Marokko: Die Corona-Krise und die Medien

30. März 2020 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik • von

Die Corona-Pandemie macht deutlich, wie schlecht es um die marokkanische Presse bestellt ist.

Die Pressefreiheit in Marokko nimmt seit etwa einem Jahrzehnt stetig ab; 2019 belegte Marokko im weltweiten Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen Platz 135 von 180 bewerteten Ländern. Viele wichtige Medien, einschließlich des marokkanischen Rundfunks, befinden sich in Staatsbesitz, und der Staat hat sich auch daran gemacht, die ehemals unabhängige Qualitätspresse systematisch anzugreifen. Die Verhaftung des unabhängigen und kritischen Journalisten Omar Radi, der nach einem viermonatigen Gerichtsverfahren wegen Kritik an einer Gerichtsentscheidung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, ist nur ein Beispiel.

Restriktive Pressegesetze haben zu einer weit verbreiteten Selbstzensur geführt, die wiederum das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medien untergraben hat. Viele Marokkaner konsumieren ihre Nachrichten inzwischen in den sozialen Medien und werden leicht Opfer von Fake News.

Die Berichterstattung über die Corona-Krise hat die gravierenden Mängel der marokkanischen Presse nun noch deutlicher gemacht:

1. Fake News in den sozialen Medien

Die marokkanische Berichterstattung über das Coronavirus wird von Fake News dominiert. Die große Reichweite von Facebook und YouTube wird missbraucht, um falsche Informationen zu verbreiten. Um dies zu verhindern, wurden bisher lediglich Maßnahmen gegen Einzelpersonen ergriffen. Bislang wurden elf Menschen, denen die Verbreitung von Fake News vorgeworfen wird, verhaftet und angeklagt. In Marokko nutzen etwa 17 Millionen Menschen soziale Netzwerke und verbringen täglich durchschnittlich mehr als zweieinhalb Stunden auf den Plattformen. 80 Prozent der Leser digitaler Medien greifen über verschiedene soziale Netzwerke, allen voran Facebook, auf Nachrichten zu. Die traditionellen Medien sind nicht in der Lage, dem hohen Informationsbedarf der marokkanischen Bürger gerecht zu werden und tragen so durchaus eine Mitschuld daran, dass sich Fake News so schnell verbreiten.

2. Qualitätsmedien haben nur geringe Ressourcen und Reichweite

In einer digitalen Medienlandschaft voller Fake News und offizieller Statements versuchen einige Qualitätsmedien, die Bevölkerung weiterhin angemessen zu informieren. Medien wie Yabiladi, Le Desk, Telquel oder Medias24 wollen ein Gegengewicht zur medialen Verbreitung von Sensationalismus sein. Die Ressourcen und Reichweiten dieser Qualitätsmedien sind allerdings begrenzt.

Einige unabhängige Nachrichtenjournalisten haben sich entschieden, direkt in den sozialen Medien über COVID-19 aufzuklären und nutzen ihre Bekanntheit, um die Verbreitung von Fake News zu verhindern.

3. Ungehörte Regulierungsbehörden

Die Aufsichtsbehörde im audiovisuellen Bereich (Haute Autorité de la Communication Audiovisuelle – HACA) und der Presserat (Le Conseil National de la Presse – CNP) haben ebenfalls versucht, den Medien ihre redaktionelle und ethische Verantwortung während der Corona-Krise bewusst zu machen. Ihre wichtigen Botschaften fanden in dieser Krise bislang aber nur wenig Gehör.

4. Printmedien haben keinen Plan B

Wie in anderen Ländern auch hat die Pandemie die marokkanischen Medien unvorbereitet getroffen. Verlage hatten keinen Plan B, um ihre Zeitungen in einer Zeit, in der die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung stark eingeschränkt ist, über alternative Wege zu vertreiben. Nur sehr wenige Zeitungen haben digitale Versionen. Gerade einmal ein Dutzend Zeitungen stellen ihren Lesern PDF-Versionen über eine App zur Verfügung.

Hinzu kommt: Die meisten Medienunternehmen wissen nicht, wie sie ihre Redaktionen neu organisieren können, um das Ansteckungsrisiko für ihre Mitarbeiter zu senken. Trotz klarer Anweisungen der Regierung, wenn möglich zu Hause zu bleiben, fahren viele Journalisten weiterhin in die Redaktion, da sie nicht über die technischen Möglichkeiten verfügen, im Homeoffice zu arbeiten.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die schwache Position und die schlechte Qualität der marokkanischen Medien sowohl die Dominanz offizieller Kommunikationskanäle als auch die Verbreitung von Fake News begünstigt haben. Kürzlich hat die Regierung ein Gesetz zur „Regulierung sozialer Netzwerke, Live-Sendern und ähnlicher Netzwerke“ verabschiedet – nun werden weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Marokko befürchtet. Bei der Vorstellung des Gesetzes verwies die Regierung auf Fake News rund um Covid-19; das Gesetz wurde aber schon viel früher geplant.

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