Online-Leser wollen längere Storys und weniger Listen

21. April 2016 • Digitales, Internationales, Qualität & Ethik • von

Inmitten der Flut an digitalen Nachrichten überrascht, was Online-Leser am meisten schätzen: längere Beiträge, tiefgründige Berichterstattung und eine journalistische Recherche, die neue Perspektiven bietet.

Donald trump hairDies ist die Bilanz einer aktuellen Studie vom American Press Institute (API), das mithilfe von Zugriffsdaten das Nutzerverhalten von Online-Lesern unter die Lupe genommen hat. Insgesamt hat das Forschungsteam rund um API-Geschäftsführer Tom Rosenstiel dafür mehr als 400.000 Artikel von 55 Publikationen analysiert.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Online-Leser mehr wollen als Geschichten über Stars und Sternchen, kurze Meldungen ohne Tiefgang und sogenannte Listicles, also Artikel in Listenform (wie zum Beispiel „7 Dinge, die man über Donald Trumps Frisur wissen sollte“), schreibt Rosenstiel in seinem Paper „Solving journalism’s hidden problem: Terrible analytics.“ Die gängige Annahme, dass Journalisten sich für Online kurz und für mobile Plattformen noch kürzer fassen sollten, sei einfach falsch.

Medien würden sich oftmals von gängigen Analyse-Instrumenten irreleiten lassen, meint Rosenstiel: „Oft messen sie die falschen Dinge oder geben in Statistiken zu hohe Nutzerzahlen an – doppelt oder sogar dreifach so hoch wie die tatsächlichen Zahlen.“

Um verlässlichere Zahlen zu erhalten, hat das American Press Institute mit seinen Partnerpublikationen einen „Engagement Index“ entwickelt, der über ein Dutzend Website-Metriken beinhaltet, die sowohl die Verweildauer, die Seitenaufrufe als auch das Teilen in sozialen Netzwerken messen.

Online-Nutzer lesen gern längere und gut recherchierte Beiträge

Wie die Auswertung zeigt, legen Online-Leser vor allem Wert auf tiefgründige und investigative Berichterstattung, die auf Eigeninitiative der Redaktion entstanden sind und nicht auf Pressemitteilungen basieren. Diese Beiträge erfordern zwar einen höheren Einsatz der Redaktion, machen sich aber durchaus bezahlt, denn sie zogen laut der Studie 48 Prozent mehr Leser an als andere und hatten 83 Prozent mehr Seitenaufrufe zur Folge. Weiterhin verwendeten Leser 39 Prozent mehr Zeit auf diese Beiträge und teilten sie mehr als doppelt so oft (103 Prozent).

Online-Nutzer lesen zudem laut der Studie gern lange Beiträge – auch auf dem Smartphone. Längere Beiträge (etwa 1.200 Wörter) zogen 23 Prozent mehr Nutzer an und sorgten für mehr Seitenaufrufe, eine längere Verweildauer und mehr geteilte Beiträge. „Die Leser schätzen Qualität und Tiefgang und lesen eine gut erzählte Geschichte auch zu Ende“, sagt Rosenstiel.

Aber auch ein kurzer Artikel komme gut an, wenn man bei der Recherche Eigeninitiative zeige und im Beitrag eine neue Sicht auf schon bekannte Sachverhalte biete. „Selbst recherchierte Storys sind von Natur aus einzigartig. Das Publikum kann sie nicht überall finden“, so Rosenstiel.

Auch Artikel aus dem Bereich Politik und Regierung würden durchaus gelesen, lautet ein weiteres Ergebnis des API-Forschungsteams, das damit die Annahme vieler Redaktionen, dass solche Artikel dem Publikum eher ein Dorn im Auge seien, widerlegt. Die Leser schenkten ihnen durchschnittlich viel Aufmerksamkeit. Sobald sie aber auf investigativer Recherche basierten und/oder Sachverhalte thematisierten, über die kein anderes Medium berichtete, zogen sie sogar mehr Leser an.

Reine Sportberichte floppen online, Food-Journalismus sorgt für Traffic

Zwar ging es bei einem Großteil der 400.000 analysierten Artikel um Sport, die Beiträge aus diesem Ressort werden aber keineswegs am meisten gelesen. Im Gegenteil: Reine Sportberichte floppen online, heißt es in der Studie. Beiträge zu Sportthemen, die auch Analyse und Hintergrundinformationen enthalten, würden dagegen gerne gelesen.

Auch bei der Berichterstattung über Kriminalität zeigte sich, wie wichtig selbst recherchierte Beiträge für die Leserbindung sind: Polizeimeldungen schnitten schlecht ab; Berichte, die Sachverhalte analysierten und eigene Recherche beinhalteten, besser.

Auch kulinarischer Journalismus kann für Traffic sorgen. „Aber Food-Journalismus ist mehr als nur Rezepte“, betont Rosenstiel, „Rezepte machen sogar den geringsten Anteil aus.“ Was die Leser anzog, waren Restaurant-Kritiken, Beiträge zu Restaurant-Eröffnungen und Berichte über Gesundheitsinspektionen. Zudem zeigt die Studie, dass die Berichterstattung über kulinarische Themen eine lange Haltbarkeitsdauer hat: eine Woche nach Veröffentlichung wurden Beiträge dieser Art doppelt so oft gelesen wie andere.

Redaktionen, die effektiver über ein Thema berichten möchten, sollten nicht schlussfolgern, dass sie mehr darüber berichten sollten. „Es bedeutet, dass sie anders berichten sollten“, fasst Rosenstiel ein wesentliches Ergebnis der Studie zusammen.

So habe die Analyse der Artikel eines Online-Mediums in Pennsylvania gezeigt, dass Kriminalität zwar ein wichtiges und gern gelesenes Thema für die dortige Leserschaft sei, dass die Redaktion aber ihre Berichterstattung darüber verbessern könnte, indem sie mehr selbst recherchierte längere Beiträge und weniger Polizeimeldungen bringe. Die Redaktion habe den Rat beherzigt und ein Jahr später seien die Artikel zur Kriminalität häufiger aufgerufen (231 Prozent) und geteilt (251 Prozent) worden.

Jedes Online-Medium – auch ein kleines – könne seine Daten beherrschen anstatt von ihnen beherrscht zu werden, so Rosenstiel.

 

Bildquelle: Gage Skimore / Flickr Cc: Donald Trump / Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Original-Beitrag auf Englisch: Audiences Want Better Reporting And Fewer List-icles (Especially About Donald Trump’s Hair)

Übersetzt von Tina Bettels-Schwabbauer

 

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