
Borodianka, Region Kiew, Ukraine (April 2022). Fotoquelle: Pexels [https://www.pexels.com/uk-ua/photo/11734710/]
Die Einzigartigkeit des russisch-ukrainischen Krieges als Forschungsgegenstand liegt in der Möglichkeit, zu untersuchen, wie verschiedene Medien einen umfassenden europäischen Konflikt des 21. Jahrhunderts visuell interpretieren. Eine vergleichende Analyse der Bilder, die von einflussreichen Medien im ersten Kriegsjahr veröffentlicht wurden, zeigt tiefgreifende Unterschiede in der Darstellung des Konflikts durch verschiedene Medien, was sich direkt auf die Bildung der globalen Wahrnehmung dieses Krieges auswirkt.
Die visuelle Darstellung des Krieges
Eine aktuelle Studie eines Teams aus amerikanischen und ukrainischen Forschern wandte eine quantitative Inhaltsanalyse auf Nachrichtenbilder im Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine 2022 an, die aus vier führenden Medien gesammelt wurden: The Guardian (Vereinigtes Königreich), The New York Times (Vereinigte Staaten), lenta.ru (Russland) und Ukrainska Pravda (Ukraine). Die Artikel, die im ersten Jahr der vollständigen Invasion (23. Januar 2022 bis 23. Januar 2023) veröffentlicht wurden, wurden anhand systematischer Stichprobenverfahren ausgewählt, wodurch ein geeigneter Datensatz von 446 Artikeln entstand.
Zwei geschulte Kodierer kodierten unabhängig voneinander die Bilder und die dazugehörigen Bildunterschriften anhand eines detaillierten Kodierungshandbuchs, das darauf ausgelegt war, die denotativen (das Abgebildete) und konnotativen (symbolischen Bedeutungen) visuellen Rahmen zu erfassen, die mit dem geografischen Ort, den dominierenden Themen/Objekten, dem Patriotismus und dem menschlichen Leid in Verbindung stehen. Die Zuverlässigkeit zwischen den Kodierern war hoch (Krippendorfer-Alpha im Bereich von 0,75 bis 1,00), was eine konsistente Kodierung gewährleistet. Um signifikante Unterschiede in den visuellen Rahmenbedingungen zwischen den Medien zu identifizieren, wurden statistische Analysen durchgeführt, darunter posteriore Chi-Quadrat-Tests mit Bonferroni-Korrekturen.
Die erste Forschungsfrage untersuchte denotative visuelle Rahmenbedingungen mit Fokus auf die tatsächlichen Subjekte und Objekte, die in den Bildern gezeigt wurden.
Die Analyse ergab eine starke Übereinstimmung zwischen den Agenden westlicher (US-amerikanischer und britischer) und ukrainischer Medien, die den Konflikt als einen Krieg darstellten, der in erster Linie das ukrainische Volk betrifft, wobei ukrainische Zivilisten und Militärangehörige prominent vertreten waren. Umgekehrt waren russische Militärs oder Politiker in westlichen Medien fast nicht zu sehen, wodurch der Krieg effektiv als ein Konflikt dargestellt wurde, der sich auf das Leiden der Ukrainer konzentriert, mit minimaler visueller Darstellung der russischen Seite.
In Bezug auf die geografische Einordnung stellten die Bilder den Konflikt in den ukrainischen und westlichen Medien überwiegend im Kontext eines bestimmten Landes dar und betonten die lokalen Folgen. Die russischen Medien hingegen erweiterten den Rahmen manchmal auf einen regionalen oder globalen Kontext, obwohl sich ihre visuellen Darstellungen in der Darstellung der Akteure und Ereignisse erheblich unterschieden. Dieser Unterschied verdeutlicht die unterschiedlichen geopolitischen Perspektiven und Agenden, die die visuelle Berichterstattung in verschiedenen Regionen beeinflussen.
Was den Patriotismus betrifft, so waren visuelle Elemente, die implizit oder explizit den Nationalstolz und die Unterstützung für militärische Anstrengungen fördern, in allen Publikationen deutlich präsent, jedoch mit unterschiedlichen Ausdrucksformen. Ukrainische und westliche Medien betonten Symbole des ukrainischen Widerstands und Heldentums und förderten die Solidarität mit der Ukraine. Russische Medien hingegen stellten den Patriotismus in den Rahmen staatlicher Narrative, die die Invasion rechtfertigten, wobei sie sich häufig auf politische Führer und militärische Operationen konzentrierten und ein geschöntes, regierungsnahes Bild vermittelten.
Schließlich war der Rahmen des menschlichen Leids und der Zerstörung in den ukrainischen und russischen Medien weniger dominant, die stattdessen Bilder von politischen Führern und heroische Darstellungen des Konflikts bevorzugten.
Westliche Medien zeigten mehr Bilder von zivilem Leid und Kriegszerstörung und betonten damit die humanitären Folgen des Krieges.
Diese Unterschiede spiegeln unterschiedliche redaktionelle Entscheidungen wider, die von politischen, kulturellen und propagandistischen Überlegungen geprägt sind und beeinflussen, wie das globale Publikum den Konflikt wahrnimmt und Verantwortung zuweist.
Wie die Medien unsere Wahrnehmung prägen
Durch die Untersuchung Tausender Bilder aus führenden internationalen Publikationen haben Forscher ein eindrucksvolles Bild davon gewonnen, wie derselbe Krieg je nach dem, wer ihn zeigt, in völlig unterschiedlichen visuellen Dimensionen dargestellt wird.
Westliche Medien und Ukrainska Pravda schaffen eine gemeinsame visuelle Erzählung, die sich auf das ukrainische Volk, sowohl Militär als auch Zivilbevölkerung, konzentriert. Sie zeichnen ein Bild von Widerstand, Widerstandsfähigkeit und nationaler Einheit angesichts der Aggression. Russische Bilder hingegen scheinen in einer Parallelwelt zu existieren, in der politische Führer die Hauptfiguren sind und die Operation selbst als notwendiger und gerechtfertigter Schritt dargestellt wird.
Besonders auffällig ist der Kontrast in der Darstellung menschlichen Leids. Während die New York Times und der Guardian es wagen, die schrecklichen Folgen der Bombardierungen und das Leid der Menschen zu zeigen, „heroisieren“ die meisten ukrainischen und russischen Medien den Krieg oft und konzentrieren sich auf Politiker und patriotische Symbole.
Dadurch entsteht ein „steriles“ Bild des Konflikts, in dem die wahren Kosten des Krieges nicht gezeigt werden.
Dieser Unterschied in der Herangehensweise spiegelt nicht nur journalistische Traditionen wider, sondern prägt aktiv die Weltanschauung von Millionen von Lesern auf der ganzen Welt und bestimmt, wen sie als Helden und wen als Aggressoren sehen. Diese visuellen Narrative beeinflussen die internationale Unterstützung, diplomatische Entscheidungen und sogar die Bereitschaft von Gesellschaften, sich auf eine langwierige Konfrontation einzulassen.
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Schlagwörter:Berichterstattung, Krieg, Kriegsberichterstattung, Ukraine