Vor zehn Jahren, am 15. Januar 2013, schloss die Westfälische Rundschau (WR) in Dortmund ihre Pforten. 120 Beschäftigte und 180 freie Mitarbeiter*innen wurden entlassen. Seitdem gibt es in Dortmund und Umgebung nur noch eine einzige lokale Zeitungsredaktion: die der Ruhr Nachrichten aus dem Verlagshaus Lensing-Wolff. Eine Mediengeschichte aus dem Ruhrgebiet, die so oder ähnlich jedoch an vielen Orten in Deutschland zu beobachten ist.
Besonders für Aufregung sorgte damals, dass die WR, deren Mantelteil bereits seit 2009 durch die WAZ (ebenfalls Teil der Mediengruppe Funke) gestellt wurde, weiter erschien, allerdings nun auch noch ohne eigenen Lokalteil: dieser wurde von den Ruhr Nachrichten gestellt, sodass praktisch ein Lokalteil mit zwei verschiedenen Deckblättern erschien. Einige Protestierende nannten dies damals eine „Zombie-Zeitung“. Nicht nur in Dortmund gab es diese Entwicklung: im Zuge des „Zeitungssterbens“ hat sich die Vielfalt der lokalen Tageszeitungen in vielen Gegenden Deutschlands deutlich reduziert – in Bezug auf die Anzahl, die Auflagen, die Werbeeinahmen und die wachsende Konzentration.. Auch in Münster wurde von einer Zombiezeitung gesprochen, nachdem die Münstersche Zeitung vom Verlag Aschendorff aufgekauft wurde und nun mit dem Lokalteil der Westfälischen Nachrichten erscheint.
Um zu diskutieren, wie sich die Situation der Lokalmedien seit dem Ende der Rundschau verändert hat, lud der Presseclub Ruhr (DJV NRW) am 14. Juni zu einer Debatte im Studio B der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund ein. Neben Moderator Peter Bandermann vom DJV und Jutta Reiter, Geschäftsführerin der DGB NRW-Region Dortmund-Hellweg, saßen auch Frank Lobigs, Professor für Wirtschaftsjournalismus an der TU Dortmund, sowie der Gründer des Münsteraner Online-Nachrichtenmagazins RUMS, Marc-Stefan Andres, und der Chefredakteur des Dortmunder Lokalblogs Nordstadtblogger, Alexander Völkel, auf dem Podium. Besonders im Vordergrund standen die Entwicklungen im Lokaljournalismus und deren Auswirkungen auf die Qualität der verfügbaren Medieninhalte, die Meinungsvielfalt und die Demokratie. Auch die Finanzierungsmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen für Lokaljournalist*innen wurden diskutiert.
Vielfalt und Wettbewerb
Schon 2013 befürchteten viele in Dortmund einen Rückgang der journalistischen Qualität durch fehlenden Wettbewerb. Durchaus zu Recht, so Jutta Reiter: „Ich habe den Eindruck, dass sich die Vielfalt und die Tiefe der Berichterstattung deutlich verringert hat. “. Für Dortmund bedeute dies, dass sich das mediale Bild der Stadt auf „Kriminalität und eine Wirtschaft, die nur aus Gastronomie besteht“ beschränke. „Wie viele Missstände in Dortmund sind nicht aufgedeckt worden, weil der Wettbewerb fehlt?“, fragt Moderator Bandermann – eine ganze Menge, mutmaßt Reiter, und weist darauf hin, dass die Weitergabe von Informationen an die Medien auch auf einem Vertrauensverhältnis basiert, das sich verändert habe, ebenso wie das Verhältnis zwischen Journalist*innen und offiziellen Stellen. Es gebe nun mehr Newsletter statt Pressekonferenzen, und zu diesen kämen dann auch weniger Journalist*innen. Stattdessen herrsche ihrer Wahrnehmung nach eine gewisse Erwartungshaltung von Seiten der Medien, dass Informationen schriftlich oder am Telefon weitergegeben würden.
Frank Lobigs zeigt sich dagegen skeptisch bezüglich der Frage, ob ein Weiterexistieren der WR tatsächlich bedeutet hätte, dass sich heute eine pluralistischere Medienlandschaft fände. „Was wäre denn, wenn wir diese Redaktion jetzt noch hätten? Wir hätten sie nicht mehr. Zumindest nicht in dieser Größenordnung.“ Schließlich habe in den letzten 20 Jahren auch die Ruhr Nachrichten unter der allgemeinen Krise der Printmedien gelitten und die Hälfte ihrer Abonennt:innen verloren.Die Monopolisierung sei trotz aller berechtigten Kritik ein Schritt zum Erhalt der Institution Zeitung, da die Abonnementzahlen ebenso wie Werbeeinnahmen weiter sinken und zudem die Generation derer, die bereit sind, für Medien Geld auszugeben, mit der Zeit aussterbe. Er zitiert außerdem die Ökonomin Julia Cagé, die die Entwicklung der französischen Zeitungslandschaft von 1944 bis 2014 beforscht hat. Entgegen der verbreiteten Annahme, dass mehr Wettbewerb die Qualität positiv beeinflusse, bedeutet die Existenz von mehr Zeitungen demnach nicht unbedingt, dass die Zahl der Journalist*innen und die Qualität der angebotenen Medienprodukte sich steigere. Im Gegenteil zeigen ihre Daten, dass es einen „switching effect“ gibt, sodass sich die Journalist*innen nur auf mehr verschiedene Redaktionen verteilen und die Qualität dadurch eher abnähme – und sich in der Folge sogar auch die politische Partizipation der Bürger*innen verringere.
Alternative Angebote
Neben den Tageszeitungen entstanden im Lokalbereich in den letzten zehn Jahren alternative Angebote, in Dortmund zum Beispiel die Nordstadtblogger. „Unser Ziel war nicht, die WR zu ersetzen, aber Themen aufzugreifen, die sonst nicht bedacht werden“ erklärt Chefredakteur Alexander Völkel. Das Projekt, das zuerst nur aus freigestellten ehemaligen Mitarbeiter*innen der WR bestand, ist inzwischen deutlich gewachsen und sieht sich nun als ein Medium für ganz Dortmund, nicht mehr nur für die Nordstadt. Neben intensiver Berichterstattung über verschiedenste Themen, die die Stadt bewegen, bietet der Blog inzwischen auch Praktikumsplätze an und unterhält Kooperationen mit verschiedenen Hochschulen.
Eine Frage, die bleibt, ist allerdings die der Finanzierung. Bei Nordstadtblogger, auf deren Inhalte Leser*innen online kostenlos zugreifen können, arbeiten viele auf freiwilliger Basis und nutzen teils private Geräte. Von den einen wird dies als Selbstausbeutung gesehen, von den anderen als Engagement für die gute Sache. Die freiwillige Arbeit bedeutet aber auch, dass man sich die Mitarbeit zunächst einmal leisten können muss. Dies führt laut Völkel auch dazu, dass gewisse Gruppen unter den Journalist*innen weniger abgebildet sind.
Finanzierungsmodelle
Um die Inhalte weiter frei zugänglich anzubieten und dennoch etwas einzunehmen, hat Nordstadtblogger inzwischen einige Funktionen der Website hinter eine Bezahlschranke gesetzt, so z.B. die Funktion, Artikel auszudrucken und das Archiv zu nutzen – beides wird hauptsächlich von Firmenkunden oder anderen Medien genutzt, die laut Völkel dann die Gebühr bezahlen.
Das Münsteraner Online-Magazin RUMS hingegen hat ein Abo-System entwickelt: Für 10 Euro im Monat bekommen Abonnent*innen einen wöchentlichen Newsletter mit ausführlichen Berichten, Empfehlungen, Rezensionen und Kolumnen. Wer RUMS darüber hinaus unterstützen möchte, kann freiwillig mehr zahlen, z.B. 25 anstatt 10 Euro. Wenn 10 Euro zu viel sind, bietet RUMS auch ein vergünstigtes Abo für nur 5 Euro ant werdan – hier gilt das Vertrauensprinzip, einen Nachweis über die finanzielle Situation verlangt RUMS nicht.
Die Frage der Gemeinnützigkeit als eine mögliche dritte Säule des deutschen Mediensystems wird seit Jahren diskutiert. Dies brächte nicht nur steuerliche Vorteile mit sich, sondern auch eine zusätzliche Möglichkeit der staatsfernen, unabhängigen Finanzierung durch Spenden oder Stiftungen, v.a. von Non-Profit-Journalismus. Zwar gibt es bereits einige Medien, die den Status der Gemeinnützigkeit haben, zum Beispiel Correctiv. Allerdings zählt Journalismus bisher in Deutschland nicht zu den gemeinnützigen Zwecken, die in der Abgabenordnung, Paragraph 52, gelistet sind. Die existierenden Angebote erhalten den Status daher durch eine Spezialisierung auf zusätzliche Aktivitäten, die als gemeinnützig anerkannt sind, zum Beispiel im Bereich Bildung oder Verbraucherschutz. Im Zusammenschluss Forum gemeinnütziger Journalismus setzen sich Redaktionen, Stiftungen und Gewerkschaften für den Abbau rechtlicher Hürden ein. Die Ampelkoalition verspricht im Koalitionsvertrag von 2021, mehr Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus zu schaffen.
Damit könne Deutschland zu einem Vorreiter in Europa werden, meint Stefanie Reuter, Geschäftsführerin der Rudolf-Augstein-Stiftung. Außerdem, so Reuter, „weist die Gemeinnützigkeit über den Finanzierungsaspekt von Journalismus hinaus. Sie ist wie ein Nordstern für journalistische Ideale und Relevanz“, da sie Medien zumindest weniger abhängig von Werbung oder Nutzerverhalten, z.B. Klicks und Verweildauer, machen könnte, als es bei profitorientierten Medien der Fall ist.
In ländlichen Bereichen allerdings hätten es Angebote wie RUMS oder Nordstadtblogger schwerer, da sind sich die Diskutierenden einig. Damit keine Nachrichtenwüsten ohne lokale Medien entstehen wie in Teilen der USA, behalte hier nach wie vor die klassische Tageszeitung ihre Bedeutung. Die Frage, die sich stellt: welche Rolle kann der Lokaljournalismus in Zukunft spielen? „Ich bin überzeugt, dass die Ruhr Nachrichten eines Tages nicht mehr gelesen werden, weil sie zu viel Geld für Dinge ausgeben, die die Leute schon woanders gelesen haben“, merkt Andres an. Eine Lösung könnte nach Ansicht der Expert*innen sein, sich auf tiefgehende, hyperlokale Berichterstattung zu fokussieren. Während die Rezipient*innen Nachrichten bereits aus anderen – journalistischen und sozialen – Medien kennen, wenn sie morgens tatsächlich noch eine gedruckte Zeitung aufschlagen, könnte dies ein Alleinstellungsmerkmal bieten. Ein Argument hierfür sei, dass die Wochenzeitungen in Deutschland im Vergleich zu den Tageszeitungen besser dastehen. Aus dem Publikum meldet sich der emeritierte Journalistik-Professor Horst Pöttker zu Wort: Aus seiner Sicht müssten die Nutzer*innen dafür sensibilisert werden, dass Journalismus etwas koste. Zumindest müssten die Produktionskosten refinanziert werden, wie es in anderen Bereichen ganz selbstverständlich akzeptiert werde.
Schlagwörter:Dortmund, Finanzierungsmodelle, Gemeinnützigkeit, Lokaljournalismus, Zeitung