„Die journalistische Leistung wird nicht sterben“

29. Dezember 2014 • Digitales, Redaktionsmanagement • von

Mit Mary Shelleys „Frankenstein“ wurde 1910 einer der ersten Zombie-Filme der Welt gedreht, in der Literatur treiben die Untoten schon deutlich länger ihr gruseliges Unwesen. In den vergangenen Jahren hat sich eine neue Zombie-Spielart zu den Filmen und Büchern gesellt: Die Zombie-Zeitung, gezüchtet durch die Zeitungskrise.

Ein bekanntes Beispiel ist die Westfälische Rundschau aus Dortmund, der Anfang 2013 das Leben (sprich die Redaktion) genommen wurde und die trotzdem als Zombie-Zeitung weiter existiert – bestückt mit den Inhalten der konkurrierenden Ruhr-Nachrichten. Die Westfälische Rundschau ist jedoch kein Einzelfall. Seit November 2014 ist auch die Münstersche Zeitung eine Zeitung ohne eigene Redaktion und etwa die Hälfte der Redakteure wurde entlassen. Man müsse „gravierende Sanierungsschritte“ einleiten, um die Zeitung zu retten, so ein Sprecher der Unternehmensgruppe Aschendorff , die die Münstersche Zeitung wenige Wochen zuvor vom Medienhaus Lensing-Wolff übernommen hatten. Und auch bei einem großen Verlag wie Gruner + Jahr werden reihenweise Redakteure „betriebsbedingt“ entlassen.

Schuld an der Krise des Printmarkts sind unter anderem die sinkenden Erlöse aus dem Anzeigengeschäft, die sinkenden Verkaufszahlen und die fehlenden Einnahmen aus den Internetaktivitäten. Diese Finanzierungskrise versuchen viele Verlage vor allem durch Kosteneinsparungen im Personalbereich zu bewältigen – bis hin zur kompletten Abschaffung einer Redaktion. Dass das langfristig für eine Zeitung wohl eher keine besonders rentable Lösung ist, zeigt der Rückgang der Druckauflage und der Abonnenten-Zahlen der Westfälischen Rundschau in Dortmund zwischen 2012 und 2014 um rund ein Drittel. Diese Zahlen basieren auf den Angaben der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW). Die Verlage müssen in der Krise also neue Strategien finden, um den Herausforderungen des Marktes gewachsen zu sein. „Früher machten Anzeigen rund 70 Prozent der Finanzierung aus und das Abonnement nur 30 Prozent, heute ist es mittlerweile fast schon umgekehrt und das ändert für die Medienhäuser sehr viel“, sagt Professor Günther Rager vom Institut für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund im Gespräch mit dem EJO. Diese Umkehrung der Zusammensetzung der Einnahmen der Verlage sei jedoch nicht bei gleichbleibendem, sondern bei deutlich geringerem Gesamt-Budget geschehen. Zwischen 2010 und 2013 sanken die Werbeeinahmen deutscher Zeitungen laut Angaben des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) von 3,6 auf 2,9 Milliarden Euro – ein Minus von 19,5 Prozent innerhalb von vier Jahren. Und würde man den Zeitraum der vergangenen zehn Jahre betrachten, so wäre der Einbruch der Erlöse aus dem Anzeigenverkauf sogar noch deutlich gravierender.

Und trotz der Umkehrung der traditionellen Finanzierungsverhältnisse wurden in diesem Maße keine neuen Leser dazugewonnen, sondern eher wie beispielsweise bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Preis der Zeitung erhöht, um die Finanzierungslücke zumindest klein zu halten. Das sei jedoch laut Rager auch kein Allerheilmittel: „Das Publikum hat noch nie den ganzen Journalismus finanziert und die mangelnde Bereitschaft dazu ist nichts Neues. Die gab es schon 1920.“ Die Gesellschaft als Ganzes sei nicht bereit, für Qualitätsjournalismus so viel Geld auszugeben, wie er ohne Querfinanzierungen jedweder Art kosten würde. Und die Mehrheit könne sich ein solches Zeitungsabonnement vermutlich auch gar nicht leisten.

Tatsächlich sank die Zahl der Abonnenten in den vergangenen Jahren genauso wie die der Werbeeinahmen. Die WAZ in Essen hat in den vergangenen zwei Jahren nach Angaben des IVW ein Achtel seiner Abonnenten verloren und auch die großen, überregionalen Zeitungen schafften es nicht, ihre Abonnentenzahl zu steigern. Ganz im Gegenteil. Bei der Süddeutschen Zeitung sank die Zahl der Abos von 273.716 auf 251.774 und bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung um rund 15.000. Trotzdem dürfe man Rager zufolge die fallenden Abonnement-Zahlen nicht sofort mit einer so stark sinkenden Leserschaft gleichsetzen. „Gerade die jüngeren Leser sind einfach nur eher ins Internet abgewandert“, schätzt er.

Bei sinkendem Einkommen durch die Anzeigenverkäufe und sinkenden Abonnentenzahlen müssen sich die Verlage überlegen, aus welchen Quellen sie die Zeitung in Zukunft finanzieren können. „Heutzutage muss man als Verlag ein so genanntes Medienhaus sein, das viele Zusatzprodukte anbietet. Eine Flotte von Beibooten zusätzlich zum großen Tanker, wenn man so möchte“, sagt Rager. Seiner Meinung nach sollte gerade das Online-Angebot einer Zeitung dem Leser mehr bieten als nur Informationen: Auf ihm sollte sich im besten Fall alles finden, was dem Leser hilft, seinen Alltag zu strukturieren. Der Servicecharakter sei im Internet noch einmal sehr viel wichtiger als in der gedruckten Zeitung. „Einige Verlage haben ihre Hausaufgaben in dieser Hinsicht gemacht, andere nicht“, schlussfolgert Rager und nennt die Süddeutsche Zeitung als Beispiel.

Finanziell in Form von guten Anzeigenerlösen oder Einnahmen aus einer Pay Wall lohnt sich für viele Zeitungen ein besonders aufwendiger Internetauftritt bisher noch nicht. Das Minus aus dem Anzeigen- und Abonnementbereich der Zeitung kann im Augenblick wahrscheinlich nur selten durch die Online-Erlöse kompensiert werden. „Die Verlage leiden unter der Kostenlos-Kultur im Internet“, analysiert Rager, obwohl eine Allensbacher-Umfrage aus dem Jahr 2013 ergeben hat, dass die Surfer mit mobilen Endgeräten durchaus dazu bereit wären, im Internet für journalistische Inhalte zu zahlen. Das zeigen auch die Entwicklungen bei BILD plus und bei der Welt: Demnach kam BILD plus im November 2014 auf 250.132 zahlende Abonnenten. Die Welt erreichte insgesamt 56.439 digitale Abonnenten. „Die Zahlen ermutigen uns, den eingeschlagenen Weg für bezahlte journalistische Angebote im Internet weiterzugehen. Sie zeigen deutlich, dass Leser grundsätzlich bereit sind, für Inhalte im Netz zu zahlen – auch in einem Umfeld, in dem andere Angebote kostenfrei sind. Bezahlangebote sind aber nach wie vor ein Experiment, wir stehen am Anfang der Entwicklung und werden weiter Vieles ausprobieren”, so Donata Hopfen, Verlagsgeschäftsführerin der “Bild”-Gruppe, gegenüber DWDL. Öffentliche Vergleichswerte zur besseren Einschätzung der Situation gibt es in Deutschland nicht, da bisher nur die beiden Angebote des Axel-Springer-Konzerns ihre Nutzungszahlen an den IVW melden.

Im Gegensatz zu Donata Hopfen erklärte Stephan Scherzer, Chef des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger, im Horizont-Interview, dass die kostenlosen Internet-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen ein großes Problem im Bereich des Paid-Content seien. „Es ist schwierig, eine harte Paid-Content-Strategie durchzusetzen, wenn Marken wie Heute Journal, Tagesschau oder Sportschau in einem solchen Umfang presseähnliche Angebote im Internet aufbauen und direkt mit den unternehmerischen Verlagsangeboten konkurrieren“, so Scherzer. Außerdem bräuchte man seiner Ansicht nach noch ein einfaches, plattformenübergreifendes Bezahlsystem, um es den Nutzern so angenehm und bequem wie möglich zu machen, für die Inhalte zu bezahlen. Daran mangele es bisher jedoch noch.

Weitere Gründe für die vergleichsweise geringen Einnahmen aus dem Online-Bereich sind unter anderem die niedrigen Tausender-Kontaktpreise im Online-Sektor (Mit dem TKP wird dem Werbetreibenden offenbart, welche Kosten für ihn durch die Werbemaßnahme entstehen, wenn er 1 000 Personen einer gewissen Zielgruppe erreichen möchte), der unbegrenzte Platz für Anzeigen im Internet und die große Konkurrenz an nicht-journalistischen Angeboten, auf denen ebenfalls erfolgreich Werbung geschaltet werden kann. Auf Seiten von Wohnungs- oder Autobörsen beispielsweise wird einerseits viel Werbung geschaltet, mit der früher einmal die Verlage Geld verdient haben, und andererseits konnten die Verlage früher noch mit den Inseraten an sich Geld verdienen. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass einige Verlage den Trend erkannt und Portale wie Paarship (Zeit-Verlag), Stepstone und Immonet (beides Axel Springer) schon vor Jahren aufgekauft haben. Und nun erleben diese Verlage, dass sie kein vergleichsweise teures journalistisches Produkt mehr anbieten müssen, um Anzeigen verkaufen zu können. Unmengen Geld lassen sich aber auch damit nicht verdienen. Die Erlöse aus der Online-Werbung sind zwar zwischen 2010 und 2013 angestiegen, jedoch nicht besonders rasant: von 861 Millionen auf 1,1 Milliarden Euro. In diesem Bereich machen große Unternehmen wie Google und Facebook den Verlagen das Leben schwer: Facebook machte im zweiten Quartal 2014 weltweit rund 2,4 Milliarden Dollar Werbeumsatz und Google setzte im vergangenen Jahr weltweit schätzungsweise alleine über 50 Milliarden Dollar um.

Bei allen Diskussionen um die Print-Krise taucht auch immer wieder das Argument auf, dass mehrere Zeitungen in einer Region die Qualität und Vielfalt sichern, weshalb das Zeitungssterben zu bedauern sei. Rager, der mit seinem Media Consulting Team regelmäßig Qualitätsanalysen durchführt, kann dieses Urteil pauschal nicht bestätigen, da in der wissenschaftlichen Literatur in verschiedenen Fällen bereits sowohl ein Qualitätsrückgang als auch eine Qualitätszunahme bei der Transformation einer Wettbewerbs- zu einer Monopolzeitung nachgewiesen worden sei. „Wir müssen in der Qualitätsdiskussion endlich davon wegkommen, dass mehr auch gleich immer besser bedeutet“, so Rager. Als hypothetisches Beispiel nennt er eine Stadt, in der es eine gute und zwei schlechte Zeitungen gibt und dann fragt er, ob es wirklich ein Qualitätsverlust wäre, wenn die zwei schlechten Zeitungen schließen müssten. „Es ist nicht mehr so wie früher, dass man unbedingt mehrere Zeitungen braucht, um sich zu informieren und um auch unterdrückte Meinungen publik zu machen. Dafür gibt es mittlerweile doch das Internet.“ Die Welt habe sich durch das Internet gewandelt und das dürfe man in der Diskussion um journalistische Qualität und publizistische Vielfalt nicht vergessen. Manche jahrzehntealte Maßstäbe würden heute nicht mehr so gelten, wie sie früher gegolten hätten. Eine Überlegung stimmt Professor Rager jedoch zuversichtlich: „Die Zeitung muss nicht sterben, aber es ist möglich, dass es passiert. Was aber hoffentlich nicht sterben wird, ist die journalistische Leistung – egal auf welchem Weg und in welcher Art sie verbreitet wird.“ Das Verbreitungsmedium hat letztlich ja nichts mit der Qualität zu tun.

Bildquelle: Bahman/flickr.com

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