Ungarn: Die Corona-Krise und die Medien

24. März 2020 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Bedeutet die Corona-Krise das Ende der wenigen verbliebenen unabhängigen Medien in Ungarn? Die von der Regierungspartei geplanten Gesetzesänderungen zielen darauf ab, die Meinungsfreiheit im Land ein für alle Mal zu zerschlagen.

Das Coronavirus ist im Begriff, der Lebensfähigkeit der unabhängigen Medien in Ungarn einen vernichtenden Schlag zu versetzen. Geschäftsmodelle, die schon vor der aktuellen Krise schwach waren, werden mit Sicherheit bald scheitern, und ihr Zusammenbruch wird die Medien, deren langfristige Lebensfähigkeit sie eigentlich sichern sollten, unter ihren Trümmern begraben. Werbekampagnen werden zum Stillstand kommen, und die Krise wird viele Haushalte in eine große finanzielle Notlage und Unsicherheit bringen und damit ihre Budgets für den Medienkonsum reduzieren. Dies könnte den Betrieb der wenigen verbleibenden unabhängigen Medienunternehmen ziemlich schnell gefährden. Sie könnten bereits in zwei bis drei Monaten von der vollen Wucht der Krise getroffen werden, zumal die meisten von ihnen nicht von einem gut situierten Eigentümer unterstützt werden.

Ein unmittelbar bevorstehender finanzieller Zusammenbruch ist jedoch nicht die einzige existenzielle Bedrohung, denen die Medien ausgesetzt sind. Die Ereignisse der vergangenen Tage haben erkennen lassen, dass die Regierungspartei die gegenwärtige Situation nutzen könnte, um sich vehement gegen die unabhängigen Medien in Ungarn zu lehnen.

Regierungstreue Wochenzeitung bezeichnete Corona als „Fake News“

Von der Eskalation in Norditalien berichteten in Ungarn fast nur unabhängige Medien. Das große regierungsnahe Medienimperium, das große Teile des Marktes kontrolliert, versuchte, das Thema herunterzuspielen. Ein sehr aufschlussreiches Beispiel ist eine Stellungnahme von András Bencsik, dem einflussreichen Chefredakteur der Demokrata, einer führenden rechten Wochenzeitung:

In der Tat eine massive Pandemie. Zumindest so, wie sie in den Medien dargestellt wird. Als würden sie ein weltweites Experiment durchführen, um herauszufinden, ob man die Menschen durch reine Propaganda dazu bringen könnte, an die Bedrohung durch eine schreckliche Pandemie zu glauben, obwohl es überhaupt keine Epidemie gibt, nicht einmal das geringste Anzeichen dafür. Und die Antwort auf die zugrundeliegende Frage ist ‘Ja’, sie lassen sich überzeugen. (6. März 2020)

Nach einer Weile begann jedoch auch die ungarische Regierung, den Ernst der Lage zu begreifen und rief am 11. März den Ausnahmezustand aus; von da an nahmen auch regierungsnahe Medien die Situation ernster. Dennoch berichteten die ungarischen Medien zunehmend gespaltener. Die regierungsfreundlichen Medien berichteten fast ausschließlich über einige wenige iranische Studierende im Land und versuchten, die gesamte Coronavirus-Epidemie als ein Migrationsproblem darzustellen. Unabhängige Medien wiesen dagegen auf systemische Probleme im Umgang der ungarischen Regierung mit der Epidemie hin, wie die geringe Anzahl von Tests sowie den Mangel an Schutzkleidung und Masken.

Angriffe auf die Pressefreiheit

Am 15. März kam es auf einer Pressekonferenz des Regierungssprechers Zoltán Kovács zum bisher spektakulärsten Angriff der Regierung auf die unabhängigen Medien. Auf eine Frage eines Journalisten der Online-Zeitung 444.hu antwortete Kovács mit einem aggressiven Unterton, dass 444.hu und andere unabhängige Medien sich nicht für klüger als die Epidemiologie-Experten halten sollten. Der Reporter hatte nach Details zum Coronatest des Innenministers Sándor Pinter gefragt und wollte außerdem wissen, warum das Gesundheitspersonal, das Corona-infizierte Patienten behandelt, nicht getestet werde. Der Regierungssprecher gab darauf keine klare Antwort.

Am 18. März berichteten staatliche und regierungsnahe Medien ausführlich darüber, dass zwei prominente unabhängige Online-Zeitungen, index.hu und 444.hu, Spendenkampagnen gestartet hatten, um die finanziellen Auswirkungen der Krise zu bewältigen. Obwohl die prekäre finanzielle Situation dieser beiden Medien bekannt ist, kommentierte das regierungsnahe Online-Portal origo.hu:

Index will den Menschen in einer so heiklen Situation Geld aus der Tasche ziehen, damit sie weiterhin gefälschte Nachrichten über ihre beiden Lieblingsthemen, Bildung und Gesundheitsversorgung, verbreiten können.

Am 20. März lud der regierungsfreundliche Nachrichtensender HírTV (der zur Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung gehört, also der Organisation, die die meisten privaten regierungsfreundliche Medien umfasst) zwei der Regierung nahestehende Meinungsführer, Márton Békés, Chefredakteur der Zeitschrift Kommentar, und Gábor Megadja, leitender Wissenschaftler des Századvég-Instituts, als Gäste in eine seiner Talkshows. Während des Gesprächs stachelten sie die Zuschauer gegen die unabhängigen Medien auf:

Ich habe das Gefühl, dass bestimmte Kanäle, die sich für die Opposition einsetzen, gegen die ungarische Nation, gegen Europa und sogar gegen die ungarische Wirtschaft sind. Stattdessen sind sie offen für das Virus. Und wenn das der Fall ist, sind sie eindeutig Coronavirus-Kollaborateure. Was werden wir dagegen tun, wie werden wir später mit dieser Situation umgehen – nun, lassen Sie mich hier aufhören und diesen Gedankengang nicht fortsetzen. 

Ich würde vorschlagen, sie in dieser Krisensituation verhaften zu lassen.

Drakonische Strafen für „Falschnachrichten“

Diese Propaganda gegen unabhängige Medien ist weitaus schlimmer als das, was in der öffentlichen Kommunikation der Regierung und der ihnen nahestehenden Medien bisher „üblich“ war. Und nun plant die Regierung sogar, Änderungen im Strafgesetzbuch vorzunehmen, um dem unabhängigen Journalismus noch mehr Stolpersteine in den Weg zu legen: Wer „Falschnachrichten“ über das Coronavirus und über die Maßnahmen, die zu seiner Eindämmung vorgesehen sind, verbreitet, soll mit zwischen einem und fünf Jahren Haft bestraft werden.

Sollte diese Änderung in Kraft treten, würden alle medialen Veröffentlichungen an der Kommunikationsstrategie der Regierung gemessen – sie würde als Leitlinie dienen, um zu bestimmen, was geschrieben werden darf und was eine Gefängnisstrafe verdient. Die Kommunikationsstrategie der ungarischen Regierung zu Corona ist intransparent und das tatsächliche Ausmaß der Pandemie wird ständig verschleiert. Daher wird es den Journalisten selbst dann nicht möglich sein, unabhängig zu berichten, wenn sie verlässliche und gut recherchierte Quellen haben. Jede Veröffentlichung könnte unter Verdacht gestellt waren, die Fakten zu verzerren, und das Risiko einer Gefängnisstrafe mit sich bringen.

 

Dieser Beitrag wurde zuerst von der NGO Mérték Media Monitor unter dem Titel “The end of days for independent media in Hungary?”  veröffentlicht und für die Veröffentlichung auf EJO geringfügig modifiziert. 

Übersetzt aus dem Englischen von Johanna Mack

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