom Reuters Institute for the Study of Journalism veröffentlicht und kann hier heruntergeladen werden.
Originalbeitrag auf Englisch: Bigger is Not Always Better: Data Journalism for Small Newsrooms
Bildquelle: Pexels/Lukas – CC0
Schlagwörter:Alan Rusbridger, Berliner Morgenpost, Datenjournalismus, Google News Lab, Journocode, Julius Tröger, Kira Schacht, Lokalzeitung, Redaktionskultur, The Guardian