Werbewoche Nr. 20 /22. Mai 2008
Wir wollen es kaum wahrhaben, dass wir gerade dann übers Ohr gehauen werden , wenn wir etwas “gratis” bekommen. Wie lange noch, bis uns Zeitungs-und Zeitschriftenverlage über solche Zusammenhänge aufklären?
Was nichts kostet, ist nichts wert. Diese Einsicht ist weitverbreitet, doch in unserem Alltagshandeln lassen wir uns davon wenig beeinflussen. „The Cost of Zero Cost“ – frei übersetzt: der Preis des Nulltarifs – ist das dritte Kapitel eines Buches überschrieben, das weder speziell für Werbe- und Marketingfachleute, noch für Journalisten oder Verlagsmanager gedacht ist. Es sei dennoch allen Medienschaffenden anempfohlen, die sich noch immer über den Erfolg von Gratisblättern wundern.
Das zugehörige Buch stammt von Dan Ariely, einem Ökonomen, der am MIT in Cambridge/Massachusetts lehrt. Er stellt mit verhaltenswissenschaftlichen Experimenten das Grundaxium seines Fachs infrage, nämlich dass wir uns alle rational verhalten – zumindest in den meisten Lebenslagen. „Predictably irrational“ ist der Band betitelt*, und sein Autor zeigt uns, wie vorhersehbar unvernünftig und damit auch wenig eigennützig wir uns allzu oft entscheiden.
„Es ist kein Geheimnis, dass wir uns wohlfühlen, wenn wir etwas umsonst bekommen.“ Der Nulltarif sei eben nicht „irgendein Preis“, sondern „stark emotional besetzt – ein Quell irrationaler Begeisterung“, lässt uns der Autor wissen. Sodann hält er uns den Spiegel vor und erklärt, wie das funktioniert: „Würden Sie etwas kaufen, was von 50 Cent auf 20 Cent reduziert ist. Vielleicht. Würden sie es kaufen, wenn es von 50 Cent auf zwei herabgesetzt ist? Vielleicht. Würden Sie es grabschen, wenn es statt für 50 Cent umsonst zu haben ist? Wetten, dass…“
Damit nicht genug. Ariely zeigt in Experimenten, wie miserabel wir rechnen können und wie häufig sich Gratis-Gaben als Danaergeschenke erweisen: Wenn wir im Supermarkt drei Buechsen Tomatenmark kaufen, obschon wir nur eine bräuchten, weil es die dritte „umsonst“ gibt; wenn wir am Sonntag ins Museum gehen, weil es werktags Eintritt kostet, und uns ärgern, dass so viele andere uns die Sicht auf die Exponate versperren; wenn wir für ein Gratiseis eine halbe Stunde Schlange stehen, ohne darüber nachzudenken, wieviel sinnvoller wir diese Zeit hätten verwenden können.
Ähnlich, so lässt sich argumentieren, klauen uns Gratisblätter unsere kostbare Zeit: Geboten wird notgedrungen Billig-Journalismus. Ökonomisch betrachtet, ist das redaktionelle Angebot Werbeumfeld. Man weiss nie genau, was von diesem „Journalismus“ letztlich (Schleich-)Werbung oder PR ist…
Die Magie des Nulltarifs deutet Ariely als Folge einer tiefsitzenden Verlust-Angst. Wenn etwas Geld kostet, befürchten wir, wir könnten etwas einbüssen, statt uns durch den Handel besser zu stellen. Dass wir gerade dann übers Ohr gehauen werden, wenn wir scheinbar etwas „gratis“ bekommen, kommt uns dagegen kaum in den Sinn.
Wie lange es wohl noch dauert, bis jene Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, die ihre Produkte weiterhin trotz – oftmals hauseigener – Gratis-Konkurrenz verkaufen wollen, über solche Zusammenhänge aufklären? Wahrscheinlich ist es dafür bereits zu spät. Bezeichnend jedenfalls, wovon nicht mehr die Rede war, als bei einer internationalen Konferenz zur Zukunft des Journalismus kürzlich 150 Fachleute im Headquarter von Yahoo! im Silicon Valley zusammenströmten: von Micro-Payments, also Kleinstzahlungen, mit denen sich mit einem einzigen Mouseclick bestimmte Dienstleistungen im Internet vergüten lassen – so jedenfalls der Traum der Software-Bastler, der 15 Jahre lang auf Konferenzen hin- und herdiskutiert wurde.
„Journalism that matters“ war der hohe Anspruch der Veranstalter. Trotzdem war bei den Vordenkern des Online-Journalismus die Vorstellung tabu, dass redkationelle Leistungen den Endverbraucher etwas kosten könnten. Eine Teilnehmerin sagte es rundheraus: Sie sei von Kindheit an mit Gratis-Information im Internet aufgewachsen; sie könne sich „nicht mehr vorstellen, dafür etwas zu bezahlen.“
So bleibt es bei der diffusen Erwartung, dass „irgendwer“ die Rechnung schon begleichen wird. Bisher war es die werbetreibende Wirtschaft. Sie findet aber zusehends intelligentere Formen, ihre Botschaften zu kommunizieren, ohne dabei teuren Journalismus mit zu finanzieren. Dies dank der neuen technologischen Möglichkeiten, im Internet Werbung treffsicher und zielgruppengenau zu plazieren; aber auch, weil unterbesetzte Redaktionen die Schleusen für PR-Meldungen allzu weit geöffnet haben. Zudem bricht das Geschäft mit den Kleinanzeigen weg – jetzt erst recht, wo Craigslist da ist und absehbar in Europa seinen sensationellen Erfolg in den USA mit Online-Kleinanzeigen duplizieren wird – für Privatkunden „natürlich“ gratis.
Bleibt die irrationale Hoffnung auf Mäzene oder auf den Staat, dessen Bemühungen, Marktversagen zu reparieren, nur allzu oft in Staatsversagen enden. Oder auf die späte Einsicht, dass „Zero Cost“ für Nachrichten uns alle teurer zu stehen kommen könnte, als uns lieb sein kann. Journalistische Unabhängigkeit und journalistische Qualität sind auf Dauer nicht gratis zu haben – vermutlich auch nicht im Internet, wenn sie nicht mehr von den „alten“ Medien und ihren Kunden quersubventioniert werden.
* Dan Ariely, Predictably irrational: The Hidden Forces That Shape Our Decisions, New York: Harper Collins, 2008
Schlagwörter:Geschäftsmodelle, Gratisboom