Wie ein Starreporter zum Lügenbaron wurde

14. Mai 2004 • Redaktionsmanagement • von

Neue Zürcher Zeitung, 14. Mai 2004

Untersuchungsbericht über die Vorfälle bei «USA Today»
Ein Starreporter der Zeitung «USA Today» konnte über längere Zeit unbehelligt gefälschte Berichte publizieren. Eine Journalistengruppe erhielt den Auftrag, die Gründe für das Versagen der Kontrollmechanismen zu finden. Gemäss ihrem Bericht führten Starkult und Günstlingswirtschaft zur Missachtung einfachster Regeln.

Mitte März streute sich die grösste amerikanische Tageszeitung «USA Today» Asche aufs Haupt und gab bekannt, dass einer ihrer Reporter, Jack Kelley, in mindestens acht grösseren Artikeln falsche Tatsachen vorgespiegelt hat. Ein Reporterteam der Zeitung hatte unter der Leitung von drei externen Medienveteranen während sieben Wochen über 700 Arbeiten des Übeltäters überprüft. Es fand heraus, dass Kelley Zitate und Material aus anderen Publikationen übernahm, in Vorträgen log und das Untersuchungsteam hinters Licht zu führen versuchte. Kelley verliess im Januar die Zeitung. Vor einem Jahr hatte auch die «New York Times» einen ihrer Reporter, Jayson Blair, wegen wiederholter Fälschungen entlassen. Doch im Gegensatz zu Blair handelt es sich bei Kelley nicht um einen jungen, charakterlich ungefestigten Mann, sondern um einen 43-jährigen Mitarbeiter, der während 21 Jahren für «USA Today» gearbeitet hat.

Wie konnte es so weit kommen? Um die Ursachen aufzuklären und das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückzugewinnen, publizierte «USA Today» inzwischen auch einen dreissigseitigen Bericht.* Dieser deckt die Zustände auf der Redaktion schonungslos auf und gibt Empfehlungen zur künftigen Vermeidung solcher Fehler.

Die Interviews und Gespräche, die im Rahmen der Investigation mit über 70 gegenwärtigen und ehemaligen Mitarbeitern des Blattes sowie mit dem Lügenbaron selbst geführt wurden, haben ein wenig schmeichelhaftes Bild von Arbeitsklima, Entscheidungsprozessen und Kommunikationskultur auf der Redaktion der auflagestärksten Tageszeitung der USA ergeben.

Neben den bereits bekannten Fälschungen Kelleys brachte die Untersuchung zahlreiche weitere Verfehlungen des einstigen Pulitzerpreis-Finalisten ans Licht. Die Warnlampen hätten nach Ansicht der Verfasser bereits viel früher aufleuchten müssen. Seit Jahren hätten nämlich zahlreiche Mitarbeiter der Zeitung, aber etwa auch hohe Regierungsbeamte mehr oder weniger offen Zweifel und Vorbehalte gegenüber Kelleys Arbeit geäussert. Mitarbeiter, die Kelleys Faktentreue in Frage stellten, wurden von ihren Vorgesetzten indes ignoriert, gescholten oder gar beschimpft, und die Hinweise wurden aus Furcht vor Repressalien nicht an höhere Stellen weitergeleitet. Von einer «vergifteten Atmosphäre» und einem «Klima der Angst» ist im Bericht denn auch die Rede. Man habe eine Redaktion vorgefunden, die sich weniger darum sorgte, was den Lesern geboten wurde, als in erster Linie zu antizipieren versuchte, was die Vorgesetzten hören wollten.

Neue Mitarbeiter wurden von ihren Kollegen immer wieder vor Kritik an Jack Kelley gewarnt. Denn mit regelmässigen Auftritten bei Fernseh- Talkshows und an Rednerpulten diente der intern als «Golden Boy» bekannte Reporter der Zeitung als prominentes Aushängeschild. Dies sowie die Tatsache, dass Kelley mit der Leitung von «USA Today» auf Du und Du stand und sein Umfeld und seine direkten Vorgesetzten dies auch spüren liess, machten ihn in den Augen der meisten Kollegen unantastbar. Dem Starkult und der Günstlingswirtschaft ist es gemäss dem Bericht denn auch zu verdanken, dass bei der Bearbeitung von Kelleys Texten einfachste redaktionelle Grundsätze missachtet wurden.

Als besonders problematisch bezeichnen die Autoren des Berichts den Umgang von «USA Today» mit anonymen und vertraulichen Quellen. «Wie aus dem Aussenministerium verlautet», «Von Geheimdienstkreisen ist zu erfahren» oder «Gut unterrichtete Kreise wissen zu berichten» sind Floskeln, von denen Kelley grosszügig Gebrauch zu machen wusste und die es ihm erlaubten, zahlreiche frei erfundene oder gestohlene Zitate im Blatt unterzubringen.

Noch bei der Lancierung von «USA Today» im Jahre 1982 war den Journalisten jegliches Zitieren ungenannt sein wollender Quellen untersagt worden. Dieser Grundsatz änderte sich Mitte der neunziger Jahre radikal, als man sich entschied, mit mehr Enthüllungs- und Exklusivgeschichten Konkurrenten wie der «New York Times» oder der «Washington Post» die Stirn zu bieten. Folge davon war ein stark erhöhter Druck auf die Mitarbeiter, sogenannte «high-impact stories» abzuliefern, und das Zitieren anonymer Quellen war seither Teil der Redaktionskultur des Blatts gewesen. Die nach der Aufdeckung der ersten Betrügereien Kelleys eingeführten strafferen Richtlinien hätten daran wenig geändert und seien deshalb immer noch zu lasch. So fordert der Bericht, dass Journalisten künftig immer verpflichtet sein müssten, die Identität einer Quelle gegenüber einem leitenden Redaktor offenzulegen.

Stark bemängelt werden schliesslich auch die kaum vorhandenen Kommunikationswege innerhalb und zwischen den sich stark voneinander abgrenzenden Ressorts, die komplexe Führungsstruktur sowie die unklare Zuteilung von Entscheidungskompetenzen. All dies habe dazu beigetragen, dass die Machenschaften des Mannes, der in einem Interview von sich sagte, dass Gott ihn mit der Verbreitung der Wahrheit beauftragt habe, nicht früher entdeckt wurden.

*www.usatoday.com/news/2004-04-22-Report.pdf

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