User Engagement, also die Interaktion mit den Usern, gehört schon seit ein paar Jahren zum Alltagsgeschäft der Massenmedien. Doch nach wie vor ist nicht ganz klar, wie sich der Begriff definieren lässt und was unterschiedliche Medienunternehmen darunter verstehen. Geht es um eine aktive Beteiligung der Leserinnen und Leser oder handelt es sich um eine bloße Fortsetzung des Marketings mit anderen Mitteln? Und was sind die Folgen für das Selbstverständnis von Journalisten, wenn sie nicht mehr nur Informationen recherchieren und anbieten, sondern auch noch direkt in Kontakt mit ihrem Publikum treten?
Zeitungen und Medienunternehmen sind grundsätzlich an einer stärkeren Einbindung ihrer Nutzer interessiert, allerdings mit unterschiedlichen Vorstellungen und Zielsetzungen. Für Anita Zielina (Chefredakteurin neue Produkte, Neue Zürcher Zeitung) bedeutet Engagement dem „Nutzer zu ermöglichen von einer rein passiven Rolle in eine etwas aktivere Rolle einzutreten – mit der Betonung auf ‘ermöglichen’.“ Zwingen könne und wolle man niemanden. Daniel Wüllner (Teamleiter Social Media und Leserdialog, SZ.de) versteht unter Engagement „klassisch eigentlich Leserblattbindung“, wenn auch mit vielfältigeren Möglichkeiten als zu Zeiten der Leserbrief-Ära. Für Chris Burger (Leiter Community Management, Der Standard) ist User Engagement eine „Aktivierung der User“, damit diese zu Wort kommen. Das deutsche Online-Portal Krautreporter hat sich User-Beteiligung überhaupt zur Kernaufgabe gemacht. Es sei von vornherein als „Dialogmedium“ konzipiert, sagt Herausgeber Sebastian Esser.
Die größte Herausforderung sehen viele Medienunternehmen darin, dass nur ein Bruchteil der User tatsächlich Interesse an einer aktiven Mitsprache hat. Vielfach wird die Ein-Prozent-Regel zitiert, wonach lediglich ein Prozent der Online-Community eine aktive Rolle spielen möchte während die Mehrheit der User einfach an Information interessiert ist.
User Engagement dient natürlich auch wirtschaftlichen Überlegungen. Je mehr Aktivität auf einer Webseite, desto mehr lässt sich an Online-Werbung lukrieren. Bei Bezahlschranken macht diese Strategie zwar wenig Sinn. Doch auch in diesem Bereich bietet User Engagement ökonomische Anreize, wenn es etwa dazu dient, User als zahlende Kunden zu gewinnen.
Mehr Mitsprache der User bedeutet gleichzeitig mehr Aufwand für Medienunternehmen. Inhalte müssen moderiert, kontrolliert und bei redaktionellen Inhalten auch verifiziert werden. Das sei stelle sich die Frage nach der Kosten-Nutzen-Rechnung, sagt Stefan Kaltenbrunner (Chefredakteur, Kurier Online). „Das ist ein wahnsinniger Aufwand, der eigentlich davon ablenkt, was Medien als Aufgaben haben“, sagt er.
Letztlich stellt User Engagement auch das Selbstbild von Journalisten infrage. Zwar sind viele von ihnen ohnehin auf Twitter und anderen Kanälen aktiv. Doch mit Usern permanent in Dialog zu sein, sie gar aktiv und von Anfang an in die Recherche einzubinden, das passt nur wenigen ins Selbstverständnis. Medien mit aktivem Community Management rekrutieren deshalb eigens Engagement-Redakteure.
User Engagement bietet also mehr Möglichkeiten der Interaktion und zumindest potentiell mehr Mitsprache hinsichtlich dessen, was Medien ihren Nutzern bieten. Einige Medienkritiker und -aktivisten sehen darin sogar die Chance für mehr Bürgerbeteiligung und besseren öffentlichen Diskurs. Nach derzeitigem Stand befindet sich diese Bewegung allerdings erst in den Kinderschuhen.
Diese Kolumne basiert auf Erkenntnissen der Studie „Practicing ‚Engagement’: Cross-National Perspectives“, erstellt von Regina Lawrence, Damian Radcliffe und Thomas Schmidt (University of Oregon).
Erstveröffentlichung: derStandard.at vom 17.10.2016
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Schlagwörter:Alltagsgeschäft der Massenmedien, Community Management, Damian Radcliffe, Interaktion, Regina Lawrence, Thomas Schmidt, User Engagement