Pressefreiheit in Europa: 3 Fragen an Christian Gerstenberger

13. Juni 2022 • Aktuelle Beiträge, Medienpolitik, Pressefreiheit • von

Das European Journalism Observatory ist Partner der Europa-Projektwochen 2022 des Vereins Europe Direct Dortmund. Bei der diesjährigen Veranstaltung liegt der Fokus auf dem Thema Pressefreiheit in Europa. Die Gäste der Gesprächsreihe wollen wir hier vorab vorstellen.

Christian Gerstenberger ist Journalist und Leiter der Lokalredaktion Dortmund bei den Ruhr Nachrichten. Im Interview berichtet er unter anderem über die Auswirkungen der gesellschaftlichen Spaltung, zum Beispiel durch die Corona-Pandemie, auf die Pressefreiheit und den Journalismus.

In der weltweiten Rangliste der Medienfreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ ist Deutschland weiter abgerutscht und liegt nun nur noch auf Platz 16 – hinter vielen anderen europäischen Ländern. Beobachten Sie diese Entwicklung auch? In welche Richtung hat sich die Situation der Pressefreiheit hier vor Ort in den vergangenen Jahren entwickelt?

Gerstenberger: Die Corona-Pandemie hat in den vergangenen zwei Jahren eine Spaltung der Gesellschaft offensichtlich gemacht und sicher auch verstärkt. Als Medienschaffende spüren wir anhand von Reaktionen etwa auf Social-Media-Postings oder auch anhand von Leserzuschriften: Die Zahl der Menschen, die etablierte Medien als Informationsquellen ablehnen, steigt – oft, weil die Information nicht dem eigenen Weltbild entspricht. Stattdessen findet die „Informationsbeschaffung“ in obskuren Echokammern im Netz statt. Die Algorithmen vieler Anbieter sind darauf ausgerichtet, Beiträge zu bevorzugen, die die eigene Meinung verstärken. Alles andere wird ausgeblendet. An solche Menschen kommen wir kaum noch heran; die Zahl der faktisch Uninformierten wächst. Diese Form der Radikalisierung hat auch Auswirkungen auf den Alltag: Insbesondere bei Demonstrationen der „Querdenker“ haben unsere Reporter immer wieder Anfeindungen und Behinderungen bei der Arbeit erlebt, was Recherchen erschwert – und mürbe macht.

Leiter der Dortmunder Lokalredaktion der Ruhr Nachrichten: Christian Gerstenberger.

Wodurch wird die Freiheit der Presse hierzulande am meisten bedroht?

Die größte Bedrohung für die Pressefreiheit ist die ablehnende Haltung gegenüber Informationen, die nicht zur eigenen Weltsicht passen, und die damit einhergehende Radikalisierung bestimmter Gruppen gegenüber Journalisten. Wer eingeschüchtert wird, kann nicht frei berichten.

Was können wir tun, um den Stellenwert der freien Berichterstattung in der Gesellschaft zu stärken?

Zur Stärkung der freien Berichterstattung braucht es ein konsequentes Vorgehen gegen jegliche Einschüchterungsversuche und ein klares Bekenntnis von Politik und gesellschaftlichen Institutionen zur Freiheit der Presse. Dazu gehört auch, Journalistinnen und Journalisten umfassend Auskunft zu geben und sie in ihrer Arbeit bestmöglich zu unterstützen.

Christian Gerstenberger wird am 14.06. bei unserer Podiumsdiskussion Pressefreiheit in Europa – und vor der eigenen Haustür? zu Gast sein.

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