Der Blick ist die beliebteste Zeitung der Schweiz. Dazu eine kleine Einführung in die Medienstatistik.
Jedes Jahr im Oktober steigt in der Presse die Party des Selbstbetrugs. Im Oktober nämlich erscheinen die neusten Auflagezahlen. Die Auflagen sinken – wie immer. Sie müssen darum kräftig schöngeredet werden.
Der Tages-Anzeiger verliert also Auflage, bejubelt sich aber als “die meistverkaufte Tageszeitung”. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) verliert Auflage, sieht aber “den negativen Trend abschwächen”.
Interessanter als die Auflage ist die Leserzahl. Regelmässige Leser sind eher ein Erfolgsfaktor als die verkaufte Auflage. Die Leserzahl wird zweimal jährlich mit einer Umfrage bei 20 000 Konsumenten erhoben.
Noch interessanter als die Auflage und die Leserzahl ist jedoch das Verhältnis dieser beiden Werte. Leserzahl geteilt durch Auflage ergibt die Anzahl Leser pro Exemplar.
Die Anzahl Leser pro Ex. ist der wichtigste Indikator in der Medienstatistik. Er ist so etwas wie ein Beliebtheits-Indikator.
Schauen wir also einmal, durch wie viele Hände unsere Blätter jeweils gehen. Wir betrachten die verbreitete Druckauflage und die Leserzahlen ausgewählter Tageszeitungen, Sonntagsblätter und Magazine.
Titel | Auflage | Leser | Leser pro Exemplar |
20 Minuten | 710 000 | 1 540 000 | 2,2 |
Tages-Anzeiger | 167 000 | 473 000 | 2,8 |
Blick | 163 000 | 667 000 | 4,1 |
St. Galler Tagblatt | 126 000 | 290 000 | 2,3 |
NZZ | 105 000 | 255 000 | 2,4 |
Sonntagszeitung | 200 000 | 631 000 | 3,2 |
Sonntagsblick | 188 000 | 760 000 | 4 |
NZZ am Sonntag | 120 000 | 415 000 | 3,5 |
Schw. Illustrierte | 186 000 | 712 000 | 3,8 |
Annabelle | 70 000 | 242 000 | 3,5 |
Weltwoche | 57 000 | 231 000 | 4,1 |
Es ist klar, dass 20 Minuten von allen Titeln am wenigsten Leser pro Exemplar vorweisen kann. Im Tram oder im Büro greift jeweils etwas mehr als ein zweiter Leser zu. Erstaunlich ist allerdings, dass auch klassische Tageszeitungen wie das St. Galler Tagblatt und die NZZ nur minim mehr Leser pro Exemplar als das Gratisblatt erreichen. Das spricht nicht gerade für ihren Qualitätsanspruch. Deutlich besser im Rennen liegt hier der Tages-Anzeiger.
Nummer eins jedoch ist klar der Blick. Jedes ausgelieferte Exemplar geht durch mehr als vier Hände. Der Blick ist damit die beliebteste, weil abgegriffenste Zeitung der Schweiz. Die hohe Nutzung erklärt sich auch dadurch, dass das Boulevardblatt in vielen Restaurants und Bars aufliegt.
Auch die Sonntagstitel kommen auf hohe Leserzahlen pro Exemplar. Hier spielt der Familieneffekt. Man abonniert das Blatt, dann lesen sonntags Vater, Mutter und Teenager. Vielleicht schauen noch der Onkel und die Schwiegermutter herein.
Auf ähnlich hohe Werte kommen die Magazine. Hier spielt weniger der Familieneffekt als der Vorzimmereffekt. Titel wie Schweizer Illustrierte, Weltwoche und Annabelle liegen in vielen Wartezimmern von Ärzten, Anwaltskanzleien, Banken und Coiffeursalons auf. Das steigert natürlich die Anzahl der Leser pro Exemplar.
Der Magazin-Spitzenreiter Weltwoche profitiert, genauso wie der Zeitungs-Spitzenreiter Blick, zudem von seinem kontroversen Journalismus. Man muss die beiden offenbar gelesen haben, auch wenn man ihren Stil nicht mag.
Beim Spitzenreiter der Zeitungen ist zuletzt die Auflage beträchtlich gesunken. Der Blick verlor allein in den letzten fünf Jahren 70000 Stück. Bei der Leserzahl hingegen hat das Blatt im Fünfjahresvergleich sogar leicht zugelegt.
Für die beliebteste Zeitung der Schweiz gilt darum ein seltenes Paradox. Man liest sie gern, aber man kauft sie ungern.
Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 09. Oktober 2014
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Schlagwörter:Auflage, Kurt W. Zimmermann, Leserzahlen, Printmarkt, Zeitungsnutzung