Weite Wüsten und sterbende Zeitungen – Schlittert der europäische Journalismus in eine “Zombie-Apokalypse”?

27. August 2024 • Qualität & Ethik, Top • von

Bildquelle: Wikimedia Commons

In meiner Stadt gibt es Zombie-Zeitungen. Und in Ihrer wahrscheinlich auch. Eine Zombie-Zeitung – im Volksmund auch Geisterzeitung genannt – ist eine Publikation, die auf den ersten Blick wie eine unabhängige Zeitung aussieht, aber keine eigene Redaktion hat. Sie bezieht ihre Artikel entweder von einer anderen, scheinbar konkurrierenden Redaktion oder von Interessensvertreter:innen aus Politik oder Wirtschaft. Sie sind oft ein Ergebnis – oder besser gesagt, ein Symptom – der Entstehung von Nachrichtenwüsten.

Wenn eine Zeitung ihre Auflage einbüßt, wird sie manchmal von eine:r Politiker:in oder einem Unternehmen aufgekauft und als Werbeträger genutzt, wobei Werbung teils als objektive Nachrichten getarnt wird. In anderen Fällen kauft ein Verlag eine Publikation und schließt die ursprüngliche Redaktion, um Geld zu sparen, indem zwei Redaktionen zu einer einzigen zusammengelegt werden. Das Ergebnis beider Praktiken sind eine vorgetäuschte Medienvielfalt und ein scheinbar vielfältiges lokales Nachrichtenangebot, das in der Realität aber nicht existiert. Dies kann wiederum zu einem Vertrauensverlust der Öffentlichkeit führen, wodurch die Nachfrage nach Lokalnachrichten sinkt und ein Teufelskreis entsteht.

Gleichzeitig sterben Zeitungen und andere lokale Medien weiter, meist aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Rentabilität angesichts geringerer Werbeeinnahmen und weniger Menschen, die bereit sind, für lokale Nachrichten zu bezahlen. Innovative Lösungen für das beängstigende Problem der Nachrichtenwüste in Europa sind daher eindeutig erforderlich. So naheliegend diese Schlussfolgerung auch sein mag, die Diskussion über Nachrichtenwüsten ist eine relativ neue Entwicklung, insbesondere in Europa, wo der Begriff bis vor weniger als zehn Jahren praktisch unbekannt war.

Nachrichtenwüsten – woher sie kommen und wie sie sich verbreiten

Wir haben Nachrichtenwüsten zuerst in den USA beobachtet. Dort findet man sie typischerweise in ländlichen Gegenden, in denen es keine lokalen Medien oder nur eine einzige Regionalzeitung gibt, die die Nachrichten für eine große Anzahl von Gemeinden abdeckt. Diese Nachrichtenwüsten sind oft das Ergebnis einer geringen Bevölkerungsdichte, da in einer Stadt nicht genügend Menschen leben, um ein eigenes Nachrichtenmedium wirtschaftlich rentabel zu machen.

In Europa haben Nachrichtenwüsten in der Regel andere Ursachen, obwohl die Bevölkerungsdichte und wirtschaftliche Erwägungen immer noch eine Rolle spielen. In Spanien folgen die Nachrichtenquellen den Bürger:innen, die zunehmend aus den ländlichen Gebieten in die größeren Städte ziehen. Dies führt dazu, dass die verbleibende Landbevölkerung keinen Zugang zu ausreichend vielfältigen Medienangeboten hat, sodass fast ein Viertel der Bevölkerung des Landes in Nachrichtenwüsten lebt.

In Deutschland stellen viele Zeitungen ihre gedruckten Ausgaben ein und sind stattdessen nur noch online verfügbar (oder werden zumindest „online first“ veröffentlicht). Dies führt dazu, dass ältere Menschen und Menschen ohne zuverlässigen Internetzugang weniger Zugang zu Nachrichten haben. Gleichzeitig ist in den verbleibenden Print-Redaktionen ein Trend zur Zusammenlegung von Zeitungen zu beobachten. Dies ist in der Regel das Ergebnis von Unternehmensübernahmen, bei denen ein großes lokales Verlagshaus die Konkurrenz aufkauft, deren Redaktionen schließt und die lokale Berichterstattung durch die der eigenen Redaktion ersetzt. Dieser Monopolisierungsprozess führt zwar nicht zwangsläufig dazu, dass die Lokalberichterstattung in einem Gebiet völlig verschwindet, aber er verringert die Pluralität der Standpunkte und die Vielfalt der Berichterstattung. Dies kann wiederum zu Misstrauen unter der Leserschaft führen, sodass sie weniger lokale Nachrichten konsumiert, was wiederum zur Entstehung von Nachrichtenwüsten beiträgt.

In der Tschechischen Republik, einem der am stärksten von „Verwüstung“ bedrohten Länder, lässt sich der gleiche Mechanismus beobachten. Hier kommt ein Mangel an lokaler Nachrichtenberichterstattung hinzu, selbst online, und ein völliges Fehlen von Bürgermedien. Vertrauen ist hier ein besonders wichtiger Faktor, da die Tschechische Republik eines der niedrigsten Niveaus des Vertrauens in die Nachrichten weltweit aufweist. Dieser Mangel an Vertrauen führt zu einer geringeren Nachfrage nach lokalen Nachrichten, selbst dort, wo sie verfügbar sind, was wiederum dazu führt, dass mehr Medienunternehmen ihre Pforten schließen. Nur in wenigen Großstädten wird überhaupt über lokale Nachrichten berichtet, und selbst dort ist es schwierig, mehr als eine Quelle für lokale Nachrichten zu finden.

Abgesehen von kontextspezifischen Mechanismen, die bestimmte Länder in Europa betreffen, sind die Hauptfaktoren für die Entstehung von Nachrichtenwüsten im Allgemeinen folgende:

  • eine geringe Bevölkerungsdichte und Lage in der Peripherie eines größeren Ballungsraumes
  • Armut, eine ältere Bevölkerung und ein niedrigeres Bildungsniveau
  • sinkende Werbeeinnahmen und unausgewogene staatliche Werbung oder Subventionen
  • ein höherer Anteil an Minderheiten, insbesondere wenn diese eine Minderheitensprache sprechen

Diese Faktoren sind bis zu einem gewissen Grad in einigen Gebieten aller europäischen Länder vorhanden. Wir können daher davon ausgehen, dass sich Nachrichtenwüsten in ganz Europa weiter ausbreiten und möglicherweise weitere Probleme verursachen werden.

Ein Blick in die Zukunft: Negativbeispiel USA

Um die Gefahr von Nachrichtenwüsten und deren Ausbreitung in Europa zu beurteilen, ist es sinnvoll, einen Blick über den großen Teich zu werfen, auf die Situation in den USA. Hier wurden Nachrichtenwüsten erstmals beobachtet und untersucht, und der Prozess der „Verwüstung“ ist viel weiter fortgeschritten als in Europa. Zwei Drittel aller US-Bezirke haben keine Tageszeitung. Fast die Hälfte hat überhaupt keine Lokalzeitung. Und die Folgen sind drastisch. Eine Studie zeigt, dass der Verlust des Lokaljournalismus zur politischen Polarisierung von Gemeinden beiträgt. Außerdem sinkt die Beteiligung an Wahlen und ehrenamtlicher Arbeit, und eine Ebene des Rechenschaftssystems der Regierung fällt weg.

Als eine Art „Grundstock“ für gemeinsames Wissen und Informationen, über die die Menschen vor Ort sprechen können, sind Lokalnachrichten ein wichtiger Faktor für die Gemeinschaftsbildung und den Austausch von Meinungen. Wenn die Lokalnachrichten, die diese Basis für gemeinsames Wissen und gemeinsame Erfahrungen bilden, wegfallen, verlieren Nachbarn mit politisch oder sozial gegensätzlichen Standpunkten eine wichtige Plattform für respektvollen und objektiven Austausch. Das Ergebnis sind Gemeinschaften, deren Mitglieder die Fähigkeit verlieren, miteinander zu sprechen, was zur Bildung von Filterblasen, einem Zusammenbruch der Kommunikation und letztendlich zu Radikalisierung führt.

Einschätzung der wahrscheinlichen Entwicklungen in Europa

Risiko für den Indikator “Granularität der Infrastruktur für Lokalmedien” in allen 27 EU-Ländern. Bildquelle: Europäische Union (creative commons)

Auch wenn die Situation in Europa noch nicht so schlimm ist wie in weiten Teilen der USA, können wir bereits eine zunehmende politische Polarisierung und einen Wunsch nach einfachen Lösungen beobachten, insbesondere in ländlicheren Gebieten mit niedrigerem Bildungsniveau. Natürlich ist der Verlust von Lokalnachrichten bei Weitem nicht der einzige Faktor, der hier eine Rolle spielt. Aber das Fehlen von Lokalnachrichten, die die Kluft zwischen Gemeindemitgliedern überbrücken und komplizierte Sachverhalte auf leicht verständliche Weise erklären, trägt zu diesen Problemen bei. Da Nachrichtenwüsten auch in ländlichen Gebieten und Regionen mit niedrigerem Bildungsniveau häufiger vorkommen, verstärken sich die beiden Probleme gegenseitig. Wenn wir keine Strategien entwickeln, um Nachrichtenwüsten zu erkennen und zu bekämpfen, wenn sie entstehen, wird ihre Existenz zu einer immer ernsteren Bedrohung für unsere demokratischen Werte werden.

Eine Studie, die das Europäische Hochschulinstitut vor nicht einmal einem halben Jahr veröffentlicht hat, soll allen EU-Ländern das notwendige Instrumentarium an die Hand geben, um genau das zu tun. Unter dem Titel „Risks and opportunities for local and community media in the EU“ (Risiken und Chancen für Lokal- und Bürgermedien in der EU) besteht die Studie hauptsächlich aus einer Analyse der Bedrohungen durch Nachrichtenwüsten in jedem einzelnen Land, die mit einem Überblick über die Situation der Lokalmedien im Land im Allgemeinen beginnt, gefolgt von einer Risikobewertung, die in fünf Indikatoren unterteilt ist:

  1. Granularität der Infrastruktur lokaler Medien (Präsenz und Angebot lokaler und kommunaler Medien)
  2. Markt und Reichweite (wirtschaftliche Bedingungen, Entwicklungsfähigkeit und Nachhaltigkeit von Lokal- und Bürgermedien)
  3. Sicherheit von Lokaljournalist:innen (Arbeits- und körperliche Sicherheit; Schikane)
  4. redaktionelle Unabhängigkeit (Unabhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Zwängen)
  5. soziale Eingliederung (Umfang und Qualität der Nachrichten für und über Minderheiten und Randgruppen)

Anschließend werden innovative Praktiken und spezielle Projekte erörtert, die die Situation der Lokalmedien verbessern und die Gefahr von Nachrichtenwüsten verringern sollen. Der Bericht schließt mit einem Überblick über die Situation in Europa im Allgemeinen, gefolgt von Empfehlungen für die Staaten und öffentlichen Behörden, die in der EU tätigen Journalist:innen und die Vertreter:innen der Wissenschaft zur Verbesserung jedes der fünf oben genannten Indikatoren.

Von den 27 untersuchten EU-Ländern weist die Tschechische Republik mit 77,4 % den höchsten durchschnittlichen Risikowert auf. Besonders besorgniserregend ist der Indikator „Markt und Reichweite“, der ein Risiko von 94 % aufweist, da viele der traditionellen Werbekund:innen während der COVID-19-Pandemie ihre Finanzierung zurückzogen, was zu einem Rückgang der Einnahmen um etwa 40 % führte. In Kombination mit größeren Medienkonglomeraten und kommunalen Nachrichtenquellen, die den lokalen Nachrichten auf dem Werbemarkt oft Konkurrenz machen, und der Tatsache, dass zwei Drittel der tschechischen Bevölkerung nicht bereit sind, für Nachrichten zu bezahlen, besteht ein extrem hohes wirtschaftliches Risiko für die Veröffentlichung lokaler Nachrichten, was zur Schließung oder Fusion vieler Lokalmedien führt.

Weniger Abonnements in Deutschland

Am anderen Ende des Spektrums erhielt Deutschland mit „nur“ 24,6 % die niedrigste durchschnittliche Risikobewertung. Eine Zahl, die auf den ersten Blick vielleicht weniger dramatisch erscheint, aber ziemlich alarmierend ist, wenn man bedenkt, dass kein anderes Land in Europa eine Risikobewertung von unter 25 % erhielt. Auch in Deutschland ist der Indikator „Markt und Reichweite“ der höchste. Mit 44 % ist er mehr als doppelt so hoch wie jeder andere Indikator und fast dreimal so hoch wie der Indikator für redaktionelle Unabhängigkeit (16 %).

Die Gründe für den hohen wirtschaftlichen Risikofaktor unterscheiden sich jedoch von denen in der Tschechischen Republik. Zwar sind auch hier die Werbeeinnahmen rückläufig, doch ist dies vor allem ein Problem des Lokalradios, das durch gesetzliche Regelungen zur Verfügbarkeit von Lokalradio etwas abgemildert wird. Ein größeres Problem, vor allem für die Lokalzeitungen, ist die immer kleiner werdende Zahl der Abonnent:innen. Ein Grund dafür ist der durch Fusionen und Teamzusammenlegungen verursachte Vertrauensverlust in die lokalen Medien, aber auch veränderte Vertriebsmethoden (wie zentrale Abholung statt Hauszustellung oder die vollständige Einstellung des Printvertriebs zugunsten reiner Online-Modelle) werden als weitere Gründe für einen Rückgang der Zeitungsleserschaft und eine geringere Zahlungsbereitschaft für lokale Nachrichten genannt.

Mangelnde Jobsicherheit in Spanien

Das Risiko für den Indikator “Sicherheit von Lokaljournalist:innen” in allen 27 EU-Staaten. Bildquelle: Europäische Union (creative commons)

Etwa in der Mitte, mit einem durchschnittlichen Risikofaktor von 46,2 %, liegt Spanien. Der höchste Risikofaktor ist mit 54 % die Sicherheit der Lokaljournalist:innen, was sich im Falle Spaniens vor allem auf ein niedriges Einkommen, eine hohe Arbeitsbelastung und mangelnde Jobsicherheit bezieht. Die hohe Arbeitsbelastung, die zum Teil dadurch entsteht, dass man für mehrere Arbeitgeber arbeiten muss, um die niedrigen Löhne auszugleichen, führt hier zu besonderen Problemen. Bei einem hohen Arbeitstempo kann die Zeit, die für jeden Artikel zur Verfügung steht, und damit auch die Qualität der Berichterstattung leiden. Zusammen mit der geringen Anzahl wirtschaftlich und politisch unabhängiger Arbeitgeber kann dies zu einem Phänomen führen, das als „Nachrichten-Fata-Morgana“ („news mirages“) bezeichnet wird: ein Gebiet hat zwar scheinbar Zugang zu lokalen Nachrichten, deren Qualität ist aber so schlecht, dass sie kaum ins Gewicht fallen.

Wie aus diese Beispielen ersichtlich wird, sind die Faktoren, die zur Entstehung von Nachrichtenwüsten in der EU führen, von Land zu Land unterschiedlich, und die Gefahr ist unterschiedlich groß. In dem Bericht wird auch darauf hingewiesen, dass die Mediensysteme in Europa sehr unterschiedlich sind, was zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen für jedes Land führt und es schwierig macht, allgemeine Ratschläge zu geben, die für alle gelten können. Ein Ergebnis sticht jedoch als überwiegend einheitlich hervor: In den meisten der untersuchten Länder gibt es keine echte öffentliche Debatte über Nachrichtenwüsten. Einige Länder verweisen allenfalls auf akademische Kreise oder auf die Nachrichtenbranche selbst, die das Thema diskutieren. In den meisten Ländern gibt es jedoch nicht einmal diese Debatten, und die Öffentlichkeit ist praktisch nie im Bilde, wenn es um die Kenntnis oder Diskussion von Nachrichtenwüsten geht.

Der Grund dafür kann jedoch nicht sein, dass es in Europa keine Nachrichtenwüsten gäbe, denn es ist deutlich zu sehen, wie sich die Lokalnachrichten in Spanien aus den ländlichen Gebieten zurückziehen, wie Redaktionen in Deutschland fusionieren und wie die tschechischen Lokalnachrichten außerhalb von Prag auch heute schon kaum überleben können. Es scheint eher so, als ob wir als Kontinent diese Entwicklung verschlafen, und das ist eine Gefahr für sich. Es ist daher ein wenig überraschend, dass die Empfehlungen der Studie nicht die Erforschung oder Verbreitung des Bewusstseins für Nachrichtenwüsten beinhalten. Stattdessen konzentrieren sich die Ratschläge vor allem auf Innovation in Kombination mit Qualitätssicherungsmaßnahmen.

Was wir gelernt haben und was wir tun können

Die Empfehlungen der Studie lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen:

  1. Einführung/Verbesserung von Methoden zur Datenerhebung über journalistische Innovation und Journalismus im Allgemeinen
  2. Innovation und Diversifizierung der lokalen Medien auf allen Ebenen durch Experimentieren und Anpassungen

Ein konkreter Vorschlag besteht darin, neue Technologien wie KI oder alternative Verbreitungswege, z. B. über soziale Medien, auszuprobieren, mit verschiedenen Formaten zu experimentieren oder neue Erzähltechniken zu erforschen, um das Engagement des Publikums zu erhöhen. Die Studie deutet zwar in Bezug auf Online-Journalismus auf ein großes Publikumsinteresse und eine hohe Zugänglichkeit hin, warnt aber auch davor, dass hohe Qualitätsstandards und Transparenz im Online-Journalismus und bei innovativen Technologien von größter Bedeutung sind, da mangelnde Sorgfalt zu einem noch geringeren Vertrauen in die lokalen Medien und zu einem Nettoverlust bei der Publikumsbindung führen könnte.

Einige andere Wege der Innovation wurden in den USA bereits mit unterschiedlichem Erfolg erprobt. Für die europäische Nachrichtenlandschaft könnten vier dieser Ansätze von besonderem Interesse sein, da sie sich speziell auf die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit und die Publikumsbindung fokussieren – zwei der Risikofaktoren, die in der Studie des Europäischen Hochschulinstituts in fast allen EU-Ländern als besonders hoch eingestuft wurden.

Gemeinnützige Medienorganisationen (NMOs) und staatliche Finanzierung sind ein solcher Vorschlag. Der Vorteil von NMOs liegt vor allem in dem hohen Vertrauen, das sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit in der Regel bei ihrem Publikum genießen. Da sie nicht von Werbeeinnahmen oder Abonnements abhängig sind, entfallen auch viele der schwerwiegendsten Probleme, mit denen lokale Nachrichten in Europa konfrontiert sind. Solange eine Gemeinde klein genug ist, dass eine relativ geringe Anzahl von Medienschaffenden zuverlässig die gesamte Bevölkerung mit Nachrichten versorgen kann, ist dieses Modell sehr nachhaltig und hat den zusätzlichen Vorteil, dass es Minderheiten und Randgruppen durch die Beteiligung des Publikums eine Stimme gibt. In Ländern wie Deutschland, in denen NROs finanzielle Vorteile wie Steuererleichterungen erhalten, kann dies eine praktikable Strategie sein. Alternativ ist auch eine direkte oder indirekte staatliche Finanzierung eine Option, zumindest in Ländern, in denen die Bevölkerung dieser Art von finanzieller Unterstützung nicht allzu skeptisch gegenübersteht.

Kräfte und Ressourcen bündeln

Eine weitere mögliche Innovation angesichts der Wirtschaftsflaute ist die redaktionsübergreifende Zusammenarbeit. Vor allem in Ländern wie Spanien, wo der größte Risikofaktor für Lokalnachrichten die hohe Arbeitsbelastung und die niedrigen Löhne der Journalist:innen sind, insbesondere für diejenigen, die aufgrund des Mangels an unabhängigen Arbeitgeber:innen gezwungen sind, freiberuflich zu arbeiten. Durch die Bündelung ihrer Ressourcen und die gemeinsame Nutzung von Daten und Informationen können Journalist:innen und ganze Redaktionen Zeit und Geld sparen, was zu besseren Löhnen und mehr Zeit für gut recherchierte Beiträge führt.

Dies kann sogar mit der Gründung von NMOs kombiniert werden. Mit ihrer größeren finanziellen Unabhängigkeit und möglicher Unterstützung durch den Staat können sie sich wahrscheinlich mehr (technologische) Innovationen leisten als „traditionelle“ Redaktionen. Die gemeinsame Nutzung dieser Fortschritte mit anderen Lokalredaktionen würde ihnen dieselben Möglichkeiten für Experimente und Innovationen bieten, und zwar bei weitaus geringeren wirtschaftlichen Risiken, als sie sonst eingehen müssten. Ein offensichtliches Problem dabei ist, dass diese Art der Zusammenarbeit zu weit gehen kann, wie wir am Beispiel der deutschen Geisterzeitungen sehen. Wenn die Zusammenarbeit vom Austausch von Technologien, Innovationen und Informationen zum Austausch ganzer Geschichten oder Artikel übergeht, nimmt die Pluralität der Medienlandschaft weiter ab, was den lokalen Nachrichten keinen Nutzen bringt.

Das Risiko für den Indikator “Markt” in allen 27 EU-Ländern. Bildquelle: Europäische Union (creative commons)

Zombie-Zeitungen können jedoch auch eine Chance darstellen. In Gebieten, in denen Minderheiten besonders von Nachrichtenwüsten betroffen sind, können Basisinitiativen die Vielfalt und Zugänglichkeit von Nachrichten erhöhen und so die lokale Medienlandschaft stärken. Dies erfordert in der Regel ein Programm, das die lokale Bevölkerung dazu befähigt, selbst zu berichten und zu kommunizieren, um auf Nachrichten aufmerksam zu machen, die für ihre Gemeinschaft relevant sind. Ein weiterer wichtiger Faktor für den Erfolg dieser Basisinitiativen ist, dass Menschen außerhalb der Gemeinschaft von den Anliegen der Gemeinschaft erfahren und zuhören. Und genau hier können Geister- und Zombie-Zeitungen hilfreich sein. Anstatt die in einem Medium veröffentlichten lokalen Nachrichten einfach zu duplizieren, indem dieselbe Redaktion dieselben Nachrichten in einer zweiten Publikation veröffentlicht, könnte die Redaktion dieser zweiten Publikation in die Hände einer lokalen Basisinitiative gelegt werden. Dies würde die Kosten für den Verleger, der die zweite Publikation gekauft hat, nicht erhöhen, aber marginalisierten Gemeinschaften Zugang zu einem größeren Publikum verschaffen. Es würde auch die Pluralität in der lokalen Berichterstattung erhöhen und damit aktiv zu einer gesunden Nachrichtenlandschaft beitragen, die der Bildung von Nachrichtenwüsten besser widerstehen kann.

In Ländern wie der Tschechischen Republik schließlich, wo extremer wirtschaftlicher Druck und ein nahezu vollständiger Verlust von Werbeeinnahmen die Veröffentlichung lokaler Nachrichten auf traditionelle Weise nahezu unmöglich machen, sind drastischere Innovationsansätze erforderlich. Hier könnten hybride Geschäftsmodelle für die finanzielle Stabilität sorgen, die erforderlich ist, um lokale Nachrichtenquellen außerhalb der zentralsten Bevölkerungszentren zu etablieren.

Der Hauptunterschied zwischen gemeinnützigen und gewinnorientierten Organisationen besteht darin, dass bei ersteren soziale Belange und ihre Auswirkungen auf die Gemeinschaft im Vordergrund stehen, während bei letzteren das finanzielle Wachstum im Vordergrund steht. Die Idee hinter einem hybriden Geschäftsmodell besteht darin, diese beiden Ansätze in einem Unternehmen zu vereinen. Die Berichterstattungsseite dieses Unternehmens würde die kostenlose (d. h. abolose) Verbreitung und Wiederverwendung seiner Inhalte ermöglichen, um die soziale Wirkung zu maximieren und so viele Mitglieder der Gemeinschaft wie möglich zu erreichen. Um dies finanziell tragfähig zu machen, ohne auf Spenden oder Werbung angewiesen zu sein, konzentriert sich der andere Geschäftszweig auf die Generierung von Geldern und die Maximierung der Sichtbarkeit, zum Beispiel in den Bereichen Expertisetrainings, Veranstaltungsorganisation oder Datenanalysedienste. Ein offensichtliches Risiko ist hier ein Interessenkonflikt, der dadurch entstehen könnte, dass ein Unternehmenszweig (fast) alle finanziellen Mittel erwirtschaftet, was zu einer einseitigen Verteilung der Ressourcen innerhalb des Unternehmens führen könnte. Um dieses Risiko zu mindern, ist es besonders wichtig, den Rat des Europäischen Hochschulinstituts zu befolgen, der Transparenz und einer qualitativ hochwertigen Berichterstattung in allen Aspekten der Innovation Vorrang einzuräumen.

Letztendlich lassen sich komplexe Probleme wie die verschiedenen Faktoren, die zur Entstehung von Nachrichtenwüsten beitragen, nicht mit einfachen Patentrezepten lösen. Jedes Land und vielleicht sogar jeder einzelne Verlag in Europa wird einen individuellen Ansatz finden müssen, um der zunehmenden Bedrohung durch Nachrichtenwüsten zu begegnen. Mehr Daten und gemeinsames Wissen werden sicherlich dabei helfen, für jede einzelne Situation passende Lösungen zu finden. Aber wir können erst dann handeln, wenn wir das Problem, mit dem wir konfrontiert sind, verstehen. Unsere erste Priorität muss daher sein, das Bewusstsein für Nachrichtenwüsten und die politischen und sozialen Spaltungen, die sie verursachen, zu schärfen. So können wir hoffentlich verhindern, dass sie sich zu weit ausbreiten, bevor es zu spät ist.

 

Verza, S., Blagojev, T., Danielle, D. C. L. B., Kermer, J. E., Trevisan, M., & Della Venaria Urbano, R. (2024). Uncovering news deserts in Europe : risks and opportunities for local and community media in the EU. Cadmus EUI. https://doi.org/2870/74139810.

 

 

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