Über kritikwürdige Medienkritik

22. Januar 2019 • Qualität & Ethik • von

Wenn Sie nichts falsch machen möchten: schimpfen Sie auf „die Medien“! Am besten kommt das, wenn Sie selbst in „den Medien“ arbeiten. In den vergangenen Tagen haben sich vor allem zwei prominente Kolumnisten mit brachialer Kritik an „den Medien“ hervorgetan. Und das natürlich in reichweitenstarken Qualitätsmedien.

Auf SpiegelOnline warf Sascha Lobo „den Medien“ vor, dass sie „immer noch nicht merken, dass sie [von den Rechten, S.M.] instrumentalisiert werden – oder es nicht merken wollen, oder es merken und richtig finden. Jeden verdammten Tag aufs Neue.“ Einen Tag später erschien im ZEIT-Magazin Harald Martensteins Kolumne, in der er schreibt: „Informationen sind offenbar ‚gefährlich’, wenn sie den Falschen nützen. Damit sind meistens die ‚Rechten’ gemeint, zu denen man in der Regel alle zählt, die nicht jeder Dödel auf den ersten Blick als Linke erkennt.“

In Kurzform: der eine sagt, Journalisten schreiben vor allem, was Rechten nutzt; der andere meint, Journalisten schreiben nie das, was Rechten nutzen könnte. Wer von beiden hat denn nun recht?

Lobo zieht als erstes Argument den Brexit heran. Der sei zwar vor allem durch politisches Versagen und Kampagnen in den sozialen Medien zustande gekommen, aber eben auch durch ein ebenso massives „Medienversagen“. Dass das vor allem von reichweitenstarken Boulevardmedien getrieben wurde, wie er selbst einräumt, sieht er jedoch nicht als Schwächung des eigenen Arguments. So richtig erschließt sich zwar nicht, welche Schuld „die Medien“, die nicht Boulevardmedien sind, denn nun am Brexit tragen. Es wird halt kompliziert und kolumnen-inkompatibel, wenn man „die Medien“ nicht als monolithischen Block betrachtet.

Martenstein führt als seinen wichtigsten Kronzeugen Claas Relotius an, den Fälscher und Betrüger, der den SPIEGEL in seine bislang größte Krise stürzte. Der Fall Relotius veranlasste den Wirtschaftethiker Thomas Beschorner zur Frage: „Wieso sollte es im Journalismus anders, irgendwie sauberer, ehrenwerter oder integrer zugehen als in anderen gesellschaftlichen Bereichen?“ Betrüger gebe es eben überall. Für Martenstein aber ist Relotius der Prototyp eines Journalisten, der Haltung zeigt. Ein zynischer Vergleich, der einen Betrüger auf dieselbe Stufe hievt wie Journalistinnen und Journalisten, die aufgrund ihrer Arbeit bedroht und beleidigt werden.

Lobo schimpft weiter über die immer gleichen Fallen, in die „die Medien“ tappen: 1. „false balance“ – ein Vorwurf, den er an der hitzig und überdreht geführten Debatte um ein Pro/Contra in der ZEIT zur privaten Seenotrettung. 2. „agenda cutting“ – Beleg ist die Meldung zu Trump und den Hamburgern, die er angeblich geordert hatte, weil die Küche des Weißen Hauses kalt geblieben war. Dass das auch wieder Aufmerksamkeit auf den vor allem von Trump zu verantwortenden Shutdown in den USA lenkte, erwähnt Lobo nicht. Dafür würden die Medien nicht mehr über „‚Collusion‘“ berichten. Dass das eine das andere nicht ausschließen muss, erscheint Lobo wohl undenkbar. 3. „Strukturelle Verharmlosung“, womit Lobo vor allem die auf Twitter intensiv geführten Debatten um die exakte / richtige / treffende Wortwahl beschreibt. Konkrete Beispiele nennt er dabei nicht, es bleibt bei einem wütenden Raunen.

Martenstein behauptet in seiner Kolumne flugs das Gegenteil, schreibt Journalisten würden ihre persönliche Meinung als Wahrheit deklarieren. Und das führt – festhalten! – zu „Lügen für die Wahrheit! Genau wie in Orwells Roman 1984.“ Weil Orwell und 1984 geht ja immer.

Wer von beiden hat denn nun recht? Leider keiner. Das einzige, was diese Breitseiten von beiden Seiten zeigen, ist: „Die Medien“ brauchen nicht noch mehr Kolumnisten. Was die Medien brauchen sind gut ausgebildete Journalisten.

Denn dass es Fehlentwicklungen im Journalismus und immer wieder auch Fehlentscheidungen von Journalisten gibt, ist fraglos richtig. Angefangen bei der in den krawallhaften Kampagnen-Journalismus abgedrifteten BILD-Zeitung über den seit Jahren anhaltenden (aufmerksamkeits-)ökonomischen Druck, dem sich viele Redaktionen ausgesetzt sehen, bis hin zu Bewertungen von Nachrichtenlagen, die sich im Nachhinein als daneben erwiesen (siehe Kölner Silvesternacht, siehe den Fall Magnitz – da stimme ich Lobo übrigens zu!). Über all das kann und muss man diskutieren. Aber bitte in der nötigen Differenziertheit und mit dem gebotenen Abstand. Wie so etwas aussehen kann, hat eine ausführliche Studie Mainzer Kommunikationswissenschaftler zur Berichterstattung während der Flüchtlingskrise gezeigt.

Mehr evidenzbasierte, konstruktive Kritik statt in Kolumnen verpacktes Geschimpfe – das wäre doch was.

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