Medien in Krisenzeiten: Theorie und Praxis vor Ort in Breslau

23. Mai 2022 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Internationales, Redaktion & Ökonomie • von

Am 16. und 17. Mai 2022 fand die Konferenz „Medien und Demokratie“ am Institut für Journalismus und soziale Kommunikation an der Universität Breslau statt. Das Institut ist eine Partnereinrichtung des EJO-Netzwerks und beteiligt sich regelmäßig an maßgeblicher Forschung zu Medien und Journalismus in Osteuropa. EJO-Redakteure aus Deutschland, der Ukraine und Polen haben ihre Forschungsergebnisse dort geteilt.

Das Institut für Journalismus und soziale Kommunikation (rotes Gebäude) am Ufer der Oder in Breslau.

EJO-Redakteur Roman Winkelhahn hat auf dem Panel „European Media and Journalism in the Face of Two Crises” die deutsche Perspektive vertreten. Er erklärte, wie wichtig die ökonomische und infrastrukturelle Stärkung lokaler Nachrichtenangebote sowie die Innovation auf dem lokalen Medienmarkt in Zeiten von Covid-19 und Ukraine-Krieg sei. „Journalisten müssen die alltäglichen Bedürfnisse und Fragen der Menschen – auch derer in den ländlichen Regionen – aufgreifen und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen“, erklärte Winkelhahn.

Die Entfremdung von den Medien sei einer der Hauptgründe vor schwindendes Medienvertrauen. Hingegen sei es naheliegend, dass Menschen, die sich mit den Medien identifizieren können und sich von ihnen verstanden fühlen, ein stärkeres Vertrauen in diese Medien und in Journalisten haben. Vor allem für Lokalzeitungen, die ökonomisch besonders stark unter der Covid-19-Pandemie gelitten haben, könne dieses Verständnis von lesernahem und lokalem Journalismus ein Weg aus der Krise sein – und eine der wenigen Möglichkeiten, Abonnementzahlen noch (oder wieder) zu steigern.

Beispiel: Gazeta Wyborcza

Am Salzmarkt (Plac Solny) in der Breslauer Innenstadt befindet sich die Lokalredaktion der Gazeta Wybrocza, Polens größter und wichtigster Qualitätszeitung. Michał Kuś, Leiter des polnischen EJO-Teams und und Organisator der Konferenz, erklärt, die Zeitung habe es geschafft, die Zahl der Digital-Abonnements in kurzer Zeit auf ein Niveau von rund 300.000 zu steigern, ausgehend von 133.000 im Dezember 2017 und 170.000 im Jahr darauf. Allerdings gebe es auf dem polnischen Markt – genauso wie auf dem deutschen Medienmarkt, wie unter anderem Studien des BDZV und der Unternehmensberatung PwC zeigen – noch immer Probleme bei der Monetarisierung von Online-Angeboten: Die Zahlungsbereitschaft der Leserinnen und Leser für all das, was nicht auf Papier gedruckt ist, sei zu gering. Zwar ist laut der World Association of News Publishers der Anteil der Nutzer von Gazeta Wyborcza, die wiederholt für ein Angebot zahlen, von 11 Prozent im Dezember 2018 auf 78 Prozent im Juni 2020 angestiegen, allerdings, sagt Michał Kuś, könne die Zeitung für Digital-Angebote noch nicht dieselben Preise verlangen wie für Print-Produkte.

Johann Roppen, Medienwissenschaftler und Rektor der Hochschule Volda in Norwegen, erklärt wiederum, dass man in dem skandinavischen Land keine vergleichbaren Probleme mit der Zahlungsbereitschaft der Leserschaft habe. Auch aus dem Digital News Report 2021 geht hervor: Während in Norwegen 45 Prozent der Bevölkerung für Online-News zahlen, sind es in Polen nur 18 Prozent und in Deutschland gar nur 9 Prozent. Hier zeigt sich, wie wichtig der internationale Austausch auch mit Blick auf Lösungsstrategien für die aktuellen Herausforderungen im Medienmarkt ist.

Berichte aus der Ukraine

Die ukrainischen EJO-Redakteurinnen Dariya Orlova und Halyna Budivska von der Mohyla School of Journalism in Kiew haben sich digital zum Panel dazugeschaltet. Sie erklärten, wie sich der ukrainische Medienmarkt nun im Vergleich zur Zeit vor dem russischen Angriff auf das Land verändert hat: In vielen Regionen der Ukraine herrschten oligarchisch-monopolitische Strukturen im Medienmarkt vor – Relikte der Zentralisierung der Medien im Sozialismus, die das Mediensystem vor allem jetzt während des Krieges anfälliger für Einflussnahme von außen macht und der angestrebten Medienpluralität entgegensteht.

Das gastgebende Institut für Journalismus und soziale Kommunikation ist am Ufer der Oder inmitten der polnischen Stadt Breslau gelegen. Seit dem Beginn des Ukrainekriegs ist die Zahl der Einwohner der Großstadt deutlich gestiegen: Zigtausende Ukrainer sind seit Februar nach Breslau geflüchtet. Der Zusammenhalt vor Ort ist groß: Vor dem ukrainischen Generalkonsulat stehen Familien, vor allem Mütter mit kleinen Kindern, Schlange. Überall finden sich Hilfsangebote und Menschen hissen die ukrainische Flagge. In den Eurocity-Zügen werden Lunchpakete für Geflüchtete verteilt.

Beitragsbild: EJO

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