Gestaltungswille statt Depression

2. August 2011 • Ausbildung • von

Online- und Multimedia-Journalismus? Für viele deutsche Journalisten eine Überforderung. Das lässt sich durch fundierte Ausbildung ändern. Doch auch das Selbstverständnis der Akteure braucht ein Upgrade.

Haben Sie sich schon mal gefragt, was ein Journalist in fünf Jahren können muss, um seinen Job gut zu machen? Derzeit werden laut dem Deutschen Journalisten-Verband etwa 2.600 Volontäre in verschiedenen Mediengattungen ausgebildet.
Der Medienstudienführer listet zudem rund 600 Studiengänge und Weiterbildungen für Journalisten (www.medienstudienfuehrer.de). Klassische Kompetenzen bleiben im Journalistenberuf wei­terhin wichtig. Dazu zählen profunde Kenntnisse des Mediensystems und Medienrechts sowie Strukturwissen über die Trends des Medienwandels. Ebenfalls unabdingbar bleibt auch Fachwissen, vor allem in Wirtschafts- und Politikfragen. Hinzu kom­men zentrale Vermittlungskompetenzen; deren wich­tigste: komplexe Sachverhalte zutreffend und ver­ständlich darstellen sowie interessant erzählen.

Das allein genügt aber nicht mehr. Es bedarf eines Sets weiterer, den Medientrend reflektieren­der Fähigkeiten. Alexandra Stark, Studienleiterin am Medienausbildungszentrum (MAZ) in Luzern, ermittelte in ihrer NMJ-Masterarbeit zusätzliche Kompetenzen, die Journalisten helfen, unter den Vorzeichen des Medienwandels gute Arbeit abzulie­fern.

Amateurhafte Twitter-Nutzung

Viele Ausbilder jonglieren derzeit gerne mit Begriffen wie Newsroom, Konvergenz und Social Media und etliche Redaktionen nutzen inzwischen Twitter. Sie setzen den Microblogging-Dienst aber meist für Eigenwerbung ein, zudem häufig amateurhaft und nach Gutdünken. Zu diesem Schluss kommt die von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen initiierte Studie „Twitter und Journalismus“, für die im Mai und Juni 2010 insgesamt 70 Internet-Redaktionsleiter befragt wurden. Professioneller Multimedia-Journalismus sieht anders aus: Seine Macher verstehen Funktionsprinzipien, sie kennen die Ansprüche der User und wissen, wie im Netz Wertschöpfung betrieben wird.

Mehr solcher Journalisten wünscht sich Frank Hänecke, ebenfalls Studienleiter am MAZ, und for­dert deshalb eine Ausbildung zum “Dr. mult. Media” (NZZ, 6.4.2010). Sie soll Journalisten hervorbringen, die “keine Berührungsängste vor interaktiven, dialoggetragenen Medien haben”, sich in Multimedia-Strukturen zurechtfinden und in der Lage sind, beim Aufspüren relevanter Themen auch die sozialen Netzwerke auszuwerten.

Hänecke argumentiert quasi “pro domo”: Das MAZ ist neben drei weiteren Einrichtungen Mitträger des berufsbegleitenden Master-Studiengangs “New Media Journalism” (www.newmediajournalism.net), den der kürzlich in den Ruhestand verabschiedete Leipziger Journalistikprofessor Michael Haller initiier­te. Das Studium will Wissenschaft und Praxis sowie journalistische und medientechnische Kompetenz mit Managementwissen verbinden.

Es gibt weitere Beispiele. Die Akademie für Publizistik in Hamburg bietet Kurse zu Audio Slideshows, Mobile Reporting, Webdocumentary und Community Management an; die Jade-Hochschule in Wilhelmshaven hat in ihrem Journalistik-Curriculum “Informatik” zu einem Studienschwerpunkt gemacht.

Diese Angebote werden jedoch eher vereinzelt genutzt. Auch ist nicht gesichert, ob ein Weiterbildungskurs tatsächlich einen Kompetenzsprung bringt. Fest steht: Zu viele Journalisten hierzulande sind ungenügend auf die Anforderungen des Online- und Multimedia-Journalismus vorbereitet.

“Es fehlen technische sowie konzeptionelle Fertigkeiten”, sagt Bernhard Debatin im Gespräch mit Message. Er hat eine Professur für Multimedia Policy an der renommierten E.W. Scripps Journalistenschule der Universität Ohio und lehr­te jahrelang in Berlin und Leipzig. In Deutschland werde noch zu sehr aus der Perspektive der ehemaligen Leitmedien gearbeitet, glaubt Debatin. Man produziere Inhalte für Print oder Rundfunk und stelle diese mit geringen Veränderungen ins Netz. Wirklich multime­dial werde selten produziert.

Was lässt sich von Ohio lernen? Die radikale Umstellung. “Fast überall werden die Curricula für Journalisten geändert”, sagt Debatin. Die Grundlagen der journalistischen Recherche und Produktion fie­len nicht über Bord, sondern würden konsequent mit den Anforderungen des Online- und Multimedia-Journalismus kombiniert. “Ich habe den Eindruck, dass dies – vielleicht auch wegen der Einschränkungen durch den Bologna Prozess – in Deutschland noch nicht hinreichend geschieht”, vermutet Debatin.

Nur nicht anpassen

Doch auch in Amerika sei die Journalistenausbildung keineswegs durchgängig auf modernstem Stand, rela­tiviert Barbie Zelizer von der Universität Pennsylvania.Auch in der amerikanischen Journalistenausbildung müsse man vor allem zwischen Print und Fernsehen ein paar Mauern einreißen. Sie empfiehlt Journalisten, Ausbildern und Forschern, dem Medienwandel über die Inhalte zu begegnen. Bei einer Tagung in Winterthur im November 2009 widersprach sie dem Internet-Experten Jeff Jarvis von der City University New York. Der forderte von Medienprofis, sich auf den Wandel einzulassen, indem sie sich anpassen.

Zelizer will das Gegenteil. Journalisten müssten den Wandel gestalten und zwar auf drei Wegen: indem sie die Tradition, in getrennten Medienkanälen zu den­ken, überwinden; indem sie Themen auch in ihrer geschichtlichen Dimension darstellen und indem sie vor allem auf Recherche setzen. Zweifel und Skepsis zählten im Journalismus zu den großen Stärken, erläu­terte sie in Winterthur an Negativbeispielen: Wer aus wenigen Fallbeispielen auf einen globalen Klimawandel schließe, einfache Antworten für die internationale Finanzkrise suche und der Öffentlichkeit dauernd unterstelle, ihr seien alle Themen zu komplex, der betreibe schwachen Journalismus.

Medienmacher in Rollenkrisen

Allerdings wissen etliche Journalisten und Studenten heute selber nicht mehr so recht, welche Rolle und welche Funktionen sie in einer demokratischen Gesellschaft haben – und welche nicht. Kritiker? Promoter? So mancher findet nichts dabei, für einen Sportverein, für ein Make-up oder für einen Kinofilm zu werben. Sie richten ihre Rollen am ökonomischen Profit aus. Michael Meyen und Claudia Riesmeyer (“Diktatur des Publikums”, 2009) beschreiben Journalisten, die sich in der Rolle des Verkäufers gefal­len und die Grenzen hin zum Marketing kaum noch erkennen. Neue, auch ethische Probleme erwachsen durch die Umstellung des Journalismus auf das Online-Medium. Wann sind Bilder im öffentlichen Raum des Internets privater Natur und somit journalistisch nicht nutzbar? Dies ist nur eine der drängenden Fragen.

Weil solche Grenzverwischungen zunehmen, rät Debatin, der Medienethik in der Ausbildung viel mehr Gewicht zu geben. An seiner Journalistenschule gehört sie zum Pflichtprogramm. Alle Studierenden erhal­ten zu Studienbeginn eine Einführung mit ethischer und gesellschaftspolitischer Orientierung. Die Rolle der Medien in der Demokratie ist Teil eines Katalogs von “issues”, der in möglichst alle Veranstaltungen einbezogen werden soll. Debatin sagt im Message-Gespräch: „Das klappt sicher nicht immer, aber ich glaube, dass wir da insgesamt erfolgreich sind.“

Berufsethik wird unterbewertet

In Deutschland ist Medienethik in der Journalistik weiterhin ein Stiefkind, einmal abgesehen von ein paar Ausnahmen wie etwa der Journalistik an der Universität Leipzig und der Macromedia-Hochschule. Man müsste den berufsethischen Fragen in den Curricula deutlich mehr Gewicht geben, damit der journalistische Nachwuchs sein medienethisches Rückgrat trainieren kann, um dem wachsenden Druck besser standzuhalten: den Sparzwängen; der Wucht, mit der PR-Experten und Spindoctoren Einfluss erkämpfen; der Finesse, mit der Medienrechtsanwälte Journalisten die Daumenschrauben anlegen wol­len. Hier hilft Handlungssicherheit: Wer sich seiner Rolle und seiner Funktionen als Journalist sicher ist, Argumente parat hat zur plausiblen Begründung sei­nes Handelns, wer weiß, was geht und was nicht, der lässt sich nicht so leicht gängeln.

Graben zwischen Ausbildern und Forschern

Stephan Ruß-Mohl von der Universität Lugano setzt seine Analyse ebenfalls bei den Inhalten an. Er hält den Graben zwischen Ausbildern und Forschern für das Hauptproblem der Journalismusausbildung in Deutschland. Ruß-Mohl beschreibt Message gegenüber eine “zu geringe Bereitschaft der prakti­schen Journalistenausbilder, sich auf Erkenntnisse der Journalismus- und Medienforschung einzulassen – obschon es da viel Interessantes gibt, um Honig zu saugen”. Auf der anderen Seite gäben viele Journalismus- und Medienforscher vor, “Journalisten auszubilden, obschon sie selber noch nie einen Zweispalter geschrieben haben.”

Interkulturalität ist eine wei­tere Zukunftsaufgabe für einen professionellen Journalismus. Die Welt wächst ökonomisch zusam­men. Damit das gegenseitige kul­turelle Verständnis gleichzieht, müssten künftige Journalisten auf die Aufgabe der “kulturellen Übersetzung” professionell vorbe­reitet werden. Viele medien- und kommunikationswissenschaftli­che Studiengänge werben mit “Internationalität”. Doch diese beschränkt sich meist auf Praktika im Ausland, Austauschprogramme und allenfalls Seminare zur inter­kulturellen Kommunikation – und die deutsche Perspektive steht im Vordergrund.

Anregungen zu einem erwei­terten Blickwinkel liefert der Weiterbildungsstudiengang “International Media Studies” der Deutsche Welle-Akademie Bonn, weil er Interkulturalität systematisch aus internationaler Perspektive angeht.

Abwandern leicht gemacht

Gemeinsam mit der Universität Bonn und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg werden Absolventen mit Medienerfahrung ausgebildet. Sie belegen Fächer wie Journalismus, Medienpolitik, Gesellschaft und Entwicklung, Medienwirtschaft und Kommunikationswissenschaft – und zwar nicht nur für den deut­schen Inlandsmarkt. Die Auswahl der Bewerber soll garantieren, dass sie international tätig werden und zur Medienentwicklung weltweit beitragen.

Auf dem Arbeitsmarkt erwartet den journalis­tischen Nachwuchs dann vor allem eins: ökonomi­scher Druck. Wer heute Journalist wird, muss sich fragen, ob er wirklich riskieren will, Selbstausbeuter, Arbeitssklave und gegängelter Underdog zu sein sowie für seine Arbeit tendenziell immer weniger Geld zu verdienen – sollte er überhaupt eine feste Stelle ergattern.

Der Deutsche Journalisten-Verband führt eine Art Watchlist (bit.ly/iS0Xqf): Die Reihe jener Verlagshäuser, die bei Neueinstellungen unter Tarif bezahlen, wird länger. Auch Volontäre werden oft unter Tarif entlohnt. Übernahmegarantien sind Illusion und etliche müssen länger volontie­ren, weil sie so für das Medienhaus eine güns­tige Arbeitskraft sind. Die tageszeitung (16.1.2011) berichtete über ein Programm des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags. Es kombiniert ein verlängertes Volontariat mit einem stark verdichteten Masterstudium “Journalismus und Medienwirtschaft” an der Fachhochschule Kiel. Das seien “Überstunden im Tarnmantel”, schreibt die taz.

Die zunehmend kommerzielle Ausrichtung journalistischer Inhalte schwächt nicht nur das Rückgrat mancher Redaktion, sondern bewirkt damit Resignation beim Nachwuchs. “Informieren und Missstände aufdecken”, antwortete mir jeder zwei­te Student im ersten Semester auf die Frage, worin er seine Hauptaufgabe als Journalist sehe. “Ich frage mich, ob ich überhaupt als Journalistin arbeiten soll. Wichtige Geschichten fallen in den Papierkorb, weil die Redaktion sich nichts traut. Ich glaube kaum, dass ich dort lande, wo das anders sein soll, falls es solche Redaktionen wirklich noch gibt”, klagte eine Studentin im sechsten Semester, als sie aus ihrem Praktikum zurückkehrte, und nannte Beispiele: Eine Kritik an der Ausgabenpolitik für “Ruhr 2010”? Lieber nicht. Ein Kommentar über das Gebaren von Prominentenanwalt Christian Schertz? Lassen wir, könnte teuer werden.

Ausbilder an Hochschulen und Journalistenschulen registrieren, dass immer mehr ihrer Schützlinge wäh­rend des Studiums oder der Ausbildung umschwen­ken und in die PR wollen, oft, sobald sie einen ers­ten Blick in beide Welten geworfen haben. “In der Agentur fühlte ich mich ernst genommen, man gab mir Verantwortung; in der Zeitungsredaktion musste ich zwar jedes Wochenende ran, aber ich hatte das Gefühl, nichts wert zu sein”, schilderte ein Student. Er steht mit dieser Erfahrung nicht alleine da. Der Trend, noch während der Ausbildung in die PR zu schwen­ken, besteht weltweit, bestätigt die in Australien leh­rende Journalismusforscherin Beate Josephi.

Auch in Deutschland wird dieser Trend beschleu­nigt durch Studiengänge, die von vornherein beide Wege offenhalten: den in den Journalismus sowie den in die PR. Dazu zählen “Technikjournalismus / PR” (Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg), “Journalismus und Public Relations” (Gelsenkirchen), “Medienkommunikation und Journalismus” (Bielefeld) oder “Medien- und Kommunikationswirtschaft – PR – Journalismus” (Duale Hochschule Ravensburg). Umso bemerkenswerter ist, dass Journalistik-Studierende der Universität Eichstätt vor knapp zwei Jahren pro­testierten, ihr Studium enthalte zu viel PR-Training.

Standards erhöhen und sich befreien

Die ökonomischen Realitäten machen es schwie­rig, in der Journalismusausbildung “mehr als nur Depression zu produzieren”, sagt Bernhard Debatin Message gegenüber. Aber es sei möglich. Ein hoher Ausbildungsstandard fördere das kritische Bewusstsein. Initiativen wie die Bewegung “Media Reform” arbeiten in den USA daran, durch andere Finanzierungen, etwa über Stiftungen, den amerika­nischen Journalismus “aus den Klauen des profitorien­tierten Marktmechanismus der Mega-Korporationen zu befreien”. Deren Marktmacht habe zum Beispiel in der Berichterstattung über den Irak-Krieg “zu einer informellen Gleichschaltung, das heißt zum Verlust des Pluralismus” geführt, kritisiert Debatin. In seinen Augen “eine unhaltbare Situation”.

Und wen interessiert in Deutschland, ob und wie redlich recherchierter, multimedial aufberei­teter Journalismus machbar wird? Und ob dafür professionell ausgebildet wird? “Ich bin sicher, das würde viele Leute interessieren, wenn sie denn eine Chance hätten, es zu erfahren”, sagt Stephan Ruß-Mohl der Message. Und ergänzt: “Der Journalismus und die etablierten Medien versagen seit Jahren bei der Aufklärung über Journalismus und über sich selbst.”

Literatur:

Barbie Zelizer veröffentlichte eine ausgearbeitete Version ihres Vortrags in der Schweizer Fachzeitschrift Studies in Communication Sciences (Nr. 1/2010).

Erstveröffentlichung: Message Nr. 3 / 2011



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