Es ist falsch, wenn alle Kommentatoren in die Hassecke gestellt werden. Und die Redakteure müssen mit an den Stammtisch.
Natürlich sollen wir nicht wegschauen bei Hasskommentaren, Beleidigungen und Volksverhetzung gegen Flüchtlinge im Netz. Wir müssen dies konsequent zur Anzeige bringen. Aber: Verschwenden wir nicht unsere ganze Aufmerksamkeit an unzufriedene Krawallmacher. „Refugees welcome“-Plakate, Helfer, Applaus … – das gefällt mir! Und auch, dass das „Aktuelle Sportstudio“ Neven Subotic, Dortmunds Abwehrspieler, Abdihafid Ahmed und Olaf Butterbrod eingeladen hat. Der Erste war Flüchtling, der andere ist es, der Dritte trainiert Flüchtlinge, weil Mannschaftssport hilft, sich einzuleben und sich mal abzulenken.
Auch in der virtuellen Welt brauchen wir den differenzierten Blick. Die dichotome Sicht – hier die Anständigen, dort die Horde unflätiger Motzer – greift zu kurz; das Publikum schlüpft in viele Rollen und kann durch seine Kommentarbeiträge konstruktiv mitwirken an der Art, wie wir zusammenleben wollen.
Die Forscherin Nina Springer nahm die Kommentatoren in ihrer ganzen Bandbreite in den Blick. Sie analysierte bei Bild online, faz.net, Spiegel Online und sueddeutsche.de, was sie zur Teilhabe und Teilnahme motiviert. Ergebnis: Andere überzeugen, Reaktionen testen, Dissonanzen spüren, auch Zustimmung und Bestätigung erhalten, sind zentral. Springer sortierte nach Handlungsmotiven in Selbstbestätiger, Orientierungssucher, Lehrertypen, Gesellige und Kompensierer, denen langweilig ist. Die Zufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation prägt den Kommentarstil – und der Wunsch, ernst genommen zu werden. Achillesferse seien die Redaktionen: Sie stellen zwar Platz zur Verfügung, aber nur selten Gratifikation in Form von Aufmerksamkeit, und verstärken so mittelbar Frustgefühle. Hier ist ein Hebel: Kommentatoren schätzen es, wenn Redaktionsmitglieder am virtuellen Stammtisch mitdiskutieren. Und für alle gilt das Wort von Antoine de St. Exupéry: „Vergiss nicht, dass jeder Satz eine Tat ist.“
Erstveröffentlichung: Der Tagesspiegel vom 13.09.2015
Bildquelle: Kevin Spencer / Flickr
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