Ja, es tut uns leid

26. Oktober 2008 • Ressorts • von

Weltwoche 42/08
 
Unser früheres Geschwätz zum Finanzmarkt kümmert uns nicht. Blöderweise kümmert es unsere Leser. Die Journalisten hatten es im Fall UBS schon immer gewusst. Sie wussten zum Beispiel, dass die UBS eine unrentable Schwachstelle hat. «Die Schwachstelle», so wusste etwa die Berner Zeitung, «betrifft das Investment Banking.»

Die Journalisten hatten es auch im Fall Credit Suisse schon immer gewusst. Sie wussten zum Beispiel, dass die Schwachstelle der CS das Investment Banking war. Es war eine Schwachstelle, so wusste etwa die NZZ, weil es «eine zu geringe Rendite herausholt».

«In den nächsten Jahren», mahnte darum die Finanz & Wirtschaft, «muss das Investment Banking wesentlich mehr zum Gewinn beitragen als heute.»

Selbstverständlich hielten sich die zwei Schweizer Grossbanken sofort an die klugen Ratschläge der Journalisten. Sie bauten ihr Investment Banking und den Eigenhandel gewaltig aus. Sie investierten ihre Kundengelder in allerlei Derivate und Collateralized Debt Obligations im Hypothekenmarkt. Die Gewinne explodierten.

Die Journalisten, die es schon immer gewusst hatten, sahen sich bestätigt. Als Grossbank, so wusste nun etwa die Aargauer Zeitung, würde man endlich «für den grösseren Risikoappetit belohnt».

Es gehört zur vergnüglichsten Lektüre unserer Tage, die klugen Ratschläge der Finanzjournalisten aus den Jahren 2004 und 2005 nochmals nachzulesen. Die Journalisten wussten damals genau, woran es bei den Grossbanken fehlte: Unsere Grossbanken waren im Investment Banking totale Nieten. Sie waren zu risikoscheu und zu wenig aggressiv. Kein Wunder, dass sie nicht mit US-Vorbildern wie Goldman Sachs und Lehman Brothers mithalten konnten.

Diese Kolumne ist in der Medienbranche bekannt für ihre Menschlichkeit. Aufgrund dieser Tugend zitieren wir darum nicht im Detail, wie einzelne Blätter den von ihnen geforderten Ausbau des Investment Bankings heute kommentieren. Wir fassen nur pauschal zusammen: Auf die Idee, das Investment Banking auszubauen, konnten damals nur Idioten, Schurken, Blinde, Verbrecher und Hasardeure kommen.

Warum, zum Teufel, fehlt den Medien jeder Anflug von Selbstanalyse? Warum sagt heute kein Wirtschaftsjournalist: Ja, wir haben die Chancen und Risiken auch falsch eingeschätzt. Ja, wir haben diese Finanzinstrumente auch nicht verstanden. Ja, wir haben unsere Leser nicht vor den Gefahren gewarnt. Ja, es tut uns leid.

Es hat damit zu tun, dass die journalistische Denkungsart ausschliesslich vorwärtsgewandt ist. Was zählt, ist allein heute und morgen. Historie ist für Journalistenhirne eher hinderlich. «Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?», hat der legendäre Stern-Herausgeber Henri Nannen einmal als Maxime seines Standes formuliert. Es gibt keine bessere Stand-up-Definition des Journalistenberufs.

Wir, die einfachen Leser, haben leider ein elefantöseres Erinnerungsvermögen. Wir wissen noch, wie uns die Medien sagten, in jedem Briefumschlag stecke tödliches Anthrax. Wir wissen noch, wie uns die Medien sagten, in jedem Rindersteak lagere tödliche BSE. Wir wissen noch, wie uns die Medien sagten, jeder Pitbull könne unsere Kinder töten.

Und wir wissen noch, wie man uns sagte, die Aktien von UBS und Credit Suisse seien eine sichere Goldgrube, weil man nun – wie von den Medien gefordert – dort das InvestmentBanking endlich aggressiver betreibe.

Zugegeben, wir haben heute den Mahnfinger etwas gar keck in die Höhe gestreckt. Darum müssen auch wir uns wohl dem Elchtest stellen. Wir sagen also: In sechs Monaten liegt der SMI-Index rund zwanzig Prozent höher als heute. Wenn nicht, könnt ihr uns in die Pfanne hauen.

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