Nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus geht die Regierung brutal gegen Oppositionelle vor und schränkt den Zugang zu unabhängigen Medien weiter ein. Doch trotz aller Gefahren lassen sich die Journalisten im Land nicht einschüchtern. Inzwischen protestieren auch die Journalisten staatlicher Medien gegen die Zensur.
Seit dem Amtsantritt von Präsident Alexander Lukaschenko 1994 ist sowjetisch geprägte Propaganda eines der wichtigsten Instrumente zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Belarus. Es ist die Aufgabe des Informationsministeriums – zu dessen weitreichenden Befugnissen auch die Schließung von Medienunternehmen gehört – sicherzustellen, dass nur wenige Alternativen zur staatlichen Propaganda gehört werden können.
Die Medienlandschaft in Belarus lässt sich in zwei Bereiche unterteilen: den staatlich geführten und den unabhängigen. Die Medien im unabhängigen Lager sind entweder in Privatbesitz oder werden aus dem Ausland finanziert. Es gibt zwei Gewerkschaften, die die Medienschaffenden vertreten: die regierungsnahe belarussische Journalistengewerkschaft und den belarussischen Journalistenverband (BAJ), der sich hauptsächlich um die Interessen von Journalisten kümmert, die für unabhängige Medien arbeiten.
Alle belarussischen Fernsehsender werden staatlich kontrolliert. Der einzige Fernsehsender, der eine alternative Sichtweise anbietet, ist der weißrussischsprachige Satellitenkanal Belsat, der seinen Sitz in Polen hat. Belsat ist eine Tochtergesellschaft des polnischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens und wird vom polnischen Außenministerium, dem polnischen Fernsehen und internationalen Gebern finanziert.
Ständige Bedrohung
Unabhängige belarussische Medien und Bürgerjournalisten arbeiten seit Jahren unter äußerst widrigen Umständen; sie haben mit einem beschränktem Zugang zu Informationen zu kämpfen und sind der ständigen Bedrohung durch Polizeischikane und gerichtliche Verfolgung ausgesetzt. Das bedeutet, dass der BAJ nicht nur die beruflichen Interessen seiner Mitglieder schützt, sondern auch als Menschenrechtsorganisation agiert, die die Meinungsfreiheit in Belarus verteidigt.
Die staatlichen Medien werden mit großzügigen Mitteln aus dem Staatshaushalt ausgestattet – was jedoch nicht unbedingt zu einem größeren Publikum führt. Vor allem im Online-Bereich, wo unabhängige Medien relativ frei agieren können, haben private Medien eine wesentlich größere Reichweite als die staatlichen. Begünstigt wurde dies durch das stetige Wachstum des Internetzugangs in Belarus (2020 sind etwa 80% der Bevölkerung online) und durch den Generationswechsel – die Internet-Generation hat die TV-Generation abgelöst.
2017 machten Live-Webcasts von Journalisten und Bloggern, die über Proteste gegen die sogenannte „Sozialparasiten-Steuer“ für Erwerbslose berichteten, die Regierungspropaganda wirkungslos. Dies war der Punkt, an dem die belarussischen Behörden den Informationskrieg im Internet verloren hatten. Die Reaktion der Regierung ließ nicht lange auf sich warten: Sie verabschiedete Änderungen des Mediengesetzes, die es dem Staat erleichterten, die Meinungsfreiheit im Internet einzuschränken. Diese Änderungen führten zu einer erhöhten Anzahl von Strafverfolgungen für Aussagen, die im Internet gemacht wurden.
Gewaltsames Durchgreifen
In diesem Jahr hat sich die Medienfreiheit in Belarus dramatisch verschlechtert. Schon im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 9. August zeigte sich, wie sehr die Belarussen das Vertrauen in Lukaschenko verloren haben und mehr als bereit für Veränderungen sind. Als es zu wahlbedingten Protesten kam, gingen die Behörden gewaltsam gegen Journalisten vor, um sie von ihrer Berichterstattung abzuhalten.
Die Verkündung des Wahlsiegs von Lukaschenko verschärfte die Proteste – und das harte Durchgreifen der Regierung. Innerhalb von drei Tagen wurden mehr als 70 belarussische und ausländische Journalisten verhaftet und 54 davon in Haft gehalten. Auch die Bereitschaftspolizei ging brutal gegen Journalisten vor: 25 Journalisten wurden verprügelt, drei wurden verwundet, als die Polizei Gummigeschosse und Blendgranaten auf die Demonstranten abfeuerte, und bei vielen wurde die Ausrüstung beschädigt oder beschlagnahmt. Mehrere ausländische Journalisten wurden des Landes verwiesen und mit einem Einreiseverbot von fünf bis zehn Jahren belegt.
Nach der Wahl war auch der Internetzugang drei Tage lang stark eingeschränkt. Bestimmte Internetseiten, darunter Suchmaschinen, soziale Netzwerke und unabhängige Medien, wurden als Folge gezielter Regierungsmaßnahmen blockiert. Die Website des Journalistenverbands BAJ wurde mit als erstes gesperrt, ebenso wie die Mobilnummer der BAJ-Hotline für Journalisten.
Wendepunkt
Die unabhängigen Journalisten haben sich von diesen schwierigen und gefährlichen Bedingungen nicht einschüchtern lassen. Diejenigen, die die Brutalität der belarussischen Polizei selbst erlebt haben, haben über die Misshandlungen berichtet. Als das Internet wieder freigegeben wurde und ihre Berichte die Aufmerksamkeit des einheimischen Publikums auf sich zogen, wurde im ganzen Land gegen die Gewalt protestiert.
Für viele Journalisten, die für staatliche Medien arbeiten, stellte die Gewalt gegen ihre Mitbürger einen Wendepunkt dar. Einige bekannte Fernsehmoderatoren sprachen sich öffentlich gegen die Politik Lukaschenkos aus und kündigten.
Hunderte von Mitarbeitern des staatlichen Rundfunks, der staatlichen Tageszeitung Zviazda und des staatlichen Regionalradiosenders Radio Stalitsa gingen in den Streik, protestierten gegen die Zensur und forderten, ihnen die Möglichkeit zu geben, über die Wahrheit in ihrem Land berichten zu können.
„Hybrid-Krieg“ gegen das eigene Volk
Um sicherzustellen, dass das belarussische staatliche Fernsehens weiterhin sendet – und die Ereignisse auch in der richtigen Weise inszeniert –, rekrutierte Lukaschenko russische Journalisten, die u.a. für berüchtigte Propagandakanäle wie Russia Today arbeiten, und zahlte ihnen Gehälter, die um ein Vielfaches höher als die der belarussischen Angestellten waren.
Kurz vor der Wahl hatte Lukaschenko behauptet, dass ein hybrider Krieg gegen Belarus geführt werde, wobei man nicht wisse, woher die Bedrohung komme. Wie der BAJ-Vorsitzende Andrei Bastunets jedoch betont hat, sei es vielleicht näher an der Wahrheit, zu sagen, dass das belarussische Regime jetzt in einen hybriden Krieg gegen sein eigenes Volk verwickelt ist.
Am 21. August ordnete das Informationsministerium an, den Zugang zu 73 Nachrichten-Websites und Websites von Organisationen der Zivilgesellschaft zu blockieren. Auf der schwarzen Liste stehen einflussreiche Medien wie Belsat TV, der belarussische Dienst von Radio Liberty und Euroradio. Auch wenn das Informationsministerium verneint, die BAJ-Website auf die Liste gesetzt zu haben, ist sie weiterhin von Belarus aus nicht erreichbar.
Neben den Online-Medien sind auch die einflussreichen Zeitungen Komsomolskaja Prawda (ihre belarussische Ausgabe) und Narodnaja Wolia ins Visier der Regierung geraten. Die staatliche Druckerei beruft sich auf technische Probleme und druckt sie nicht.
Am 22. August gab der Journalistenverband BAJ eine Erklärung heraus, in der er forderte, den Zugang zu den Websites wiederherzustellen, Zeitungen wieder erscheinen zu lassen und den Druck auf die Medien aufzuheben. Der BAJ forderte belarussische und internationale Organisationen auf, diese Erklärung zu unterstützen.
Mit solch groben Verletzungen der Rechte von Journalisten verweigert die belarussische Regierung den Bürgern das Recht auf Information. Indem sie der unabhängigen Presse den Krieg erklärt hat, haben sie der Wahrheit den Krieg erklärt.
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Schlagwörter:Alexander Lukaschenko, Belarus, belarussischer Journalistenverband (BAJ), Pressefreiheit, Proteste