Entpolitisierung der Kommunikations-wissenschaft? Journalismusforschung in Zeiten des geopolitischen Umbruchs

4. August 2025 • Aktuelle Beiträge, Internationales • von

Dieses Bild wurde mithilfe von ChatGPT erstellt.

In Singapur ist vor wenigen Tagen die Konferenz der International Association for Mass Communication Research (IAMCR) zu Ende gegangen – die IAMCR ist eine der zwei globalen Foren für Kommunikationswissenschaft und Journalismusforschung. Während die International Communications Association (ICA) in der Regel in den Vereinigten Staaten stattfindet und auch inhaltlich stark von US-amerikanischen Forschern und Perspektiven dominiert wird, wurde die IAMCR 1957 dezidiert als Gegenentwurf zu diesem ‚westlichen‘ Konferenzmodell konzipiert. Die IAMCR versteht sich als Forum insbesondere für Forschung aus dem Globalen Süden, und wird von Kolleginnen und Kollegen aus Lateinamerika, Asien und Afrika dominiert. Umso spannender der Blick auf die Inhalte und Debatten auf der diesjährigen Konferenz – der aufgrund der Diversität des Tagungsprogramms zwangsläufig sehr subjektiv ausfällt: über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten in mehr als 480 Panels und Sitzungen ihre aktuellen Forschungsergebnisse vor.

Massiv fiel in Singapur die Präsenz chinesischer Akteure auf: ‚Gold‘ und ‚Silver Sponsors‘ der von der Nanyang Technological University ausgerichteten Konferenz waren Medien-Fakultäten mehrerer chinesischer Universitäten – so die School of Journalism and Mass Communication der Tsinghua University, das Department Media and Communication der City University Hong Kong und die School of Media and Communications der Shanghai Jiao Tong University.

Von den weit über 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern arbeiteten über 566 – und damit die größte nationale Gruppe – für chinesische Universitäten. Neben den chinesischen Forschern waren auch indische stark vertreten. Aus Deutschland waren mit Carola Richter, Martin Löffelholz, Barbara Thomass, Anna Litvinenko, Melanie Radue und Anke Fiedler insbesondere diejenigen Kolleginnen und Kollegen präsent, die sich in dem von Carola Richter initiierten Netzwerk ‚Kosmo KW‘ engagieren.

Oberthema der Konferenz war die Rolle der Medien im Kontext des Klimawandels – „Communicating Environmental Justice – Many Voices, One Planet“ war die Konferenz überschrieben. (Fraglos sehr selektive) Eindrücke aus den vielen Panels zeigen, wie heikel selbst wissenschaftliche Debatten über diese Frage sein können: In einem Panel zu internationalen Forschungsergebnissen über die Berichterstattung zum Klimawandel präsentierten Kollegen aus Nigeria spannende kritische Analysen über die Rolle (meist westlich finanzierter) investigativ-journalistischer Projekte über Umweltskandale westlicher und nigerianischer Firmen in dem rohstoffreichen, aber von internationalen Konzernen und einheimischer Korruption ‚ausgebeuteten‘ Gesellschaft. Der Nachfrage aus dem Publikum nach Berichterstattung über Umweltskandale, die von chinesischen Unternehmen ausgehen, wichen die Forscher unter Verweis auf die Sensibilität der Frage aus. In der anschließenden Debatte unter den Gästen des Plenums meldete sich dann ein chinesischer Forscher zu Wort, der ausgiebig über die Vorreiterrolle Chinas bei Umweltschutzstandards referierte. Erst nach langen Elogen konnte ihm eine junge chinesische Kollegin (mit Arbeitsvertrag in Europa) entgegensetzen, wie schwer es für chinesische Studierende ist, kritische Berichte über Umweltthemen zu realisieren.

Ein ähnliches Bild bot sich in einem Panel zur Kriegsberichterstattung – hier stellten zwei chinesische Forscherinnen Arbeiten zu Ukraine-Berichterstattung vor. Weder in den Vorträgen noch in der anschließenden Diskussion fand aber eine normative Einordnung statt – inwiefern die analysierte Kommunikation in den beiden Ländern eben auch die Rolle als angegriffener Staat bzw. als Angreifer widerspiegelt. Die Folge war eine – bei allem Bestreben nach wissenschaftlicher Neutralität dennoch irritierende – ‚Gleichsetzung‘ der Position Russlands und der Ukraine.

In vielen Panels ging es um eher unpolitische Themen: Zugespitzt – nicht wenige Vorträge befassten sich mit der Darstellung von Menstruation in chinesischen Medien und dem Wirken von ‚Momfluencern‘ auf Instagram. Oft ging es hier um interpersonale Kommunikation, oder Fragen der individuellen Mediennutzung, besonders im Kontext von Organisationskommunikation. Der Konferenzort Singapur gestattete es auch russischen Forscherinnen und Forschern, an der Konferenz teilzunehmen. Auch hier spiegelten sich die neuen geopolitischen Realitäten: Zuvor wissenschaftlich in Europa verankerte russische Forscher arbeiten nun in Forschungsverbünden mit chinesischen Hochschulen, die Themenwahl umschifft politische Fragestellungen.

Der geopolitische Wandel beschleunigt sich, und spiegelt sich längst auch in der internationalen Kommunikationswissenschaft wider. Bei allen berechtigten Forderungen nach ‚De-Westernization‘ der Forschungsperspektiven sollte dem Fach dennoch ein Anliegen sein, die Diskurse offen und kritisch zu halten – und besonders die gesellschaftlich relevanten Meta-Themen nicht aus dem Fokus zu verlieren. Viele lateinamerikanische Forscher zeigten in Singapur, wie es das gehen kann: Trotz auch in vielen lateinamerikanischen Staaten schwierigen Kontexten waren gerade sie mit vielen Panels zu politischen und gesellschaftlichen Fragen auf der IAMCR höchst aktiv.

Am letzten Konferenztag verurteilte die IAMCR in einer Stellungnahme die Inhaftierung des aserbaidschanischen IAMCR-Mitglieds Bahruz Samadov. Ob eine solche Stellungnahme auch zugunsten eines in China inhaftierten akademischen Kollegen hätte erfolgen können?

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