Der Untergang des Untergangs

17. November 2014 • Qualität & Ethik • von

Ein seltsames Paradox: Je weniger Konkurrenz die Journalisten haben, umso aggressiver werden sie.

Heute wollen wir kurz auf den Untergang der Menschheit zurückblicken. Die Menschheit ging bekanntlich an Hautkrebs, Erblindung und Hungersnot zugrunde.

Der allererste Hinweis in unseren Medien fand sich im September 1986 in der Neuen Zürcher Zeitung. “Rätselhaftes Ozonloch über der Antarktis”, titelte das Blatt.

Es begann der Siegeszug des Lochs.

Das Ozonloch bescherte uns nun massenhaft “bösartigen Hautkrebs” (Sonntagsblick). Es führte massenhaft zur “Zunahme von Augenerkrankungen” (Basler Zeitung). Außerdem verhungerten die blinden Krebskranken, denn das Ozonloch führte massenhaft zu “verdorrten Getreidefeldern” (Tages-Anzeiger).

Bevor wir zum Grundsätzlichen kommen, noch kurz ein Blick auf den nächsten Untergang der Menschheit. Ebola wurde letzte Woche schon zur “globalen Epidemie” (Neue Zürcher Zeitung am Sonntag). Es wurde schon zum globalen Harmagedon, als in Europa, den USA und Asien noch keine zehn Personen erkrankt waren.

Den Aufbau des Untergangs nennt man Alarmismus. Er gehorcht dem Prinzip, gemäß dem eine sehr partielle Bedrohungslage zu einem weltweiten Untergangsszenario hochzustemmen ist. Darum versagten auch Vogelgrippe, Sars, Schweinegrippe, Listerien und Rinderwahn, obwohl von den Medien als todsichere Massenvernichtungen dargestellt, bei der Ausrottung der menschlichen Spezies.

Warum also die Hysterie? Es ist ein seltsames Paradox. Journalisten konnten noch nie in ihrer Geschichte derart gelassen und unaufgeregt sein wie heute. Stattdessen tun sie das Gegenteil und dramatisieren bis zum Umfallen.

Gelassen und unaufgeregt können Journalisten heute deshalb sein, weil sie keine Konkurrenten mehr haben. Praktisch alle Schweizer Redaktionen arbeiten in einer Monopolsituation. Nur in einem Deutschschweizer Kanton, in Zürich, gibt es noch zwei verschiedene Zeitungen aus zwei verschiedenen Verlagen. Überall sonst, in Bern, Basel, Luzern und St. Gallen, herrscht Monokultur.

Im TV-Bereich ist es dasselbe. Auf nationaler Ebene hat im Newsjournalismus der Staatsfunk das Monopol. Bei den regionalen TV-Sendern gibt es mit Ausnahme der Ostschweiz ebenfalls keine Konkurrenzsituationen.

Selbst dort, wo Medienvielfalt ein öffentliches Thema ist, interessiert sich de facto niemand für geistigen Wettbewerb. Von den 117000 Lesern der Basler Zeitung etwa lesen gerade mal 7000 gelegentlich die NZZ. Trotz vermeintlich intensiven Internetwettbewerbs hält sich die Zahl der Nutzer von mehreren News-Sites genauso in überschaubarem Rahmen.

Das einzige Mediensegment, in dem es noch wahren Wettbewerb gibt, sind die Sonntagsblätter. Sonst ist Ruhe.

Journalisten haben also im Markt keine Mitbewerber mehr. Also verlagern sie den Konkurrenzkampf in ihren Kopf. Sie tun so, als ob sie harte Konkurrenz hätten. Sie versuchen diese Konkurrenz, die es nur in ihrer Einbildung gibt, mit Aggressivität auszustechen. Sie versuchen es mit mehr Dramatik und höherem Alarmismus.

Der Gipfel der Dramatik ist immer der Untergang. Kleinere Volksinitiativen führen darum regelmäßig zum Untergang der Schweiz. Kleinere Klimaveränderungen führen regelmäßig zum Untergang der Welt. Kleinere Epidemien führen regelmäßig zum Untergang der Menschheit.

Doch irgendwann kommt immer der Untergang des Untergangs. Über der Antarktis zum Beispiel, so bestätigen selbst die grünen Wissenschaftler, schließt sich nun die Luftschicht für immer.

“Nachruf auf das Ozonloch”, titelte soeben die NZZ, genau 28 Jahre nach ihrer journalistischen Erstmeldung zum Loch. Das war erfreulich selbstironisch.

Bildquelle: PublicDomainPictures / pixabay.com

Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 06. November 2014

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