Erstveröffentlichung: Il Giornale
Interview mit Adrian Michaels, Group Foreign Editor bei der Telegraph Media Group, über Online-Erfolgsstrategien und die Zukunft der Zeitungen.
Die englische Zeitung Telegraph hat 40 Millionen Leser online im Monat und schreibt schwarze Zahlen. Die Gratis-Internetseite forciert den Dialog mit den Leserinnen und Leser und bezieht diese in die journalistische Arbeit ein. In der Onlineredaktion arbeiten 40 Leute. Ein besonders erwähnenswertes Beispiel aus der täglichen Arbeit: die Berichterstattung zu den Wahlen vom 6. Mai. Es fehlt nichts: Die Social Networks waren einbezogen, es gab Kommentare und Debatten mit den Lesern, Videos und ausgeklügelte Infografiken, die geografisch die Wählerpräferenzen veranschaulichten, rundeten das Bild ab.
Warum das alles? Weil „wir darauf acht geben, was das Publikum lesen will. Und weil wir in diesem Mark sind, um Geld zu verdienen“, sagt Adrian Michaels. Tatsächlich ist, wenn man den Verlagsangaben Glauben schenkt, der Telegraph heute eine der wenigen britischen Websites, die Gewinne abwerfen. Im folgenden Interview erklärt Michaels, wie das Business Modell des Telegraph funkioniert.
Was denken Sie über bezahlte Online-Inhalte?
Im Moment arbeiten alle Nachrichtenanbieter daran, ein nachhaltiges Finanzierungssystem zu finden. Es gibt viele Vorschläge, die in ganz verschiedene Richtungen gehen: Alan Rusbridger, der Chefredakteur des Guardian, ist zum Beispiel davon überzeugt, dass im Internet alles gratis bleiben muss, während Rupert Murdoch für die beiden englischen Zeitungen Times und Sunday Times ein Bezahlsystem eingeführt hat. Für Murdoch ist dies übrigens ein radikaler Richtungswechsel: als er das Wall Street Journal gekauft hat, sagte er, dass die Inhalte künftig frei angeboten würden. Offensichtlich hat er seine Meinung geändert. Meines Erachtens – und das ist auch unsere Politik beim Telegraph – sollten wir im Moment bei freien Inhalten bleiben.
Wird das auch in Zukunft so sein?
Man wird sehen. Um ein gutes Geschäftsmodell zu finden, das aus den vielen Lesern, die sich im Netz tummeln, Nutzen zieht und Geld zu verdienen mag, hat der Telegraph eine ganze neue Abteilung gegründet, die sich mit 50 Mitarbeitern ausschließlich darum kümmert, neue Verdienstquellen zu finden.
Wie genau müssen wir uns das vorstellen?
In den letzen 150 Jahren hat Journalismus von Werbung und Verkaufserlösen gelebt. Das funktioniert heute so wie bisher nicht mehr. Wer aber glaubt, man müsse einfach eine dritte Einkunftsquelle finden, täuscht sich gewaltig. Genauer gesagt, wenn wir in zwei, drei Jahren eine Erlösquelle von 20 Millionen Pfund verlieren, dann brauchen wir eben zehn neue Quellen, die je 2 Millionen einbringen, oder so ähnlich. Deshalb brauchen wir eine Unternehmenseinheit, die neue E-commerce Modelle entwickelt, neue Möglichkeiten, mit Werbung Geld zu verdienen.
Zum Beispiel?
Was den E-commerce anbelangt, hat der Telegraph einen Online- Bookshop, in dem wir unserer Leserschaft Bücher empfehlen, Bestseller- Listen anbieten und wo wir Rezensionen anbieten. Alle Bücher können dann direkt auf der Website bestellt werden. Auf unserer „Offers“-Seite kann man alles mögliche anbieten – vom Gartenbau über Schmuck bis hin zu Autos aber auch Dienstleistungen und Beratung.
Macht der Telegraph Gewinne?
Momentan geht es uns um einiges besser als vielen Konkurrenten. Wir schreiben keine roten Zahlen, ja wir machen sogar Gewinn, was heutzutage eher unüblich ist. Das heisst aber nicht zwangsläufig, dass das Projekt weiterhin rentabel bleibt.
Wie schätzen sie die berufliche Zukunft von Journalisten ein?
Wir sind momentan in einer Phase, in der wir an dieser Zukunft herumbasteln. Ich denke, es müssen noch zehn oder mehr Jahre vergehen, bis die Leute wieder verstehen, dass es sich lohnt, für Qualitätsjournalismus etwas zu bezahlen; Journalismus, der von professionellen Journalisten gemacht wird, die für genau diese Arbeit entlohnt werden. Im Moment ist das schwierig, weil Gratis-Journalismusformen- wie etwa der „citizen journalism“ boomen. Andererseits bietet eben das Web nicht nur qualitativ hochstehende Inhalte. Im Gegenteil, es findet sich viel Müll. Ich habe das Gefühl, dass viele Nutzer es langsam leid sind, suchen zu müssen, um die “richtigen” Nachrichten zu finden. Was die Zukunft des Berufs: angeht:Ich befürchte, dass es immer mehr Journalisten geben wird, aber immer weniger werden für ihre Arbeit bezahlt werden. Der Journalismus wird sich in einen deutlich weniger lukrativen Job verwandeln als in Vergangenheit.
Alan Rusbridger glaubt fest daran, dass es den Guardian und den Journalismus auch in zehn Jahren noch gibt. Er ist sich aber weniger sicher, ob das auch für gedruckte Zeitungen zutrifft…
Er hat wohl etwas übertrieben, um Aufmerksamkeit zu gewinnen.Viele haben dasselbe schon vor zehn Jahren gesagt. Im Jahr 1999 war ich in New York. Es war die Zeit des Internetbooms und man hat viel darüber spekuliert und geschrieben, dass die Zeitungen in wenigen Jahren verschwunden seien und alle online einkaufen würden – sogar im Supermarkt. Gut, die Welt hat sich seither tatsächlich verändert, aber wir sind immer noch hier. Ich bin sicher, dass es aujch in zehn Jahren noch Zeitungen geben wird, aber die Nutzung wird sich ändern. Wir werden sehen, was Ipad und andere neue Hilfsmittel bringen. Im großen und ganzen, denke ich aber, müssen die Zeitungen noch nicht um ihre Existenz bangen.
Übersetzung aus dem Italienischen von Rahel Aschwanden.
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