Zu wenig Qualitätsbewusstsein – Zwei Analysen von Nachrichtenredaktionen

20. April 2007 • Qualität & Ethik • von

Neue Zürcher Zeitung, 20. April 2007

Zwei Universitätsstudien haben sich mit den Massnahmen zur Qualitätssicherung in deutschen und schweizerischen Nachrichtenredaktionen befasst. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

«Von einer ganzheitlichen Qualitätskultur sind deutsche Nachrichtenredaktionen noch weit entfernt. In der grossen Mehrheit der Fälle fehlt das Signal von oben» – so die Bilanz einer empirischen Studie, die erstmals flächendeckend das Redaktionsmanagement von Nachrichtenredaktionen in Deutschland unter die Lupe nimmt. Sandra Hermes (Universität Hamburg) hat dazu 549 Redaktionen ermittelt, die tagesaktuell und informationsorientiert arbeiten. Immerhin 48 Prozent haben ihren Fragebogen beantwortet – ein hoher Rücklauf, wobei vermutlich eher die qualitätsbewussten Redaktionen mitmachten.

Bessere Werte in der Schweiz
Umso ernüchternder sind die Zahlen, die Hermes vorlegt: Nur in 5 Prozent der Redaktionen bemüht man sich um ein ganzheitliches Qualitätsmanagement (Total Quality Management, TQM), in 95 Prozent aller Redaktionen ist «jeder in seinem Bereich für Qualität zuständig». Immerhin wurden von mehr als zwei Dritteln der Redaktionen «spezielle Qualitätsziele für ihr Medienprodukt formuliert». Fragt man jedoch nach, ob es Leitbilder oder Handbücher gibt, in denen solche Ziele präzisiert sind, sinkt der Anteil – mit Ausnahme des öffentlichrechtlichen Radios – auf ein gutes Drittel aller Redaktionen. Bemerkenswert ist, dass vor ein paar Jahren eine Journalistenbefragung in der Schweiz zu einem deutlich höheren Wert gelangte: Hierzulande gaben 63 Prozent der Journalisten an, in einer Redaktion zu arbeiten, die über ein Leitbild verfügt.

Ein besonderer Schwachpunkt des Qualitätsmanagements scheint die Vermittlung redaktioneller Standards an die freien Mitarbeiter zu sein. Der bevorzugte Weg sei in mehr als zwei Dritteln der Redaktionen «das Gespräch mit dem Redaktionsleiter oder Chef vom Dienst». Spezielle Schulungen seien dagegen rar – und wer jemals frei gearbeitet hat, weiss auch, dass persönliche Rückkopplung mit den Chefs meist nur dann erfolgt, wenn etwas richtig in die Hose gegangen ist.

Vergleicht man die Zahlen mit dem Siegeszug des TQM in andern Branchen, ist es ziemlich erschreckend, dass ausgerechnet Medienunternehmen in einem so lebenswichtigen Bereich wie dem Nachrichtenjournalismus sich nicht um verlässlichere Sicherungen bemühen, um sich vor falschem Alarm, vor Instrumentalisierung und andern Attacken auf ihre Glaubwürdigkeit zu schützen. Fairerweise wird man hinzufügen müssen, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen solch ein Engagement erschweren: Wenn das Publikum in zunehmendem Masse erwartet, dass Nachrichten gratis angeliefert, also vollständig über Werbung finanziert werden, rechnen sich teure redaktionelle Qualitätskontrollen nicht. Kein Wunder also, wenn Hermes auch zu dem Ergebnis gelangt, dass TQM-Prinzipien «am umfangreichsten in öffentlichrechtlichen Redaktionen umgesetzt werden», die bekanntlich von relativ üppigen Gebühreneinnahmen leben. Studien von vergleichbarer wissenschaftlicher Qualität sind in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft rar. Hermes bettet ihre empirische Analyse auch in eine fokussierte, übersichtliche Darstellung der bisherigen Forschung zur Qualitätssicherung im Journalismus ein – eine kleine Meisterleistung angesichts des ausufernden, heterogenen wissenschaftlichen Diskurses. Ihre Dissertation gibt somit erschöpfend Auskunft über den «Stand der Kunst».

Qualität vom Markt nicht honoriert
An der Universität Zürich ist derweil eine erste Studie zum Qualitätsmanagement in den Redaktionen von Schweizer Regionalzeitungen erarbeitet worden: Nina Siegrist hat sich genauer angesehen, wie beim «Zürcher Unterländer», bei der «Basellandschaftlichen Zeitung», beim «Walliser Boten», bei «Le Quotidien Jurassien» und beim «Giornale del Popolo» in Lugano das redaktionelle Qualitätsmanagement funktioniert. Das Fazit ihrer Lizenziatsarbeit ähnelt den deutschen Befunden: «Die Ressourcen zur Qualitätssicherung sind in allen fünf Redaktionen knapp.» Auf organisatorischer Ebene seien nur wenige Massnahmen institutionalisiert, Qualitätssicherung erfolge unsystematisch, informell und hänge wesentlich vom einzelnen Journalisten ab. Die befragten Redaktionen hätten zwar die Notwendigkeit von Qualitätssicherung erkannt, der Markt honoriere indes Qualität bis anhin kaum.

 

  • Sandra Hermes: Qualitätsmanagement in Nachrichtenredaktionen. Verlag Herbert von Halem, Köln 2006
  • Nina Siegrist: Wie sichern Tageszeitungen ihre journalistische Qualität? Eine Untersuchung am Beispiel von fünf Schweizer Regionalzeitungen. Unveröffentlichte Lizenziatsarbeit, IPMZ der Universität Zürich, 2006.
     

 

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