Die Stimme des Volkes erstirbt

27. August 2013 • Qualität & Ethik • von

Bei Diskussionen über die Kommerzialisierung im Mediengeschäft wird meist beklagt, dass von Kürzungen betroffene Redaktionen und einzelne Journalisten ihrer demokratischen Funktion nicht mehr nachkommen können.

Die beiden Kommunikationswissenschaftler Morten Skovsgaard und Arjen van Dalen von der Universität Süddänemark zeigen in ihrer aktuellen Studie „The fading public voice“ („Die dahin schwindende Stimme der Öffentlichkeit“) eine andere Sicht der Dinge auf. Die beiden Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass der politische Journalismus erstaunlich gut durch die Krise kommt. Die ökonomischen Zwänge innerhalb der Redaktionen betreffen ihrer Analyse zufolge stattdessen vor allem den Journalismus, der sich mit der Gesellschaft beschäftigt und auch den „normalen Bürger“ zu Wort kommen lässt. Eine verheerende Entwicklung, die nicht nur Dänemark betreffen dürfte, befürchten die Autoren.

Um zu erfahren, in welchem Maße unterschiedliche journalistische Sparten jeweils von Einsparzwängen betroffen sind, befragten die beiden Forscher 96 Parlamentskorrespondenten der dänischen Presseloge zu diesem Problem und verglichen deren Angaben mit Befragungen von insgesamt 1.548 anderen Journalisten der Dänischen Journalisten-Union. Darunter waren 160 Wirtschaftsjournalisten und 89 Auslandsreporter, deren Situation die Autoren jener der politischen Korrespondenten gegenüber stellten.

Dabei wurde deutlich, dass sich die Politikjournalisten weit weniger als ihre Kollegen aus Ressorts wie Gesellschaft oder Ausland von Zwängen von Seiten der Redaktion oder der Geschäftsführung des Mediums betroffen sehen. Ein solcher Zwang könnte nach der Definition der Forscher etwa die Auflage sein, ein Thema sensationell und reißerisch aufzumachen, um höhere Auflagen zu erzielen. Während sich unter den befragten Parlamentskorrespondenten 62 Prozent „fast vollkommen frei“ fühlten, was die Aufbereitung eines Themas angeht, gaben das in der Vergleichsgruppe nur 45 Prozent der Journalisten an. Dort sahen sich stattdessen 11,8 Prozent der Befragten als „nur bedingt frei“ – diese Gruppe macht unter den Parlamentskorrespondenten nur 2,8 Prozent aus. Die Journalisten wurden gesondert auch dazu befragt, wie stark Profit-Auflagen und Budget-Kürzungen, die vom Verleger kommuniziert werden, sowie Druck von Werbekunden sie beeinflusst. Hier zeigten sich die politischen Korrespondenten ebenfalls weniger beeindruckt als ihre Kollegen.

Wirtschaftskorrespondenten und Auslandsreporter, die ähnlich den Parlamentskorrespondenten eher vom Redaktionskörper isoliert arbeiten, sind laut der Studie stattdessen stärker von ökonomischen Zwängen betroffen als der Durchschnitt der Journalisten: Während sich nur 42,9 und 42,6 Prozent der Befragten „fast vollkommen frei“ fühlten, was den Dreh einer Geschichte angeht, gaben sogar 0,8 beziehungsweise 2,9 Prozent der Befragten an, sich „unfrei“ zu fühlen. Unter den Parlamentskorrespondenten gab dies kein einziger an.

Bei der Themenwahl selbst sind die Unterschiede zwar geringer – hier fühlten sich insgesamt 88,6 Prozent der befragten Parlamentskorrespondenten „frei“ oder „recht frei“ und unter den anderen Journalisten gaben dies 84,2 Prozent an. Doch das führen die Autoren der Studie darauf zurück, dass die Agenda des politischen Journalismus durch Geschehnisse in der politischen Sphäre und häufig auch durch Pressekonferenzen zu speziellen Themen in gewisser Weise vorbestimmt ist.

Gleichzeitig sehen sie dieses fixe Gerüst des politischen Journalismus auch als einen Grund für dessen Krisenbeständigkeit an. Politische Berichterstattung basiere schließlich oft auf Pressemitteilungen, Pressekonferenzen oder „anderen Situationen, wo Informationen auf dem Silbertablett geliefert werden“, wie Skovsgaard und van Dalen einen anderen Medienwissenschaftler zitieren. Parlamentsberichterstattung sei kosteneffizient, werde deshalb in der Krise gestärkt und provoziere damit, dass Ressourcen von anderen Ressorts noch schneller als bisher abgezogen werden. Denn politischer Journalismus eigne sich mehr als alle anderen Bereiche dazu, dem Medium ein Profil zu geben – und mache das Medienunternehmen so auch für werbende Unternehmen attraktiv, deren Geschäftsmodelle mit der jeweiligen Haltung harmonieren.

Diesen Trend machen sie mit Blick auf die dänischen Medien daran fest, dass auch bei Themen ohne politischen Bezug immer öfter Politiker einbezogen und zu dem Thema befragt werden, da sie als Quelle relativ leicht auffindbar sind. Sie stützen sich auf Analysen, die zeigten, dass in immer mehr Artikeln Politiker zu Wort kommen. Diese Trends seien auch in den USA – durch eine Umorientierung vieler großer Medien von lokaler Berichterstattung auf nationale Themen – und in Großbritannien zu beobachten.

Das Problem, das sich daraus ergibt, wird erst auf den zweiten Blick deutlich – dabei ist es so grundlegend, dass es sich auch auf andere Länder übertragen lässt. Kurz gesagt besteht dieses Problem darin, dass sich viele Journalisten an elitären Gesellschaftskreisen orientieren, neben denen die restliche Gesellschaft in Vergessenheit gerät. In Deutschland wird unter Medienschaffenden häufig vom „Raumschiff Berlin“ gesprochen – gemeint ist damit die Sphäre der parlamentarischen Berichterstattung, in der Politiker und Journalisten abgeschnitten vom Rest der Gesellschaft miteinander interagieren. Die Lebensräume beider Gruppen überschneiden sich sehr stark, allein schon, weil beide im Parlamentsgebäude ihre Arbeitsräume eingerichtet haben und sie abends oft auf denselben Veranstaltungen verkehren (müssen).

Beide Gruppen sind aufeinander angewiesen: Politiker wollen Botschaften transportieren, politische Korrespondenten  wollen diese Botschaften empfangen, um die Sendeplätze und Zeilen ihrer Medien damit zu füllen. Über diese relativ unpersönliche Ebene hinaus pflegen die meisten Journalisten aber auch Beziehungen zu einzelnen Politikern intensiver, um Scoops zu landen und exklusive Informationen zu erhalten. Schließlich stärkt dies die Marke ihres Mediums in Konkurrenz zu anderen besonders.

In seiner Dissertation „Meinungsmacht – Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten“ beschäftigte sich Uwe Krüger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig, mit genau diesen Verquickungen zwischen Journalisten und Politikern sowie Wirtschaftseliten in Deutschland. Er kommt in seiner Netzwerkanalyse zu dem Schluss, dass zwischen den Gruppen häufig eine sehr große Nähe besteht. Eine Nähe, die teilweise dazu führt, dass Journalisten die Agenda, Meinungen und Argumentationsmuster von Politikern und Lobbyisten ungefiltert übernehmen und verbreiten. Dabei unterstellt Krüger nicht einmal böse Vorsätze: Durch den ständigen Umgang miteinander verfestigten sich ähnliche Meinungen bei Eliten und Journalisten. Zudem könne Druck entstehen, die Botschaften der Netzwerkpartner offensiv zu propagieren, um den Zugang zu exklusiven Informationen nicht zu verspielen.

21 Medien von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der taz über den Spiegel bis hin zu den Rundfunk-Flaggschiffen ARD und ZDF hat Krüger als Leitmedien definiert. Aus diesen Häusern hat der Journalismusforscher für den Zeitraum der drei Jahre zwischen 2007 und 2010 die persönlichen Verbindungen von 219 Journalisten zu Akteuren aus Politik und Wirtschaft untersucht. Dabei musste nicht immer nachweislich persönlicher Kontakt bestanden haben, stattdessen bezog Krüger auch Gelegenheiten mit ein, bei denen sich die Personen begegnen konnten: Saßen Journalisten und Eliten gemeinsam in Stiftungs- oder Verbandsgremien? Besuchten sie häufiger dieselben Konferenzen oder kamen sie in Hintergrundkreisen zusammen, in denen Politiker und Unternehmer ihnen genehmen Journalisten umfangreiche Informationen zuspielten?

So ermittelte Krüger insgesamt 164 Verbindungen zwischen den beobachteten Journalisten und insgesamt 82 Organisationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Stiftungswesen, in denen entscheidungsbefugte Eliten verkehren.

Die fünf Journalisten mit den auffälligsten Kontakt-Netzwerken nahm Krüger gesondert in Augenschein: Josef Joffe, Mitherausgeber der Zeit, Markus Schächter, damals noch Intendant des ZDF, Stefan Kornelius, Leiter des außenpolitischen Ressorts der SZ, Klaus-Dieter Frankenberger, Außenpolitik-Leiter der FAZ, und Welt-Chef-Korrespondent Michael Stürmer. Markus Schächter ausgenommen ist ihnen allen eines gemeinsam: sie weisen biografisch und auch über die Organisationen, in denen sie Mitglied sind, eine hohe US-Affinität und einen starken Bezug zur transatlantischen Partnerschaft auf – also zur Sicherheitspartnerschaft Europas mit den USA. Ihre Prägung beeinflusst Krügers Einschätzung nach auch den Anstrich der Berichterstattung der Journalisten.

Dies macht der Wissenschaftler zum einen daran fest, dass die Journalisten unkritisch über Lobbygruppen berichten. Er sieht es etwa als problematisch an, wenn Stefan Kornelius über die Münchener Sicherheitskonferenz, eine der größten Lobbyveranstaltungen im Sicherheits- und Rüstungsbereich, wohlwollend berichtet und die zivilgesellschaftlichen Gegner der Veranstaltung mit keiner Silbe zu Wort kommen lässt. Etwas subtiler, jedoch keineswegs weniger brisant zeigt sich die Elitenorientierung der Journalisten bei der Definition des Begriffes „Sicherheit“.

Laut Krüger hat sich durch die Rhetorik von Politikern und Wirtschaftsvertretern seit 1991 ein „erweiterter Sicherheitsbegriff“ entwickelt: Nicht mehr nur militärische Belange beeinflussen demnach die Sicherheit eines Staates. Die USA und die Mitgliedsstaaten der NATO nennen ihre Sicherheit auch dann gefährdet, wenn der Wohlstand ihres Landes oder auch nur das Wirtschaftswachstum oder ein lukratives Freihandelsabkommen in Gefahr sind.

Durch eine Analyse der Berichterstattung der vier besagten Alpha-Journalisten (ohne Markus Schächter) zwischen 2002 und 2010 zeigt Krüger auf: Die Journalisten arbeiten mittlerweile mit einem ähnlich breiten Bedrohungskatalog wie offizielle Regierungs- und Behördendokumente, etwa Stefan Kornelius 2007 in einem Artikel in der SZ: „Die Welt ist komplizierter geworden. Obwohl die nuklearen Vernichtungsfantasien aus den Köpfen verschwunden sind, wächst das Gefühl der Unsicherheit, der Bedrohung gar. Sicherheit ist keine Frage der Truppenstärke mehr. Sicherheit ist, wie es in den Fachkreisen so schön heißt, umfassend.“

Krüger findet es nicht nur problematisch, wie unkritisch Kornelius hier sogleich das Wording der Politiker übernimmt, die er eigentlich hinterfragen soll. Er kritisiert generell, dass es keine umfassenden Regelungen über die Nähe zwischen Journalisten und Eliten aus Politik und Wirtschaft gibt, aus der diese unkritische Haltung resultiert. Die bisherigen Empfehlungen des Presserates dazu, direkte Vorteilsnahme zu vermeiden, reichen seiner Meinung nach nicht aus: „All diese Regelungen berücksichtigen nicht, dass eine Vergünstigung auch eine exklusive Information, exklusives Hintergrundwissen und Orientierungswissen sein kann, oder aber das Gefühl der Zugehörigkeit – eben das Schmiergeld namens Nähe“, schreibt Krüger.

Er fordert strengere Ethikcodizes nach dem Vorbild einiger US-Medien, die etwa bestimmte Nebentätigkeiten von Journalisten in regierungsnahen Kreisen verbieten. Dagegen würden etwa Josef Joffe und Stefan Kornelius verstoßen, die als Beiräte der Bundesakademie für Sicherheitspolitik einem Think Tank des Verteidigungsministeriums angehören. Und eventuell auch durch diese Kontakte in ihrer Berichterstattung über Sicherheitsfragen gelenkt werden – und sei es nur unterbewusst.

Klar scheint nur: die Bürger wurden nicht gefragt, ob sie dieser Rhetorik – ob gelenkt oder nicht – ausgeliefert sein wollen. Die Medien orientieren sich dabei allein an den politischen Eliten.

Dies ist es auch, was die Autoren der dänischen Studie kritisieren: Journalisten im politischen Milieu beschränken ihre Berichte oft auf Auseinandersetzungen innerhalb der politischen Institutionen und zwischen den Parteien – und gehen dabei thematisch kaum noch auf die Informationsinteressen der Bürger ein. Skovsgaard und van Dalen verweisen dabei auf eine Untersuchung von 2008, der zufolge britische Journalisten sich sehr stark mit den Politikern identifizieren, über die sie berichten. Es waren deshalb Journalisten außerhalb der Riege der Parlamentskorrespondenten gefragt, den Skandal über zu hohe Spesenrechnungen einiger britischer Parlamentsmitglieder aufzudecken.

Können die politischen Journalisten also die politische Kontrollinstanz sein, als die sie sich sehen? Die Autoren sehen hier zumindest Defizite und zitieren den französischen Le Monde-Redakteur Thomas Ferenczi: „Es besteht hier eine tatsächliche Gefahr für die Demokratie, namentlich, dass Journalisten und Politiker  – weil sie so eng verknüpft leben – eine sehr ähnliche Sicht darauf haben, was die Medien berichten sollten und was nicht – und dabei das Interesse des Publikums ignorieren.“

In einer Befragung bestätigte sich die Top-Down-Perspektive im Selbstverständnis der politischen Korrespondenten. Die Forscher legten sowohl den Parlamentskorrespondenten als auch der Vergleichsgruppe drei Funktionen eines Journalisten vor, welche diese nach Relevanz bewerten sollten: Die Informationsfunktion; die Kontrollfunktion und die Funktion, der Meinung der Bevölkerung ein Forum zu bieten und Bürger zu Wort kommen zu lassen.

Während es unter den politischen Korrespondenten jeweils 93 Prozent „wichtig“ oder „sehr wichtig“ fanden, zu informieren und die Regierung zu hinterfragen und damit zu kontrollieren, hielten es nur 8,4 Prozent für bedeutend, Bürgern eine Plattform zur öffentlichen Diskussion zu bieten. Die Informations- und Kontrollfunktion haben auch bei den anderen Journalisten Priorität, 99 beziehungsweise 95 Prozent der Befragten bezeichneten dies als „wichtig“ oder „sehr wichtig“. Doch 24 Prozent wollten im selben Maß auch eine Plattform für die öffentliche Diskussion bieten und 84 Prozent wollten einzelnen Bürgern eine Stimme geben. Unter den politischen Korrespondenten interessierte dies nur 34 Prozent der Befragten in nennenswertem Umfang.

Für die dänischen Forscher  ergibt sich aus ihrer Untersuchung, dass sich Journalisten im Bereich der Gesellschaftsthemen immer seltener die Zeit nehmen können, die sie für aufwendige, bürgernahe Recherchen bräuchten. Sie folgern: Da der politische Journalismus weniger ökonomischen Druck als andere Ressorts erfährt, wird langfristig eine Top-Down-Perspektive in der gesamten Berichterstattung gestärkt. Dies stelle ein Problem dar, das bisher in der Diskussion um die Medienkrise vernachlässigt werde. „Dabei ist dies nicht nur ein Problem für die Journalisten aus anderen Ressorts, sondern für die Bevölkerung als Ganzes“, urteilen Skovdsgaard und van Dalen. „Eine weitere Schwächung der Bottom-Up-Perspektive kann im schlimmsten Fall bedeuten, dass die Bedürfnisse der Menschen nicht mehr benannt und nicht an die Politiker herangetragen werden. Dies wiederum stellt die Legitimität der parlamentarischen Demokratie als Gesellschaftsform infrage.“

Skovsgaard, Morten; van Dalen, Arjen (2013): The Fading Public Voice: The polarizing effect of commercialization on political and other beats and its democratic consequences. In:  Journalism Studies, 14. Jg. H. 3, S. 371-386.

Krüger, Uwe (2013): Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse.  Köln: Halem.  

Bildquelle: Jack Zalium / Flickr

 

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