Der entstellte Service public

18. Januar 2007 • Medienpolitik • von

Erstveröffentlichung: Werbewoche, 02/ 07

Für sich genommen und aus der Schweiz betrachtet, mag es eine Lappalie sein, in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks allenfalls eine Fussnote: Deutschlands prominentester TV-Moderator, Günther Jauch, wird nun doch nicht den wichtigsten deutschen Polit-Talk moderieren, die Nachfolgesendung zu „Christiansen“ am Sonntagabend. Sieht man die Blamage im Fall Jauch jedoch im Kontext all der anderen Skandale, Affären und Fehlentscheidungen, durch welche die ARD in jüngster Zeit von sich reden machte, ergibt sich ein anderes Bild. Es stellt sich die Frage, ob jene Form des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sich unser grosser Nachbar im Norden leistet, zum Auslaufmodell wird.

Aufzulisten sind mehrere Schleichwerbungs- und Korruptionsskandale. Der gravierendste um die Soap „Marienhof“ währte zehn Jahre lang, bevor ein investigativer Reporter die Machenschaften entdeckt hat. Mit einem fragwürdigen Sponsoring-Vertrag hat sich zudem die ARD die Exklusiv-Berichterstattung über den gedopten Radsportler Jan Ulrich gesichert und dazu Gebührengelder zweckentfremdet. Peinlich auch das Hickhack um die Stasi-Verstrickungen des Sportreporters Hagen Bossdorf und die Ein- und Wiederausladung des russischen Ex-Schachweltmeisters und Regimekritikers Kasparow in die Christiansen-Sendung – um nur einige weitere Fälle zu nennen. Dass es gelungen ist, internetfähige PCs mit Rundfunkgebühren zu belegen, zeugt darüber hinaus von dreister Selbstbedienungs-Mentalität.

Die ARD präsentiert sich ohne funktionierende Aufsichtsgremien, sie ist überdimensioniert und damit exorbitant teuer. Ihre vielstimmige und zum Wasserkopf aufgeblähte Führungsstruktur macht sie nahezu bewegungsunfähig, es gibt zu viele autistisch-selbstverliebte Hierarchen, die weder in ihre Sender noch ins Publikum hinein zu horchen vermögen. Das Problem sind dabei übrigens noch nicht einmal die Parteizugehörigkeiten der meist im Reissverschlusssystem (einer links, der nächste rechts) gekürten öffentlich-rechtlichen Amtsinhaber. Wie schon vor Jahren von Kurt Biedenkopf scharfsinnig analysiert, neigen diese vielmehr dazu, sich über Parteigrenzen hinweg zu kartellisieren, also sich wechselseitig zu stützen und sich so gegen jedwede Kontrolle zu immunisieren.

Obendrein wird der Service public bis zur Unkenntlichkeit entstellt und damit eigentlich überflüssig: Die Öffentlich-rechtlichen konkurrieren zu den Hauptsendezeiten viel zu sehr mit den privaten Anbietern, statt auf Programmangebote zu setzen, die sinnvoll ergänzten, was der Markt ohnehin an Soaps, Krimis, Infotainment, an teuren Sportübertragungen und Unterhaltungsshows sowie an billigen Talkformaten hervorbringt.

Auf die Schweiz sind diese Beobachtungen allerdings nicht eins zu eins übertragbar: Die Gebühr pro Kopf ist zwar noch höher als in Deutschland. Die Einkünfte von SRG idée suisse nehmen sich gleichwohl im Vergleich zu ARD und ZDF bescheiden aus – es gibt eben nur acht statt achtzig Millionen Einwohner, die potentiell als Gebührenzahler anzapfbar sind. Trotzdem muss das Geld reichen, um in drei verschiedenen Sprachen passable TV-Programme anzubieten. Die Fernsehgewaltigen sind – wie der breitangelegte Diskurs um das neue Leitbild gezeigt hat – gesprächsbereiter und offener, sie haben zugleich mehr Bodenhaftung. Bedrängt von der ausländischen Konkurrenz, wird in den Programmen allenfalls die „Swissness“ bis ins gelegentlich Kleinkarierte überakzentuiert.

Dennoch sollten wir registrieren, wie bei unseren Nachbarn – und das gilt auch für die italienische RAI, den österreichischen ORF – die öffentlich-rechtlichen Anbieter ins Straucheln geraten. Gewiss, der neue ARD-Vorsitzende Raff und sein Stuttgarter Intendanten-Kollege Peter Voss haben recht: Ohne Jauch geht’s auch. Jauch punktet indes ebenfalls, wenn er im Spiegel-Gespräch die „Irrlichter“, „Profilneurotiker“ und „Wichtigtuer“ in den Führungsetagen der ARD anprangert. Es ginge eben auch ohne den Ballast der gigantesken Rundfunkbürokratien. Small is beautiful: Womöglich liefe mit schlankeren Sendern sogar Vieles „runder“ – also mit halb so vielen Rundfunkintendanten, TV-Direktoren und sonstigen öffentlich-rechtlichen Würdenträgern, die sich allzu oft nur gegenseitig blockieren.

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