Wahlkampf als Pferderennen

29. September 2005 • Ressorts • von

Werbewoche, Nr. 34, 2005

Ob nun Merkel oder Schröder die nächste Kanzlerschaft antritt: Ein Lehrstück darüber, wie Medien die Demoskopie instrumentalisieren, war die deutsche Wahl allemal.

Nun ist die «Schicksalswahl» in Deutschland also Geschichte. Zum Schluss war es diesmal tatsächlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden geschrumpften Volksparteien CDU/CSU und SPD. Und danach, als alles bereits gelaufen war, durften wir in der Elefantenrunde des Fernsehens einen noch amtierenden Bundeskanzler erleben, der mit auftrumpfender Arroganz die Medien und die Demoskopen attackiert hat, als wären sie an seiner Niederlage schuld. So absurd dieses Schauspiel war, es liefert den Anlass zu einer Nachbetrachtung.

Zu den medialen Inszenierungen des Wahlkampfs, die nun einmal ökonomischer Logik im Wettbewerb um Publikumsaufmerksamkeit folgen, gehört auch die Rolle, die der Meinungsforschung in der Medien-berichterstattung beigemessen wird. Über Wochen und Monate hinweg gibt es nahezu täglich die neuesten «Wasserstandsmeldungen» zur Sonntagsfrage (Wie würden Sie wählen, wenn bereits nächstes Wochenende abgestimmt würde?). Dabei spielen die Journalisten die verschiedenen Institute gegeneinander aus, verschubladisieren und überinterpretieren voneinander abweichende Wahlprognosen – allerdings meist ohne nachzurecherchieren, welche Forscher wie seriös arbeiten und welche schon mal schummeln, um ihren jeweiligen Auftraggeber zu erfreuen. Es wird auch kaum noch diskutiert, welchen Einfluss die Umfragen auf das tatsächliche Verhalten haben: Immerhin dürften diesmal ein paar Prozent mehr Wähler schlau genug gewesen sein, um bei ihrer Wahlentscheidung strategisch auf die Prognosen zu reagieren, also beispielsweise die CDU/CSU nicht zu mächtig werden zu lassen. So wird dann Meinungsforschung womöglich zur «self fulfilling» oder auch zur «self destroying prophecy».

Ebenso weigern sich viele Journalisten beharrlich, zur Kenntnis zu nehmen, dass Wahlvorhersagen nicht punktgenau sein können. Sie weisen Schwankungsbreiten und damit Ungenauigkeiten auf. Streit um abweichende Prozentwerte offenbart so eher die – frappante! – Unkenntnis vieler Politikredaktoren hinsichtlich der Methodik empirischer Umfrageforschung, als dass er in der Sache selbst erhellend wirkte. Indes: Würden die Medienvertreter ihre Publika über die begrenzte Aussagekraft von Wahlumfragen informieren, wären sie ihres Lieblingsspielzeugs in der Vorwahlphase beraubt. Und damit einer kostengünstigen Möglichkeit, die Wahl als «horse race» zu dramatisieren und so Auflagen und Quoten zu steigern. Diesmal waren die Abweichungen zwischen den letzten Schätzungen der Demoskopen und dem Wahlergebnis jedoch so gross, dass auch die Meinungsforscher selbst am Rätseln sind.

Die Grande Dame der Demoskopie, Elisabeth Noelle, hat ebenso wie der namhafte amerikanische Publizistik-Professor Philip Meyer bereits vor Jahrzehnten angeregt, «Präzisionsjournalismus» zu fördern. Beide forderten damit in den Redaktionen mehr sozialwissenschaftliche Kompetenz im Umgang mit Umfragedaten und Statistiken ein. Zwar gibt es heute kaum noch einen medienbezogenen Studiengang, in dem solches Grundwissen nicht vermittelt würde. Doch gefruchtet hat es bisher kaum. Über Umfragen und andere Sozialforschung wird dann berichtet, wenn sie Unterhaltungswert haben. Wie und warum die Ergebnisse zustande gekommen sind, interessiert leider zu wenige Journalistinnen und Journalisten. Und auch wer der Auftraggeber welcher Studie war, enthalten sie ihren Publika allzu oft vor.

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