Die Auflagen vieler Publikationen sinken. Den Verlust eines großen Anzeigenkunden kann sich kaum ein Medienunternehmen mehr leisten. Dadurch, dass immer weniger Geld für Werbung in Print-Produkten ausgegeben wird, ist der Kampf um jeden einzelnen Kunden härter geworden. Diese Situation könnte auch die großen Nachrichtenmagazine Spiegel und Focus dazu verleiten, dem Begehren der Werber nach positiver Berichterstattung über ihr Unternehmen und ihre Produkte nachzugeben. Das jedenfalls vermuten die Wissenschaftler Lutz M. Hagen, Anne Flämig und Anne-Marie In der Au.
Die Kommunikationswissenschaftler der TU Dresden untersuchten mithilfe einer Inhaltsanalyse den Zusammenhang zwischen der Anzeigenzahl von Unternehmen in Spiegel und Focus und der Berichterstattung über die werbenden Unternehmen in den beiden Magazinen. Dabei stand sowohl die Häufigkeit als auch der Tenor der Berichterstattung über die anzeigenschaltenden Firmen im Mittelpunkt. Analysiert haben die Wissenschaftler alle Anzeigen aus dem Jahr 2011 und die gesamte Berichterstattung über die ausgewählten Werbekunden (n=949) im gleichen Zeitraum. Dabei unterteilten sie die Unternehmen zunächst in drei Kategorien: Solche mit hohem, niedrigen und keinem Anzeigenaufkommen. In einem zweiten Schritt wählten sie all jene aus, die eine gleiche wirtschaftliche Bedeutsamkeit und Unternehmensgröße besitzen, um Verzerrungen durch eine unterschiedliche „ökonomische Bedeutsamkeit“ zu vermeiden.
Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass die Nachrichtenmagazine über Unternehmen mit hohem Anzeigenaufkommen häufiger berichten als über solche, die nur wenige oder gar keine Anzeigen schalten. Sowohl für den Spiegel als auch für den Focus bestätigte sich diese Annahme. Die Forscher stellten einen engen Zusammenhang zwischen der Zahl der Anzeigenseiten und der Zahl der redaktionellen Beiträge fest: In Focus und Spiegel erschienen deutlich mehr Beiträge über Unternehmen mit viel als über solche mit wenig Werbung im Blatt. Firmen ohne Anzeigen haben im Focus kaum eine Chance auf Beachtung. Beim Spiegel fällt der Unterschied zwischen Kleinkunden und Nicht-Kunden hingegen geringer aus.
Die Wissenschaftler beschäftigten sich jedoch nicht nur mit der Häufigkeit, sondern auch mit dem Tenor der Berichte über die Unternehmen. Sie nahmen an, dass ein hohes Anzeigenaufkommen eine positivere Berichterstattung mit sich bringt. Diese Hypothese konnte nur für den Spiegel bestätigt werden: Während gute Anzeigenkunden in 30 Prozent der Berichte positiv beurteilt wurden, bekamen Unternehmen ohne Werbung im Spiegel kein einziges Mal eine solche Bewertung. Beim Focus findet den Forschern zufolge eine solche Abstufung in der Berichterstattung über Klein- und Großkunden nicht statt. Das liegt daran, dass der Focus fast grundsätzlich (in 70 Prozent der Fälle) positiv über seine Anzeigenkunden berichtet – egal, ob mit hohem oder niedrigem Anzeigenaufkommen.
Als drittes untersuchten die Dresdener Forscher, ob die Magazine häufiger über die Produkte der großen Anzeigenkunden berichten als über die der anderen. Für beide stellten sie fest, dass die Produkte großer Anzeigenkunden häufiger Erwähnung fanden als alle anderen. Zwischen der Zahl der Produktnennung von Klein- und Nicht-Kunden fanden die Wissenschaftler im Focus keinen statistisch verlässlichen Zusammenhang. Anders macht das der Spiegel: Er nennt Produkte von Firmen, die nicht bei ihm werben, häufiger als die Produkte seiner Kleinkunden.
Die Inhaltsanalyse hat nachgewiesen, dass sowohl im Spiegel als auch im Focus häufiger, freundlicher und mit mehr Produktnennungen berichtet wird, je mehr Anzeigen ein Unternehmen schaltet. Die Ergebnisse werfen Fragen über die Unabhängigkeit der Wirtschaftsberichterstattung der beiden Magazine auf. Allerdings weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass die Zusammenhänge zwischen Anzeigenaufkommen und Berichterstattung auch durch die Größe des Unternehmens, die Bedeutung eines Produktionszweiges für Deutschland (beispielsweise Automobilindustrie) oder sehr geschicktes Marketing erklärt werden können. Diese möglichen Einflüsse waren jedoch nicht Teil der Inhaltsanalyse. Für die Forscher steht zumindest eines fest: „Die De-facto-Synchronisation, die unsere Untersuchung belegt, ist jedenfalls zu bedrohlich für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe von Nachrichtenmedien, um sie unerklärt zu lassen.“ Weitere Forschung ist also notwendig, um noch genauer zu erfassen, wie sich die angespannte Lage auf dem Anzeigenmarkt auf die redaktionelle Unabhängigkeit von Nachrichtenmedien auswirkt.
Quelle:
Hagen, Lutz M., A. Flämig & A.-M. In der Au (2014) Synchronisation von Nachricht und Werbung. Wie das Anzeigenaufkommen von Unternehmen mit ihrer Darstellung in Spiegel und Focus korreliert. In: Publizistik, 59. 367-386.
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