Kabale und Liebe: der Spiegel wird 70 Jahre alt

4. Januar 2017 • Qualität & Ethik • von

Ein glamouröses Denkmal?  Ein unheimlicher Zombie? Oder sind es Schiffbrüchige, die ziellos im Gegenwind des aktuellen Meinungsklimas treiben? Es ist nicht einfach, dem Spiegel und seinen Verantwortlichen zum 70. Geburtstag eine die Bedeutung dieses Magazins treffende Gratulationsbotschaft zu senden: Zu was soll man sie beglückwünschen, außer, dass es dieses Nachrichtenmagazin (noch immer) gibt?

Titelbild von SPIEGEL 1/47 vom 4. Januar 1947

Das Titelbild vom ersten Spiegel vom 4. Januar 1947

Oder soll man den Rechthabern in der Führungsetage des Spiegel-Hauses das Porträt  des Gründers Rudolf Augstein wie eine Monstranz entgegenstrecken, das Bild des Jahrhundert-Publizisten, der „geholfen hat, den Deutschen obrigkeitsstaatliches Denken auszutreiben“, wie es in einem Nachruf heißt? Würde Augsteins verlegerischer Sachverstand, würden seine steinharte politische Haltung und sein publizistischer  Instinkt aus der heutigen Krise helfen?

Vielleicht ist es gerade umgekehrt: Diese Querelen in der Redaktionsspitze, dieses Intrigieren und Türeschlagen begleitet die Spiegel-Macher seit je  – und scheint untrennbar mit der Persönlichkeit Rudolf Augsteins und so auch mit dem Werdegangs seines Geschöpfs, dem Spiegel, verbunden.  Die zahllosen Zänkereien, die Zerwürfnisse mit Freunden, Partnern und Untergebenen begannen schon in den 50er Jahren, als Augstein seine „Speerspitze“ nicht nur für Demokratie, sondern auch gegen Adenauers Atlantismus in Stellung brachte; als er gegen Axel Springer und mit Gerd Bucerius eine politische Kampfzeitung erfinden und aus Spiegel-Erträgen finanzieren wollte; als er sich mit der FDP zum Politiker wandelte und, als dies scheiterte, sich wieder als Über-Chefredakteur  inthronisierte. Und der immer mal wieder exzellente Journalisten, auch engste Weggefährten, an die frische Nordseeluft setzte, wenn die Meinungsverschiedenheiten  ihm zu anstrengend wurden: „Für feste Beziehungen ungeeignet“, resümierte Peter Merseburger in seiner Augstein-Biografie.

Egomanie, Durchsetzungswille und tiefes Misstrauen behielten (auch wenn es zwischendurch friedliche Zeiten gab) in der Spiegel-Führungsriege die  Oberherrschaft.  Das war in früheren Zeiten auch kein Thema, weil das Nachrichtenmagazin unter Rudolf Augstein an publizistischem Einfluss und an Marktmacht  gewann. Spätestens seit der sogenannten Spiegel-Affäre von 1962 wurde das Magazin als Leuchtturm des machtkritischen, um Aufklärung bemühten Enthüllungsjournalismus  von vielen Leuten heiß geliebt. Und nicht nur das: Unter Augstein feilten und polierten die Spiegel-Redakteure am Konzept der angloamerikanischen Newsmagazinestory und brachten es hier zur Meisterschaft; auch erweiterten sie ihr Repertoire kunstvoll mit neuen Formen (das große Spiegel-Gespräch, das Essay, die Reportagen). So wirkte der Spiegel auch in handwerklicher Hinsicht für den deutschen Journalismus während Jahrzehnten stilprägend.

Diese Ära endete nicht mit dem Tod Rudolf Augsteins (2002), sondern erst mit der Vertreibung des Chefredakteurs Stephan Aust sechs Jahre später. Aust galt als journalistischer Ziehsohn, den Augstein 1994, ein Jahr nach dem erfolgreichen Markteintritt von Focus (auch zu dessen Abwehr) als Chefredakteur installierte – ein Schachzug gegen den erbitterten Widerstand vieler seiner Redakteure, die als Miteigentümer in der Mitarbeiter GmbH & Co KG sowieso in einem permanenten Identitätskonflikt zwischen Rendite und Randale stecken.

Im Rückblick zeigt sich: Augstein und seine Chefredakteure machten einen um die deutsche Einheit kämpfenden, mitunter verbohrten Kampagnen-Journalismus; sie waren prägend für die fortschrittsgläubige Ära der Moderne im Nachkriegsdeutschland. Stephan Aust steht für den Übergang in die Nachmoderne; er  verkörpert den entpolitisierten Journalismus, der die Investigation um ihrer selbst willen feiert. Auch dieses Konzept entsprach dem Zeitgeist: Die von Aust instinktsicher gelenkte Triade aus Spiegel, Spiegel-online und Spiegel-TV blieb grosso modo auf Erfolgskurs.

Seit dem Untergang dieser Ära wechseln die Chefredakteure und Geschäftsführer beängstigend rasch – was man als Indiz dafür deuten möchte, dass die Chefs nicht wirklich wissen, wohin die Reise jetzt gehen soll. Der rasante Medienwandel und das sich verändernde Informationsverhalten des jungen Publikums: Mit diesen Trends wissen die Magazinmacher (nicht nur beim Spiegel) nicht umzugehen. Eine panische Stimmung macht sich breit, seitdem die Titelgeschichten am Kiosk nicht mehr ziehen. Soll man jetzt aus SPON ein kostenpflichtiges Online-Magazin machen? Oder bringt es die digitale Abendzeitung?  Auch hierzu fällt einem  Rudolf Augstein ein, der vor rund einem halben Jahrhundert unbedingt eine Tageszeitung für Berlin erfinden wollte. Er hat viel Geld investiert. Und am Ende nichts davon verwirklicht. Aber Geschichte wiederholt sich ja nicht. Und wenn doch, dann, so heißt es, nur als Farce.

Der Text erscheint zeitgleich in der DJV-Mitgliederzeitschrift Nordspitze.

Bildquelle: DER SPIEGEL

 

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